Luxemburgischer Familiennamenatlas

Spurensuche von Maas bis Rhein

d'Lëtzebuerger Land du 11.11.2011

Gibt es typisch luxemburgische Familiennamen? Oder besteht im kleinen Land, in dem der germanische und der romanische Sprachraum einander begegnen und es schon vor Jahrhunderten Einwanderungsbewegungen gab, ein einziger linguistischer melting pot?

Solche Fragen soll der Luxemburgische Familiennamenatlas beantworten helfen. Das dreijährige Forschungsprojekt am Labor für luxemburgische Sprache und Literatur der Universität wird im Frühjahr nächsten Jahres abgeschlossen. Dann sollen eine Internet-Seite und ein Buch zum Thema veröffentlicht werden.

„Was wir tun, geht aber über Fami-liennamen-Wörterbücher, wie es sie in anderen Ländern gibt, hinaus“, betont Claire Muller vom Luxemburgisch-Labor der Uni. Mit ihrem Kollegen Cristian Kollmann und unter der Leitung von Peter Gilles bearbeitet Muller das vom nationalen Forschungsfonds geförderte Projekt. „Der Familiennamenatlas soll, wie der Begriff schon suggeriert, auch eine Kartografie enthalten und zeigen, wie die Familiennamen entstanden sind und welche linguistischen Beziehungen es zu den Entwicklungen in den Nachbarländern gibt.“

Das ist keine ganz leichte Aufgabe bei derzeit 43 Prozent Ausländeranteil im Staatsgebiet. Die historische Referenz für das Projekt bildet deshalb die Volkszählung aus dem Jahr 1880. Sämtliche damals erhobenen Namen wurden 1886 von Nikolaus Müller in Die Familien-Namen des Grossherzogthums Luxemburg veröffentlicht. 8 527 verschiedene Namen sind das insgesamt.

Für den Familiennamenatlas wurde angenommen, dass „luxemburgisch“ all jene Namen sein sollen, die seit 1880 überlebt haben. Es handelt sich besonders um diejenigen, die dem Deutschen zuzuordnen sind, wie Müller oder Schmit, oder dem Französischen, wie Moulin oder Dupont. Ebenfalls berücksichtigt werden germanisierte französische Namen – Dupong etwa –, romanisierte deutsche Namen – wie Mousel – und latinisierte Namen wie Jacoby (für „von Jacob“). Von dieser Auswahl werden die häufigsten untersucht. und weil die fremdsprachigen Einflüsse in Luxemburg bereits 1880 beträchtlichen waren, berücksichtigt das Atlas-Projekt für seine Familiennamen-Kartografie das Gebiet zwischen Maas und Rhein.

Wenngleich das Forschungsprojekt noch nicht ganz abgeschlossen ist, lassen sich ein paar Erkenntnisse schon jetzt nennen. Die in Luxemburg derzeit häufigsten Familiennamen (in dieser Reihenfolge: Schmit, Muller, Weber, Hoffmann und Wagner) weisen auf die historischen Beziehungen zum deutschen Sprachraum hin. Sie fänden sich auch im französischen Mosel-Departement wieder, so Muller, wo Schmitt, Klein und Weber die häufigsten Familiennamen seien. Typisch luxemburgisch seien dagegen „Verdeutschungen französischer Namen“: „Laurent wurde zu Lorang, Moulin zu Molling, Dupont zu Dupong.“

Luxemburgische Phänomene seien auch die lateinischen Ableitungen von Familiennamen aus Ortsnamen, wie etwa Wiltzius von Wiltz und Bisenius von Bissen, oder Ableitungen aus französischen Vornamen, wie Schaak aus Jacques oder Schanen aus Jean.

Bemerkenswert sei aber auch, wie sich in manchen Fällen in Luxemburg eine Schreibweise durchsetzte, in denen die Lautung des Luxemburgischen sich gegen die des [-]Standardneuhochdeutschen weitgehend durchsetzte: Aus dem luxemburgischen Beemchen für Bäumchen etwa wurde der Familienname Bemtgen. Aus dem Kréier für den deutschen Krüger (den Krugmacher oder den Schankwirt) wurde der Name Krier.

Die Kartografie, wie sie bisher besteht, zeigt schon, wie stark diese Schreibungen auf Luxemburg konzentriert sind. „Das ist ein Prozess, der einher ging mit der Herauslösung des Luxemburgischen aus dem deutschen Sprachraum“, sagt Muller. Dagegen ist ein Familienname wie Peiffer typisch luxemburgisch insofern, als im Moselfränkischen keine Verschiebung des p im Anlaut zu pf stattgefunden hat. Im gesamten Großraum zwischen Maas und Rhein lassen sich alle möglichen Varianten von Pfeifer, Pfeiffer, Peifer und Peiffer nachweisen. In Luxemburg, aber auch in der belgischen Provinz Luxembourg sowie insbesondere im Areler Land, dominiert Peiffer, in Deutschland hingegen Pfeiffer.

Dass im Areler Land noch viele Familiennamen luxemburgischen Ursprungs überlebt haben, sei ebenfalls ein bemerkenswertes Resultat. „Man erkennt aber auch, dass es dort eine Tendenz zur Französisierung der Namen gab, nachdem dieser Teil des alten Luxemburg an Wallonien angeschlossen wurde, und daneben eine starke Einwanderung aus Frank-reich und Wallonien nach dem Bau der Eisenbahn im 19. Jahrhundert.“ Die beiden häufigsten Familiennamen im Areler Land sind auch heute noch, wie in Luxemburg, Schmit und Muller – gefolgt allerdings von Lambert, [-]Gérard, Thiry und Mathieu.

Dagegen sei die Französierungstendenz deutscher Namen in Luxemburg offenbar viel weniger stark verlaufen, sagt Muller. Zwar wurde etwa aus einem Johann Holzmacher ein Jean Dubois, wie sich zeigen ließ, als für das Forschungsprojekt auch Namensregisterauszüge von Gemeinden und Pfarreien sowie Stammbaum-Daten ausgewertet wurden, die Vereinigungen zur genealogischen Forschung führen. Doch bei der Volkszählung 1880 machten französische Namen lediglich 0,1 Prozent der 8 500 Familiennamen aus, und 2009 noch immer nur 0,5 Prozent. „Insgesamt“, so Muller, „war die Französierung also eher ein Randphänomen; das ist durchaus überraschend.“

Leider kann der Familiennamenatlas nicht ganz exakt sein. Grund dafür ist die Datenlage: Weil der Zugriff auf das Personenstandsregister den beiden Forschern von der Universität aus Datenschutzgründen verwehrt wurde, mussten sie sich zur Erhebung der aktuellen Namenssituation mit dem Telefonbuch des Jahres 2009 bescheiden. Zum Vergleich mit Deutschland wurden von dort ebenfalls die Telefonbücher von 2009 herangezogen. Dagegen stand aus Belgien das Personenstandsregister von 2008 zur Verfügung, und aus Frankreich ein vom nationalen Statis-tikamt Insee produzierter Datensatz der Geburtsregister für die Jahre 1891 bis 2001.

„Uns ist klar, dass wir mit Daten arbeiten müssen, die nicht vollständig und nicht homogen sind“, sagt Muller, „wir gehen aber davon aus, die großen Zusammenhänge und Tendenzen zeigen zu können.“ Interessant sei im Übrigen, was sich im [-]Gesamtgefüge der Familiennamen hierzulande entwickelt hat, jedoch über den Untersuchungsgegenstand des Projekts hinausgeht: Erhob die Volkszählung 1880 über 8 500 verschiedene Familiennamen, enthält das Telefonbuch 2009 über 36 000 Namen, und von den 8 500 Namen von 1880 existiert heute rund die Hälfte nicht mehr – ein Ausdruck der modernen Einwanderergesellschaft.

Peter Feist
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