Drogenpolitik

Letzte Chance

d'Lëtzebuerger Land vom 08.03.2007

Es gibt Themen, da treten Politiker mitunter recht bescheiden auf. Statt ihre Vorhaben an die große Glocke zu hängen, wird plötzlich eine bemerkenswerte Behutsamkeit an den Tag gelegt. Dass dies keineswegs allein bei Negativschlagzeilen geschieht, zeigen die jüngsten Pläne des Gesundheitsministeriums, endlich Nägel mit Köpfen in punkto kostenloser Vergabe von Heroin anSchwerst-Drogenabhängige zu machen.

Als am Mittwoch vor einer Woche erstmals der 2002 vom damaligenGesundheitsminister Carlo Wagner (DP) ins Leben gerufeneGroupe interministeriel toxicomanie unter seinem neuen Präsidenten,dem nationalen Drogenkoordinator Alain Origer, zusammentraf,um über weitere Maßnahmen im Rahmen des Drogen-Aktionsplans2005-2009 zu beraten, stand auch die begrenzte Heroinabgabeauf der Tagesordnung – als ein Diskussionspunkt neben anderen.Dabei handelt es sich hierbei um eine überaus bemerkenswerte Erweiterung in der nationalen Drogenpolitik. Nach England, der Schweiz, Holland, Deutschland, Spanien und zuletzt Belgien könnte Luxemburg somit das siebte Land in der Europa sein, das langjährigen Süchtigen synthetisches Heroin aushändigt – als Medikament, wenn alle anderen Behandlungsmethoden nicht mehrweiterhelfen. „Es geht darum, einer begrenzten schwer süchtigen Personengruppe ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen“, beschreibt Drogenkoordinator Alain Origer Sinn und Zweck der Maßnahme. Ein ehrenwertes Ziel und ein realistisches dazu, wie ausländische Untersuchungen belegen.

In England, der Schweiz und den Niederlanden, Vorreiterländer bei der staatlich kontrollierten Heroinabgabe, hatten Testläufe so gute Resultate erzielt, dass inzwischen auf Regierungsebene überlegt wird, vom Modellversuch auf Regelversorgung umzustellen respektive teilweise auch schon umgestellt wurde1. Nur in Deutschland tun sich vor allem Politiker der CDU/CSU weiterhinschwer damit, die staatlich kontrollierte Abgabe flächendeckend zu erlauben, obwohl Begleitstudien zu den in sieben deutschen Städten laufenden Pilotprojekten ebenfalls breiten Erfolg meldeten: Von knapp tausend ausgewählten Schwerst-Opiatabhängigen wurde rund die Hälfte mit Methadon substituiert, die andere Gruppe bekam unter ärztlicher Aufsicht synthetisches Heroin, so genanntes Diamorphin, verabreicht. Den mit Diamorphin behandelten Patienten ging es in 80 Prozent der Fälle gesundheitlich deutlich besser, während es bei der Methadon-Gruppe 74 Prozent waren. Die Heroin-Gruppe konsumierte weniger illegale Drogen nebenher, und was besonders bedeutsam war: Doppelt so viele Heroin-Patienten konnten sich aus der Kriminalität lösen, sie waren sozial besser integriert, jeder vierte zuvor erwerbslose Junkie fand gar einen Arbeitsplatz. Die zuständige Behörde empfahl daraufhin die Zulassung als Medikament – die Kritiker gingen empört auf die Barrikaden und polemisierten gegen den „Staat als Dealer“ und den „Kick auf Krankenschein“.

Die Angst vor populistischen Scharfmachern erklärt wohl auch das momentane Understatement seitens der Politik hierzulande. Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo möchte eine öffentliche Debatte zum jetzigen Zeitpunkt lieber vermeiden. „Erst einmal sollen die Experten in Ruhe einen kohärenten Plan entwickeln“, sagte er dem Land. Einen entsprechenden Auftrag hat di Bartolomeo dem aus Vertretern von Familien-, Erziehungs-, Justiz- und Gesundheitsministerium, sowie Polizei, StaatsanwaltschaftundDrogeneinrichtungen zugesetzte interministerielle Gremiummit auf den Weg gegeben. Sie sollen in den nächsten Wochen undMonaten ihre Positionen und Vorschläge darlegen, wie die Heroinabgabe am besten organisiert werden könnte. Denkbar ist laut Alain Origer eine kontrollierte Abgabe durch lizenzierteAllgemeinmediziner wie in England, durch szenenahe Drogenberatungsstellen oder durch Krankenhäuser. Letzteres hätte den Vorteil, dass „alle medizinische Hilfe direkt vor Ort“ wäre, so Origer. Die höheren Behandlungskosten wegen der umfassenden medizinischen Betreuung – schätzungsweise 200 000 Euro für sieben neue Posten – würden durch ausbleibende soziale Folgekosten durch sinkende Beschaffungskriminalität und Arbeitslosigkeit ausgeglichen.

Sämtliche Akteure (von den Süchtigen abgesehen) aus dem Drogenbereich von vornherein mit einzubeziehen, ist ein kluger Schachzug, den der LSAP-Minister bereits bei der Einrichtung der Fixerstube vollzogen hatte und der auch dieses Mal Bedenken und Widerstände rechtzeitig offen legen dürfte. Vorsorglich betont Di Bartolomeo, das Heroin-Projekt diene als „ein komplementärerBestandteil der Risikominderung unter anderen“. Es soll bloßnicht der Eindruck entstehen, der Staat würde Heroinabhängige plötzlich begünstigen. Noch ist unklar, wie die Öffentlichkeit auf die geplante Neuerung reagieren wird. Im Regierungsprogrammhaben die Koalitionsparteien CSV und LSAP die eingeschränkte Heroinabgabe unter dem Stichwort „Suchtkrankheiten“, wenngleich dezent2, ausdrücklich festgehalten. Bei der parlamentarischenDrogendebatte Ende Juni vergangenen Jahres rief die CSV-Abgeordnete Martine Stein-Mergen (CSV) dem Koalitionspartner gar ein „Allez, Här Gesondheetsminister,realiséiert ons dësen Deel och nach!“ zu. Nachdem die Drogenpolitik jahrzehntelang ein Schmuddelkinder-Dasein fristete, steht heutzutage selbst im CSV-Wahlprogramm von 2004 die Heroinabgabe drin – insofern dürfte der Gegenwind eher aus anderer Richtung blasen. Wenn überhaupt.

Zumindest den Politikern müsste inzwischen einleuchten, dass Luxemburg mit seiner im europäischen Vergleich relativ hohen Zahl an Suchtkranken ein gravierendes Drogenproblem hat. Dadurch, und durch die deutlich niedrigeren Drogentotenzahlen im vergangenen Jahr3, erklärt sich auch, warum die befürchtete öffentliche Kritik an der im Juli 2005 eröffneten provisorischen Fixerstube Tox-in weitgehend ausgeblieben ist – Anwohner mit Nimby-Reflexenund Gemeindepolitiker agierten eher hinter den Kulissen, die Suchenach einer dauerhaften Bleibe des Drogenkonsumraums verzögerte sich, die Finanzierung blieb trotz anders lautender Ankündigungen aus der Hauptstadt dem Staat überlassen. Inzwischen sind diese Probleme annähernd behoben: Fürs Tox-in wurde ein Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite gefunden; dank einer Aufstockung des Personals um zweieinhalb Stellen sollen in den nächsten Wochen und Monaten die Öffnungszeiten verlängert werden, so Tox-In-Leiterin Monika Graser.

Dass der Gesundheitsminister bei einer insgesamt doch recht positiven Zwischenbilanz eine öffentliche Debatte derzeit lieber vermeiden will, hat vielleicht noch einen anderen Hintergrund.Denn neben den Hardlinern könnten umgekehrt die Befürworter einer liberaleren Drogenpolitik die Heroinabgabe als Anlass nutzen, um den bisherigen drogenpolitischen Ansatz des Gesundheitsministersgrundsätzlich zu hinterfragen. Die Jugendorganisation Lifeforderte vor wenigen Tagen die Regierung zum wiederholten Male auf, Cannabis endlich zu legalisieren: Die gefährlichere Volksdroge Alkohol sei schließlich auch nicht verboten. In der Schweiz überlegt die Regierung neuerdings, nach langen Jahren restriktiver Handhabung, den Konsum von Cannabis zu erlauben, so wie esin den Niederlanden seit 1978 der Fall ist. Ein Vorbild für Luxemburg? „Ich kann doch nicht Cannabis legalisieren, wenn ich mich gleichzeitig für ein Verbot von Tabak und Alkohol stark mache“, wehrt Mars di Bartolomeo derlei Ansinnen energisch ab, als wäre eine Entkriminalisierung der Droge gleichbedeutend mit einer Harmlosigkeitserklärung. Nach Zigaretten und Alkopops will er auchdenMissbrauchvon Alkohol thematisieren. Aus Jugendschutz- Gründen komme eine Legalisierung von Cannabis nicht in Frage, so der LSAP-Politiker und ehemalige Raucher, der zudem auf erhöhte THC-Werte (Tetrahydrocannabinol) heutiger Joints verweist: „Wer Cannabis bagatellisiert, macht den Weg frei in die Drogenabhängigkeit“.

Die Null-Toleranz-Politik ist aber nicht so kohärent, wie sie auf denersten Blick scheint – und als Mittel zur Prävention eher kontraproduktiv. Das luxemburgische Cannabis-Konsumverbot von 2001 gilt für alle Altersgruppen, nicht nur für schützenswürdigeKinder und Jugendliche. Die Tatsache, dass der Konsum trotz Verbot vor allem bei Jugendlichen in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hat, erklärt der Minister damit, dass „die Message nie so klar angekommen“ sei. Die Polizei drückt, mit Einverständnis der Politik, bei erstmaligem Cannabis-Gebrauch meistens ein Auge zu, mit dem 2001-er-Gesetz wurden zudem mildere Strafen für den Konsum festgelegt. Der Blick ins Ausland zeigt jedoch,dass ein konsequenterer repressiver Ansatz an Grenzen stößt: Die Strafverfolgung in Deutschland gegen Cannabis-Konsumenten Ende der 90-er Jahren hat dort, das belegen Studien, zu keinen niedrigeren Konsumentenzahlen geführt als in den Niederlanden, wo man seit fast 30 Jahren einen liberalen Umgang mit Hanf pflegt, ohne den Konsum zu kriminalisieren. In dem für seine harte drogenpolitische Linie bekannten Bayern sterben jährlich mehr Menschen an illegalen Drogen als in den Niederlanden.

DasArgument, durcheinen höheren THC-Gehalt sei die Suchtgefahr, die vom Cannabis-Konsum ausgehe, in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen, stimmt so pauschal ebenfalls nicht. Die von Liberalisisierungsgegnern gern zitierte Studie des Bremer Hirnforschungsinstituts, wonach bei dauerhaftem Cannabis-Konsum bei Rattenversuchen langfristige Änderungen im Gehirn festgestellt worden seien, ist mit großer Vorsicht zu genießen. Nicht nur die Übertragbarkeit auf den Menschen ist fragwürdig, der Cannabis-Wirkstoff THC wurde bei dem Experiment gar nicht verwendet, sondern das wesentlich stärkere synthetischhergestellte WIN2; zudem wurden in tendenziösen Presseberichten Werte falsch wieder gegeben.

Die Europäische Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA), der Parteinahme für eine liberalisierteDrogenpolitik unverdächtig, hat 2004 die THC-Werte in Cannabis-Produkten in ganz Europa untersucht, mit dem Ergebnis: „There is no evidence of asignificant increase in potency“.4 Einzige Ausnahme sind die Niederlande, wo zwischen 2001 und 2002 THCAnteile von durchschnittlich 16 Prozent (statt sechs bis acht) gemessenwurden. Laut Drogenexperten ist dies eine Folge des verstärkten Anbaus in heimischen Labors: Weil der Import von Hanf in den Niederlanden verboten ist, wird Cannabis statt als Freilandprodukt immer häufiger unter Laborlampen hergestellt. Die künstlich optimierten Wachstumsbedingungen führen zu höherenRauschstoffkonzentrationen. Seit geraumer Zeit hat auch die nationale Beobachtungsstelle in Luxemburg erhöhte THC-Werte in Cannabis gemessen, laut Origer handelt es dabei aber um Ausnahmen.

Steigen die THC-Werte eines Tages tatsächlich dauerhaft an, wäre das aber noch lange kein Grund für (noch) mehr Repression und Strafverfolgung. Im Gegenteil: Würde Cannabis ab einen bestimmten Alter erlaubt und würden THC-Grenzwerte staatlich vorgeschrieben, wären staatliche Kontrollen besser möglich. Dass ein europaweit höherer THC-Wert Regierungen zum Überdenken einer repressiven Cannabis-Präventionspolitik zwingen könnte, will selbst der nationale Drogenberater nicht ausschließen. Doch leider zählen in der drogenpolitischen Debatte eben meist nicht pragmatische Lösungen und wissenschaftliche Fakten, sondern Ideologien und Meinungen.

Die Befürworter einer Legalisierung von Cannabis werden sich in Luxemburg jedenfalls weiter gedulden müssen: „Mit mir ist das nicht zumachen“, da ist der Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo kategorisch. 

1 In der Schweiz wurde die Heroinabgabe im Dezember vergangenen Jahres gesetzlich geregelt, in den Niederlanden Anfang dieses Jahres.

2 „Pour les personnes gravement dépendantes, il sera développé un projet de mise à disposition de drogues sous controle medical.”

3 Dieses Jahr wurden bereits fünf Drogentote gemeldet. Eine mögliche Ursache für den neuerlichen Anstieg könnten laut nationalem DrogenkoordinatorFehldosierungen in Folge von Qualitätsschwankungen bei der Zusammensetzung der Drogen sein.

4www.emcdda.eu.in

Ines Kurschat
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