Die ADR erhofft sich eine zweite Jugend durch die liberale Koalition

Rechtes Familientreffen

d'Lëtzebuerger Land vom 09.03.2018

Als die liberale Reformkoalition von DP, LSAP und Grünen Ende 2013 antrat, versprach sie, die Fenster weit aufzureißen, um den CSV-Staat zu entstauben. Sie erlaubte die gleichgeschlechtliche Ehe, lockerte das Abtreibungsverbot, trennte Kirche und Staat, verwurstete mit Rifkin und Asteroidenbergbau die Heemecht zu Nation­branding, säkularisierte den Nationalfeiertag und berief ein Referendum über das legislative Ausländerwahlrecht ein. Das verwirrte und ärgerte all jene, denen Tradition, Familie, Heimat, Thron und Altar heilig sind.

Die CSV spekuliert darauf, diesen Ärger und diese Verwirrung bei den Kammerwahlen am 14. Oktober in Stimmen umzumünzen und zurück an die Regierungsmacht zu kommen. Doch zu ihrer Rechten macht sich auch die ADR Hoffnungen, ihren seit 15 Jahren anhaltenden Niedergang mit den Stimmen der von DP, LSAP und Grünen Verwirrten und Verängstigten zu beenden.

So bemüht sich die ehemalige Rentenpartei, zur Sammlungsbewegung all jener zu werden, die die Luxemburger Natur und Kultur gegen Überbevölkerung und Überfremdung verteidigen wollen. Es sei sein „Wunsch gewesen, nach dem Referendum 2015 es fertigzubringen, all die Leute zusammenzubringen, die sich damals im Referendum zusammen engagiert hatten für das Nein, das dreifache Nein, und vielleicht etwas gemeinsam mit ihnen im Rahmen der Wahlen 2018 machen zu können“, bekannte ADR-Präsident Jean Schoos am Freitag. Schließlich sei „die ADR die einzige Partei gewesen, die sich von Anfang an ganz klar auf die Seite des Nein geschlagen“ habe, erinnerte er, während „der CSV erst am Tag nach dem Referendum das dreifache Nein eingefallen“ sei.

Die ADR kündigte am Freitag an, dass sie für die Kammerwahlen Fred Keup auf ihrer Liste im Südbezirk aufstellen werde. Frederic Keup ist ein 37-jähriger Erdkundelehrer aus Kehlen, der in Mamer wohnt und in Esch-Alzette unterrichtet. Nachdem er sich einige Zeit politisch umgesehen hatte, bald bei déi Lénk, bald bei der CSV, fand er vor drei Jahren im Referendum vom 7. Juni 2015 seine politische Berufung – wenn nicht sie ihn. Er lehnte die Vorstellung ab, dass Ausländer an den Kammerwahlen teilnehmen könnten, und tat das, was zu tun war, als die CSV noch aus Angst vor dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit zögerte, ein Tabu zu brechen: Er schuf dort, wo Rentner ihre Zeit mit Katzenfotos totschlagen, auf Facebook, eine Seite mit dem Titel „Nee2015“.

Damit war der Mamer Erdkundelehrer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Radio, Fernsehen und Zeitungen, die im Augenblick, als die Stimmung laut Meinungsumfragen umkippte, verzweifelt nach einem Gesicht für die Gegner des Ausländerwahlrechts suchten, reichten ihn sich als eine Art offiziellen Sprecher herum. Das wurde auch möglich, weil er schlau genug war, nicht im eigenen Namen zu sprechen, sondern sich als Sprecher einer Bewegung ausgab, die in Wirklichkeit eine Art Briefkastenfirma war. Um sich den Alleinvertretungsanspruch auf seine Briefkastenfirma zu sichern, gründete er am 10. April zusammen mit seiner Ehefrau Rita Figus und einem Kollegen aus dem Kehlener Fußballverein, Steve Kodesch, eine Art Holding dafür, den Verein Nee zum Auslännerwahlrecht asbl.

Nach dem Referendum zog Fred Keup sich nicht wieder in die Anonymität zurück, sondern hatte Gefallen am Scheinwerferlicht gefunden. Flink taufte er sich von „Nee 2015“ in „Wee 2050“ um. Nun wollte er im Namen der „80 Prozent“ sprechen, die mit Nein gestimmt hatten, und an liebsten bei den Wahlen mitmischen. Da kam ihm nach Sondierungen bei der CSV das Angebot von ADR-Generalsekretär Alex Penning gelegen, auf einer ADR-Liste zu kandidieren. Alleine hätte er es vielleicht nicht geschafft, genügend Kandidaten zusammenzubringen, die nötigen Unterschriften zu finden, um Listen zu deponieren, einen Wahlkampf zu führen, Sendezeiten und staatliche Wahlkampfkostenerstattung zu erhalten... Offi­ziell kandidiert Fred Keup nicht auf der Südliste der ADR, sondern die ADR geht, ähnlich wie 2008 mit Fernand Kartheisers Association des hommes du Luxembourg, eine Synergie mit seiner Briefkastenfirma ein. Theoretisch überlässt die ADR Fred Keup bis zu acht ihrer 60 Listenplätze. So sieht Keup wie ein gleichberechtigter Partner aus und die ADR profitiert von dem Markennamen aus der Referendumskampagne.

Zuvor war es der ADR schon gelungen, Lucien Welter aufzunehmen, den Initiator der Unterschriftensammlung, mit der das Luxemburgische zur Amtssprache im Land gemacht werden sollte (d’Land, 20.1.2017). Der inzwischen pensionierte Angestellte des Gemeindesyndikats Sigi hatte vor anderthalb Jahren auf der Internetseite des Parlaments einen kleinen Aufstand jener angezettelt, die im liberalen Wettbewerb mit qualifizierteren Einwanderern und Grenzpendlern, mit weltgewandten Steuerberatern und Bankern ihren sozia­len Abstieg durch die Aufwertung ihrer Luxemburgischkenntnisse verhindern wollen. Dabei hatte Welter sich gegen einen Vereinnahmungsversuch durch Fred Keup und dessen Mitstreiter, den sehr rechten Unternehmer und Physiker Tom Weidig, gewehrt.

Fred Keup und Tom Weidig sind seit Mai vergangenen Jahres Vorstandsmitglieder der Actioun Lëtzebuergesch, die sich bisher stets nach ganz rechts abzugrenzen versuchte, aber mangels Nachwuchs kurz vor der Auflösung stand. Die Actioun Lëtzebuergesch kündigte am Dienstag an, dass Keup sein Mandat bei den Sprachsäuberern bis zu den Wahlen ruhen lässt.

Aus Lucien Welters kurzzeitigem Erfolg will die ADR nun ebenfalls Kapital schlagen. Deshalb brachte er es gleich zum Vizepräsidenten des Bezirks Zentrum. Nun stufte der Bezirksvorstand sogar seinen Präsidenten, den ehemaligen Generalstabschef Mario Daubenfeld, zum Vizepräsidenten zurück und machte Lucien Welter zum Bezirkspräsidenten.

Die ADR erhofft sich von ihren neuen Kandidaten, den einen oder anderen Sitz hinzuzugewinnen, was allerdings auch auf Kosten der alten Kandidaten gehen könnte. Bleibt es bei den zwei Sitzen im Süden, könnte Fred Keup Zweitgewählter werden und so den kurzzeitigen Parteipräsidenten ­Fernand Kartheiser um sein Mandat bringen, der 2013 nur halb so viele Stimmen wie der Erstgewählte, Gast Gibéryen, erhalten hatte. Vielleicht bekommt sogar der neue Kandidat Lucien Welter im Zentrumsbezirk mehr Stimmen als der Abgeordnete Roy Reding.

Getrieben vom Wahn, dass die Ausländer die Nationalsprache bedrohen und die nationale Umwelt belasten, rücken die Neuzugänge die ADR weiter nach rechts. „Die Zukunft der Luxemburger Sprache, mit einem richtigen Gleichgewicht auch zwischen den anderen Sprachen, Deutsch, Französisch, Englisch, wie auch das unkontrollierte, zu schnelle Wachstum, das sind die beiden wichtigsten Themen für die Zukunft in diesem Augenblick hier im Land und zur Zeit des Wechsels“, legte Fred Keup am Freitag bei der ADR dar. So versucht die ADR nicht nur, im internationalen Trend von Trump und Brexit, Front national, AfD und Lega zu liegen. Sie hofft auch, wieder eine politische Identität zu finden.

Nach den Rentenreformen hatte das ehemalige Aktionskomitee 5/6-Pensionen für jeden versucht, bald zur skandalträchtigen Antipartei, bald zur EU-feindlichen Nationalistenpartei, bald zur Partei der verbitterten Mindestlohnbezieher und Kleinrenter zu werden. Doch sie wusste weder sich Gehör beim Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag 2005, noch im Geheimdienstskandal 2013 zu verschaffen. Um endlich Kapital aus dem Referendum von 2015 zu schlagen, musste sie nun den Facebook-Tribun Fred Keup einkaufen, während ihre Abgeordneten, ein ehemaliger Gewerkschafter, ein liberaler Anwalt und ein katholischer Kulturkämpfer, wie drei verschiedene Einmannparteien auftreten.

Doch während die politische Stimmung für die ADR zu sprechen scheint, muss sie am 14. Oktober erstmals in ihrer Geschichte gegen die Konkurrenz einer anderen rechten Opposi­tionspartei antreten. Die CSV schürt selbst schon „Wachstumsdebatte“ genannte malthusianistische Panik. Sie vertraut darauf, dass rechte Wähler auf Nummer sicher gehen und die CSV wählen, wenn sie DP, LSAP und Grüne los werden wollen. Die Meinungsumfragen, die bei vorherigen Wahlen die ADR regelmäßig überwertet hatten, versprachen der ADR Ende vergangenen Jahres vier Sitze, einen mehr als derzeit, aber deutlich weniger als die sieben zu ihrer Glanzzeit 1999.

Romain Hilgert
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