Ja, es ist immer wieder schön, wenn Bürger ihrem Unmut über die untätige Regierung öffentlich Luft machen. Es kommt in der Folge nur darauf an, ob die Regierung ihren erbosten Bürgern endlich zuhört, wenn die auf erhöhte Lautstärke und Entschlossenheit setzen, oder ob sie sich weiterhin blind und taub stellt. Nach dem Motto: Wir wissen ohnehin alles besser, ihr könnt lärmen und geifern, so viel ihr wollt, wir werden uns keinen Millimeter bewegen. Es sieht ganz danach aus, als habe sich die Luxemburger Regierung vorgenommen, weiter im eigenen Saft zu schmoren und Ansichten und Forderungen der Bürger kurzerhand zu ignorieren.
Jüngst haben rund 800 Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen einen Appell unterzeichnet, der die Regierung auffordert, sofort alle Hebel in Bewegung zu setzen, um der schändlichen Zerstörungswut in Gaza Einhalt zu gebieten. Wie hat die Regierung diesen Appell aufgenommen? Der Adressat, Außenminister Bettel, verlor über das deutliche Anliegen kein Wort. Er hält es nicht für nötig, sich mit 800 Netanjahu-Kritikern auch nur ansatzweise zu beschäftigen. Zur Not kann die Regierung auch die beliebte Antisemitismus-Abrissbirne kreisen lassen und alle Unterzeichner pauschal zu notorischen Judenhassern erklären.
Parallel zum Appell wurde eine gleichlautende, von über 5 000 Bürgern unterzeichnete Petition in der Abgeordnetenkammer diskutiert. Kurz vor der parlamentarischen Anhörung führte der DP-Abgeordnete Gusty Graas als „Invité vun der Redaktioun“ bei RTL vor, wie die Rhetorik der vorauseilenden politischen Kapitulation sich anhört. „D’Biller aus dem Gaza sinn net méi z’erdroen.“ Genau das sagt auch die Petitionärin Dalia Khader. „Den Drock op Israel muss erhéicht ginn, déi Situatioun ass inacceptabel ginn.“ Auch das deckt sich exakt mit dem Inhalt der Petition. Die RTL-Moderatorin Carine Lemmer moniert mehrmals: „Jo, mee et geschitt jo awer
näischt.“ Dann lässt der zutiefst besorgte Herr Graas die Katze aus dem Sack: Europa bewegt sich nicht, also haben auch wir Luxemburger keinen Handlungsspielraum („Mir sinn u sech e ganz ferventen EU-Member“). Wir beklagen uns mit dramatischem Tremolo in der Stimme, aber wir tun nichts. Wir registrieren wortreich den Massenmord in Gaza, aber wir greifen nicht ein. Wir verurteilen verbal die ständige Verletzung des Völkerrechts, aber wir wenden uns ab, wenn es um konkrete Sanktionen geht. Das heißt im Klartext: Abwarten statt handeln, in Kauf nehmen, statt entschlossen zur Tat schreiten.
Mit diesem unerträglichen Doppelmoral-Duktus griff Graas dem Auftritt seines Chefs Bettel vor, der eine Stunde später im Parlament nur nachlegen musste: „Mir hu keng legal Basis, fir Sanktiounen z’ergräifen.“ Eine erbärmliche Finte, mit der Bettel 5 000 Petitions-Unterzeichnern bescheinigt: Ihr seid alle nur Stümper. Ihr kennt nicht einmal die Luxemburger Gesetzgebung. Euren tränenreichen Auftritt auf der parlamentarischen Bühne hättet ihr euch sparen können. Der Petitionärin wird beschieden: Sie haben sich ja jetzt beschwert, das nehmen wir zur Kenntnis, aber damit hat es sich.
Der expeditive Umgang mit besorgten Bürgern, wie ihn auch CEO Frieden pflegt, scheint definitiv Schule zu machen. Originalton Gusty Graas zum Gaza-Debakel: „Den Donald Trump spillt natierlech eng ganz zentral Roll hei.“ Was schließt die Politik aus diesem Befund? Frieden will den Warlord Netanjahu auf keinen Fall hart angehen, er bevorzugt nach eigenem Bekunden den „Dialog“. Den hat er schon mit Orbán praktiziert, das Resultat ist bekannt. Auch den amerikanischen Präsidenten will der CEO unter keinen Umständen brüskieren. „Ich hatte ein kurzes, freundliches Gespräch mit Präsident Trump“, verkündete Frieden mit sichtlichem Stolz nach dem Nato-Gipfel in Den Haag.
Gibt es einen Grund für seine Freundlichkeit? Oder ist hier wieder nur untertänigste Anbiederung am Werk? Und worüber hat der CEO mit Trump gesprochen? Etwa über dessen ekelhaft menschenverachtende Idee, Einwanderer in den Sumpfgebieten von Florida einzusperren und ihnen zynisch einzuschärfen, dass sie beim geringsten Fluchtversuch von Alligatoren und Pythons erledigt würden? Hat Frieden den „Alligator Alcatraz“-Erfinder wenigstens freundlich darauf hingewiesen, dass ein perverses Vorhaben dieser Art gegen alles verstößt, was wir unter elementarer Menschlichkeit verstehen? Hat er dem hemmungslosen Hasardeur geflüstert, dass seine „Big Beautiful Bill“ die gesamte Weltwirtschaft ins Wanken bringt? Oder ging es ihm nur um das Souvenir-Foto? Ich und der mächtige Trump. Mich stört es nicht, mit den schlimmsten Autokraten zu schäkern. Ihr Menschenrechtsfanatiker habt ja alle keine Ahnung. Ich mache Weltpolitik.
Ein emblematisches Foto vom gleichen Nato-Gipfel zeigt unseren Außenminister Bettel und unsere Waffenbeschaffungsministerin Backes, wie sie mit geradezu beatem Gesichtsausdruck vor Trump stehen. Oh, my God, wir dürfen mit dem Monster reden! Der US-Präsident gewährt uns die unschätzbare Gnade, ihm beim Absondern von ein paar belanglosen Floskeln zuzuhören. Wir gehören jetzt zum obersten Kreis. Seht nur, wie devot wir das Monster hofieren! „Do huet een eng Schläimspuer gesinn, déi sou grouss war, datt ee bal drop ausgerëtscht ass“, kommentierte Bettel, der selber zu den Schleimern in der illustren Runde zählte.
Das ständige Auftischen von billigen Ausflüchten, die nur kaschieren sollen, dass kein politischer Wille vorhanden ist, horrende Ungerechtigkeiten zu beenden, wird mehr und mehr zum Kerngeschäft der Politik. Man schiebt auf, wehrt ab, vertröstet, vertagt und verschleppt. Außenminister Bettel ist ein wahrer Meister des nebulösen Schwadronierens. Seine Spezialität ist der irrlichternde Diskurs und das konfuse Drauflosplappern. Er kann und will sich nicht zu einer klaren Haltung durchringen. Dieses unehrenhafte, wankelmütige und charakterlose Auftreten könnte man auch von einer „legalen Basis“ aus betrachten: Erfüllt es nicht den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (refus d’assistance à personnes en danger)? Der gelernte Rechtsanwalt Bettel ist sicher im Bild, welches Strafmaß Akteure erwartet, die bewusst und gezielt Menschen in Not den Beistand verweigern. Vielleicht eröffnet sich hier eine Piste für aktuelle und künftige Bürger-
initiativen: Sie könnten die von Bettel verworfene „Symbolpolitik“ ersetzen durch handfeste Klagen. Wenn Appelle und Petitionen fahrlässig beiseite gewischt werden, bringt das Ausschöpfen juristischer Mittel vielleicht Bewegung in den demokratischen Prozess.
So oder so ist das Fazit bitter: Die Alba-Fraktion (Abwiegler-Leisetreter-Beschwichtiger-Arschkriecher) unter Politikern wächst rasant. Wir werden zunehmend von gestandenen Feiglingen regiert, die Anstand und Würde längst über Bord geworfen haben. Mut zum Widerstand ist ihnen kein Begriff. Ein derart lästiges Attribut überlassen sie den Bürgern, die mit Demonstrationen, Petitionen, Aufrufen und anderen „symbolischen“ Aktionen ihren Menschenrechtsfimmel ausleben können. Diese Feiglinge sind zu leibhaftigen Glycerin-Zäpfchen mutiert, immer auf der Suche nach einem gewaltigen Arsch, in den sie hineinglitschen können. Der Darm des US-Präsidenten bietet offenbar besonders viel Raum. Das Gedränge ist groß, das Getümmel nimmt zu. In dieser üppigen Darmflora ist gewiss noch ein Stehplätzchen frei für drei weltpolitische Fliegengewichte wie Frieden, Bettel und Backes. Sie können sich ja unauffällig an den Beinkleidern von Tech-Giganten und anderen Milliardären festklammern.
Wer sich durch den Trumpschen Fäkalkanal hochgearbeitet hat, ist allerdings nur zum Schein in Sicherheit. Denn er sollte nicht vergessen, wozu die „Suppositoria cum glycerolo et gelatina“ dienen: Es sind Abführmittel. In anderen Worten: Bei der erstbesten Gelegenheit werden die devoten Darmbewohner auf Trumps goldenem Klo entsorgt. Und jetzt? Uns bleibt nur, mit Bertolt Brecht zu klagen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.