Wer wird Minister?

Nordvariante

d'Lëtzebuerger Land vom 16.07.2009

Das Magazin Time widmet diese Woche einen Beitrag der Frage, wer Charisma braucht. Dabei stellt es fest, dass die Wähler in den USA „schöne und heldenhafte“ Präsidenten mit dunklem Haar und schlanker Taille mögen. In Europa seien dagegen Übergewicht oder Haarausfall kein unüberwindbares Hindernis für eine politische Karriere. Vielleicht klingt das beruhigend, wenn in den nächsten Tagen die Zusammensetzung der neuen Regierung beschlossen wird.

Entgegen manchen von Wahl zu Wahl wiederholten Absichtserklärungen wird die neue Regierung mit 15 Mitgliedern nicht kleiner als die bisherige, bleibt also die größte in der Landesgeschichte. Was vor allem damit zu tun hat, dass die LSAP, trotz des Verlustes eines Parlamentssitzes, um keinen Preis eine Reduzierung ihrer Ministerzahl hinnehmen wollte. Dies hätte sie als Wahlverliererin abgestempelt und wäre von der mit gehörigem Misstrauen gegenüber der CSV ausgestatteten Parteibasis nur schwerlich gutgeheißen worden. Dass die CSV zwei Sitze hinzugewann, wird aber damit honoriert, dass die bisherige Staatssekretärin Octavie Modert in den Ministerrang erhoben wird.

Die Zusamensetzung der Regierung, die manche mehr interessiert als die programmatische Ausrichtung einer Koali­tion, wird gerne etwas mystifiziert. So als schäme man sich vor den Kompetenz und Erfahrung erwartenden Wählern für das schlichte Prinzip, nach der sie funktioniert: Jede Partei nimmt die Bestgewählten der einzelnen Bezirke, die Ressortverteilung kommt später. Das wurde 2004 so praktiziert. Einzige Ausnahme bei der CSV war Jean-Louis Schiltz, der einige Bessergewählte überspringen durfte. Bei der LSAP konnte Lu­cien Lux Minister werden, weil Alex Bodry nach dem Unfalltod von Marc Zanussi den Bürgermeisterposten in Düdelingen verteidigen musste, und Nico Schmit wurde als nicht gewählter Technokrat in die Regierung berufen, um den EU-Ratsvorsitz zu verwalten.

Weil Minister dank ihres höheren Bekanntheitsgrads meist gut gewählt werden und der erstmalige Verzicht auf Doppelkandidaturen zu den Landes- und Europawahlen das schlichte Prinzip noch schlichter macht, sieht es nun so aus, als ob CSV und LSAP nicht nur beim Programm, sondern auch bei der Zusammensetzung der Regierung möglichst auf Überraschungen verzichten wollen. Schließlich bleibt der CSV lediglich ein kleines personelles Problem im Osten und der LSAP eines im Süden zu lösen. Die Lösung für beide Parteien könnte bei ihren Parteisekretären im Norden liegen.

Sein schlechtes Abschneiden bietet der CSV die Gelegenheit, Minister Fernand Boden nach 30 glücklichen Jahren diskret aus dem Rennen zu nehmen. Statt dem Osten könnte dann dem Norden ein zweiter Minister gewährt werden, in der Person von Generalsekretär Marco Schank. Bei der LSAP kann Parteipräsident Alex Bodry im Süden Anspruch auf die Nachfolge des schlecht gewählten Ministers Lucien Lux erheben. Hält er die Stellung in Düdelingen, könnte die Partei durch die Entdeckung des geografischen Proporz Streitereien im Süden und in Esch-Alzette entgehen und dem Norden einen Minister zugestehen, Generalsekretär Romain Schneider.

Selbst für das politische Kräfteverhältnis im Kabinett bedeutete eine solche Nordvariante keine große Umwälzung. Ein Minister mit ländlich-konservativer Wählerbasis würde durch einen mit ländlich-konservativer Basis und Umweltbewusstsein ersetzt, ein umweltbewusster und gewerkschaftsnaher durch einen sozial engagierten.

Romain Hilgert
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