Die Cargolux-Vorstandsmitglieder Ulrich Ogiermann und Robert van de Weg müssen wegen Preisabsprachen vor Gericht

Meet Mr. Sherman

d'Lëtzebuerger Land vom 04.11.2010

Als Ulrich Ogiermann 2003 Chief Executive Officer (CEO) der Frachtgesellschaft Cargolux wurde, zitierte ihn das Branchenblatt Air Cargo World mit folgenden Worten: „Now might be a good time for all of us in the airline to take a sound check. We might not think we are doing anything wrong, but we need to ensure that we have the right people in the right places in this organization and that they are doing the right things.“ Jetzt könnte sich herausstellen, dass Urlich Ogiermann selbst nicht unbedingt der richtige Mann am richtigen Platz war und die Frage danach, ob er etwas falsch gemacht hat, drängt sich mehr denn je auf.

Vergangenen Donnerstag entschied ein Geschworenengericht in Miami, Florida, Anklage gegen Ulrich Ogiermann und Robert van de Weg zu erheben. Ihnen wird vorgeworfen gegen den Sherman Act, das amerikanische Wettbewerbsgesetz, verstoßen zu haben, indem sie zwischen 2001 und 2006 die Höhe von Treibstoff- und Sicherheitsaufschlägen, die den Kunden zusätzlich zum Basispreis für den Transport von Luftfracht in Rechnung gestellt werden, mit anderen Firmen abgesprochen haben sollen.

Die Anklage kommt nicht überraschend. Im Mai 2009 hatte sich Cargolux mit dem amerikanischen Justizministerium wegen der gleichen Vorwürfe auf einen Vergleich ge-einigt. Cargolux würde 119 Millionen Dollar Bußgeld über sechs Jahre zahlen, die Mitarbeiter der Firma würden nicht strafrechtlich verfolgt. Das Department of Justice behielt sich allerdings das Recht vor, gegen vier Mitarbeiter individuell vorgehen zu können: Ulrich Ogierman, CEO, Robert van de Weg, Mitglied der Geschäftsleitung, zuständig für den Verkauf, sowie Ian Morgan, zuständig für den amerikanischen Kontinent, und Pierre Wesner, zuständig für Europa, den Nahen Osten und Asien. Ob sich Morgan und Wesner ebenfalls einem Prozess ­stellen müssen, bleibt abzuwarten. Doch nachdem ihre Kollegen bereits angeklagt sind, scheint es eher unwahrscheinlich.

Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht werden im wirtschaftsliberalen Amerika streng geahndet. Nachdem Lufthansa die Konkurrenz 2006 bei den Behörden meldete, um sich Straffreiheit zu sichern, wurden 19 Luftfahrtunternehmen bestraft – die Bußgelder belaufen sich auf 1,6 Milliarden Dollar – und 14 Firmenchefs angeklagt. Ihnen drohen, wie Ogiermann und van de Weg maximal zehn Jahre Haft und jeweils ein Bußgeld von maximal einer Million Dollar. Dass mit Mr. Sherman nicht zu spaßen ist, erfuhr beispielsweise Bruce McCaffrey, der für die australische Gesellschaft Qantas das USA-Geschäft leitete: sechs Monate Haft und 20 000 Dollar Bußgeld. Keith Packer von British Airways (BA) wurde zu acht Monaten Haft verurteilt und musste ebenfalls 20 000 Dollar zahlen.

Dass Ogiermann und Van de Weg nun vor Gericht antreten müssen, liegt daran, dass sie die Vergehen, die ihnen vorgeworfen werden, nicht gestehen wollen, und somit die Möglichkeit ausschlugen, auf individueller Basis einen Vergleich mit den US-Behörden zu beschließen. „Sie können ihre Meinung zu jedem Zeitpunkt ändern“, erklärt eine Sprecherin des US-Justizministeriums. Ein verlockendes Angebot? Eher nicht. Sowohl McCaffrey als auch Packer hatten gestanden, wurden aber dennoch zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Dieser Umstand mag die etwas seltsame Vorgehensweise der beiden Cargolux-Vorstände erklären. Denn ob sie vor Gericht wirklich gute Chancen haben, sich reinzuwaschen, ist mehr als fraglich. Immerhin steht ihre Haltung in direktem Widerspruch zur Strategie der Firma. Letztere hat Taten gestanden, die erstere leugnen. Eine Position, die wie Cargolux-Präsident Marc Hoffmann einräumt, „schwer zu verteidigen sein wird“.

Diese Aussage lässt Spielraum für Interpretationen. Eine Möglichkeit ist, dass die Interessen der Firma vor die ihrer Mitarbeiter Ogiermann, van de Weg, Wesner und Morgan gestellt wurden, als der Verwaltungsrat entschied, sich auf den Vergleich mit den US-Behörden einzulassen und dadurch eine gewisse Planungssicherheit für die Firma herzustellen. Durch den Vergleich wusste man immerhin, was an Bußgeldern auf die Gesellschaft zukommen würde, und die Höhe der Strafe konnte verhandelt werden – das wäre im Rahmen eines Prozesses nicht möglich gewesen. Als Preis für diese Planungssicherheit nahm das Aufsichtsgremium der Gesellschaft vielleicht in Kauf, dass die US-Justiz den vier genannten Cargolux-Mitarbeitern keine Immunität vor Strafverfolgung gewährte. Dadurch wurden sie zum Bauernopfer, weil die Firma einen Prozess mit ungewissem Ausgang vor einem US-Gericht, die für die Verhängung spektakulärer Urteile und Bußgelder berüchtigt sind, vermeiden wollte. Auch wenn man glaubte, eigentlich nichts falsch gemacht zu haben, wie es die Cargolux-Verantwortlichen vor der Einigung mit der US-Justiz immer wieder betonten.

Andererseits: Warum hätte die Gesellschaft sich bereit erklärt, 119 Millionen Dollar zu berappen, wenn die US-Behörden nichts in der Hand gehabt hätten? Immerhin wurden 2006 in Zusammenarbeit mit den EU-Behörden Razzien in den Büros von Cargolux durchgeführt und Material beschlagnahmt. Hätten die Wettbewerbshüter dabei keine Hinweise auf Verstöße gegen das Konkurrenzrecht vorgefunden, hätte die Firma solche wohl auch kaum gestehen müssen. Die „Firma“ allerdings kann, obwohl sie eine juristische Person ist, nicht sprechen, und logischerweise auch keine Preise absprechen. Das müssten natürliche Personen, also die Mitarbeiter gemacht haben.

Liest man die auf den ersten Blick abstrakte Anklageschrift des Gerichts von Miami genau, wird ziemlich konkret, was die Ermittler bei den Razzien 2006 gefunden haben dürften. Zum Beispiel Post („communications“), ob elektronisch oder klassisch, aus der hervorgeht, dass man die Konkurrenz getroffen oder mit ihr gesprochen hat, um die Höhe der Aufschläge festzulegen. Oder um die Wettbewerber von Änderungen der eigenen Preispolitik in Kenntnis zu setzen. Unter Punkt 9 d) kann man lesen „issuing announcements of increases on cer-tain surcharges in accordance with the coordination and agreements and understandings reached.“ Die Firma kann solche Ankündigungen nicht in Worte fassen.

Durch die Anklageschrift gerät besonders Ulrich Ogiermann unter Druck. Denn die US-Justiz knöpft sich nicht etwa prinzipiell die CEOs der an den Absprachen beteiligten Firmen vor, weil sie die ranghöchsten Entscheidungsträger sind. Im Gegenteil bedauerte der Richter, der Qantas-Mitarbeiter McCaffrey im Juli 2008 verknackte, dass dessen Vorgesetzte nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Ogiermann seinerseits wird zudem auch für die Zeit belangt, als er selbst noch nicht CEO, sondern für den Verkauf zuständiges Vorstandsmitglied war, den Posten, den van de Weg nach Ogiermanns Beförderung auf den Chefsessel übernahm.

Auch deswegen kann man davon ausgehen, dass das Verhältnis zwischen Verwaltungsrat und Vorstand und auch zwischen den Vorstandsmitgliedern angespannt ist. Ebenfalls Ende vergangener Woche einigte sich Cargolux auf einen Vergleich mit den kanadischen Wettbewerbsbehörden. Das Bußgeld beträgt 2,5 Millionen kanadische Dollar. Die Rechnung, die Cargolux für die Beteiligung an dem globalen Luftfrachtkartell bezahlen muss, wird immer höher. Marc Hoffmann zufolge steht man kurz davor, sich mit den amerikanischen Zivilklägern auf einen Vergleich zu einigen.Das dürfte noch einmal teuer werden.

Und für Anfang kommender Woche wird der Bußgeldbescheid aus Brüssel erwartet. Britische Medien berichteten, BA erwarte zum 9. November die Bestätigung dafür, dass man 80 Millionen Euro an die EU-Kartellbehörden entrichten muss. Die EU-Wettbewerbshüter verkünden erfahrungsgemäß allen Kartellteilnehmern gleichzeitig ihr Strafmaß. Bei einem Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr dürfte das Bußgeld für die Cargolux maximal 130 Millionen Dollar be­tragen. Insgesamt dürfte die Rechnung, Bußgelder und Anwalts- sowie sonstige Kosten inklusive, zwischen 200 und 300 Millionen Dollar betragen. Viel Geld, das die Firma, wie Finanzvorstand David Arendt bei vergangenen Pressekonferenzen immer wieder deutlich machte, nicht aus dem Kleingeldportemonnaie bezahlt. Das wird die finanzielle Situation der Gesellschaft auch in den kommenden Jahren noch belasten.

Ein Umstand, der auch den Verwaltungsratmitgliedern präsent sein dürfte, wenn sie sich, wie Hoffmann sagt, innerhalb der nächsten zwei Wochen treffen und über die Personalie Ogiermann beraten. Ob sie ihm weiterhin ihr Vertrauen geben wollen, zumindest bis Prozessende, weil alle Beteiligten, die sich äußern, betonen, dass jeder Angeklagte unschuldig ist, bis das Gegenteil bewiesen ist? Vielleicht aber sitzt die Wut wegen des vielen in Form von Bußgeldern verprassten Geldes zu tief – immerhin mussten Ende 2009 Staat und Luxair dringend Kapital zur Verfügung stellen, um die Firma zu stützen. Und es setzt sich die Ansicht durch, dass die Absprachenaffäre Ogiermann, ob persönlich unschuldig oder nicht, als Vorstandsvorsitzenden so geschwächt hat, dass man ihm in Erwartung des Urteils beschränkte Handlungsfähigkeit attestiert und einem neuen Kapitän das Kommando übergibt? Die anstehenden Verhandlungen über einen neuen Kollektivvertrag, die versprechen schwierig zu werden, soll Gewerkschaftsinformationen zufolge Finanzchef David Arendt leiten, nicht Ogiermann. Ob man das große Projekt der Flottenumstellung, die kommendes Jahr mit der Lieferung der ersten 747-8 endlich beginnen soll, auch lieber jemand anderem anvertrauen will?

Michèle Sinner
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