Wozu dient das Jugendparlament?

„Wou de Schung dréckt“

Mitglieder des Jugendparlaments vorigen Freitag beim Hearing in der Kammer
Foto: Abgeordnetenkammer
d'Lëtzebuerger Land vom 11.07.2025

Am Freitag vergangener Woche leitete der Präsident der Abgeordnetenkammer Claude Wiseler die Sitzung nicht alleine. Rechts neben ihm in der Bank saß Niels Huberty, der Präsident des Jugendparlaments. Auf der Tagesordnung stand das jährliche Hearing, bei dem das Jugendparlament seine Resolutionen vorstellt.

Beim Jugendparlament handelt es sich um ein Projekt des Jugendrates, der es organisatorisch und pädagogisch unterstützt. Es besteht aus einem Exekutivbüro, das die Leitung innehat, sowie fünf festen Ausschüssen, die im Zeitraum von Oktober bis Juni jeweils eine Resolution ausarbeiten. Die Institution bietet ihren momentan 157 Mitgliedern die Möglichkeit, junge Menschen zu repräsentieren und dabei politische Akzente zu setzen. Durch das jährliche Hearing können die Jugendlichen sich mit der nationalen Politik austauschen und mitteilen, „wou de Schung dréckt“, wie Wiseler zu Beginn der Sitzung sagte.

Die Sitzung begann am Freitagmorgen mit der Resolution des Ausschusses für Auswärtige und europäische Angelegenheiten, Verteidigung, Entwicklungshilfe und Immigration. Die Resolution war der Reform der demokratischen Prozesse in der EU gewidmet. Das Jugendparlament fordert mehr Transparenz und Demokratie, zwei klassische Kritikpunkte, die der EU nicht zum ersten Mal vorgehalten werden. Die Resolution greift Desinformation, mangelnde Transparenz in Sachen Lobbyismus und undurchsichtige Gesetzgebungsprozesse auf. Interessant ist der Vorschlag, das Amt der Kommissionspräsidentin durch Direktwahl zu besetzen. Das würde klar zur Transparenz beitragen, riskiert aber, dass EU-Bürger/innen sich eher an Nationalitäten als an Inhalten orientieren würden. Wie das Beispiel von Nicolas Schmit, 2024 Europa-Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, gezeigt hat, sind viele zentrale Persönlichkeiten sehr unbekannt außerhalb ihrer Herkunftsländer.

Anschließend stellte die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit dessen Resolution zur Vollendung des EU-Binnenmarkts vor: mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Investitionen, eine Vier-Tage-Woche und mehr Handelsabkommen, wie etwa Mercosur. Damit bleibt die Resolution den neoliberalen Tendenzen der EU-Wirtschaftspolitik treu. Klimaschutz oder nachhaltige Energie fand keinen Platz in der Resolution, wie auch die Abgeordnete Sam Tanson von den Grünen anmerkte.

Dass der Schwerpunkt auf der EU-Ebene lag, wenn national Themen wie die Renten hochaktuell sind, ist interessant. Verständlich sei es auch, erläutert Jugendparlamentspräsident Huberty im Gespräch mit dem Land: Bei der Auswahl der Themen werde auf die Aktualität geachtet. Entscheidend seien aber die Interessen der im Durchschnitt 17-jährigen Mitglieder des Jugendparlaments. Welches Thema ein Ausschuss bearbeitet, legen seine Mitglieder in einer Abstimmung fest. „Die Renten standen bei der Themenauswahl nicht zur Diskussion“, erläutert Huberty, betont jedoch, dass es sich trotzdem um „ein wichtiges Thema für junge Menschen“ handele.

Weiter ging es mit einer Resolution zur Verbesserung der Mobilität sowie einer zur Reform von Praktika. Die traf bei vielen Abgeordneten auf Resonanz. „Bei mir rennt Dir domadder oppen Dieren an“, reagierte die sozialistische Abgeordnete Francine Closener.

Den Abschluss machte der Ausschuss für Chancengleichheit, Integration, Kultur und Jugend mit einer Resolution zur Unterstützung und sozioökonomischen Wiedereingliederung von Wohnungslosen. Vor dem Hintergrund der kommunalen Bettelverbote kann die Resolution als unterschwellige Kritik daran verstanden werden. Niels Huberty unterstreicht, es gehe in der Resolution primär darum, „wie man Menschen wieder in die gesellschaftliche Mitte zurückführen kann“.

Seitdem das Jugendparlament 2008 ins Leben gerufen wurde, hat es sich zu einer Art Sprungbrett für die nationale Politik entwickelt. Die EU-Abgeordnete Martine Kemp von der CSV war in der Periode 2011-2012 Vizepräsidentin des Jugendparlaments. Jana Degrott von der DP war von 2014 bis 2015 Generalsekretärin und Jessie Thill von den Grünen, die von 2022 bis 2023 Abgeordnete war, gehörte von 2014 bis 2015 dem Exekutivbüro an. Auch die Abgeordneten Djuna Bernard von den Grünen und Alex Donnersbach von der CSV, die beide am Freitag anwesend waren, haben sich im Jugendparlament engagiert. Die Mitglieder des Jugendparlaments sind an parteipolitische Neutralität gebunden. Sie dürfen Mitglied einer Partei sein, aber Parteiämter zu bekleiden und sich öffentlich zu Präferenzen ihrer Partei zu
äußern, ist ihnen nicht erlaubt.

„Es ist kein Geheimnis, dass viele nach einer Mitgliedschaft im Jugendparlament in die nationale Politik übergehen“, meint Niels Huberty. Er persönlich wolle sich aber vorerst auf sein Studium konzentrieren. Bei der Wahl der Studienrichtung habe seine Zeit im Jugendparlament eine grundlegende Rolle gespielt. „Vorher wollte ich Ingenieur werden, jetzt studiere ich Security Studies.“ So gesehen, habe das Jugendparlament seine beruflichen Aspirationen maßgeblich definiert, „und ich bin mir sicher, dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht“, erläutert er.

Richard Gerdemann, Vize-Generalsekretär des Jugendparlaments, berichtet dem Land von ähnlichen Erfahrungen. „Das Jugendparlament hat eine ausschlaggebende Rolle bei meiner Entscheidung gespielt“, erzählt Gerdemann, der seit September vergangenen Jahres Geschichte und Politologie studiert. „Ob ich mich später in der nationalen Politik sehe, lasse ich offen. Politik liegt mir aber durchaus am Herzen“, meint er. Einige Mitglieder hätten eine politische Karriere bereits in den Startlöchern stehen. Im Jugendparlament seien viele, die „wirklich was auf dem Kasten haben“. Auch Alexandra Somesan, der Generalsekretärin, half das Jugendparlament beim Finden des Studiengangs: „Am Ende entschied ich mich für Psychologie, weil ich gemerkt habe, dass ich meine Karriere nicht ausschließlich auf Politik aufbauen möchte. Aber wer weiß, ich würde das trotzdem nicht ausschließen.“

Sowohl Niels Huberty als auch Richard Gerdemann heben die soziale Komponente des Jugendparlaments hervor. „Anfangs habe ich nach einem Ort gesucht, wo ich mich mit Menschen mit ähnlichen Interessen austauschen kann“, schildert Huberty. Das Jugendparlament biete „genau das“. Er habe dort viele gute Freunde kennengelernt. „Man trifft sehr viele Menschen mit unterschiedlichen Lebenswegen und Nationalitäten, sodass man nicht in seiner eigenen Bubble stecken bleibt“, meint Richard Gerdemann.

Dass das Jugendparlament eher ein Projekt ist, das Jugendlichen Politik auf praktische Art näherbringt, als dass es tatsächlich etwas bewirkt, weist Niels Huberty zurück. „Das Jugendparlament hat Einfluss. Die Politik hört uns zu. Das merkt man insbesondere bei nicht-öffentlichen Treffen mit Ministern, aber auch bei Sitzungen wie der am Freitag.“

Claire Meyers
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