Brüsseler Vertragsgipfel

Nationaler Schulterschluss

d'Lëtzebuerger Land du 14.06.2007

Die Europapolitik ist eine schwierige. Der Fraktionsvorsitzende derkonservativen Volkspartei im Europaparlament, Joseph Daul, hatte vor vier Monaten den Vorschlag gemacht, den Europäischen Gerichtshof und die Europäische Investitionsbank von Kirchberg in sein heimatliches Straßburg zu verlegen; die Luxemburger Abgeordnetenkammer und Premier Jean-Claude Juncker hatten sich entrüstet gezeigt (d’Land, 16.02.07).

Doch diese Woche führte die CSV Daul stolz während einer Pressekonferenz als Verbündeten im Kampf um einen Ersatz für den 2005 gescheiterten Verfassungsvertrag vor. Nächste Woche findet der Gipfel statt, der grünes Licht für die Regierungskonferenzgeben soll, die den Ersatzvertrag aushandeln soll. Deshalbveranstaltete die Kammer am Mittwoch eine Orientierungsdebatte.Richtig orientieren sollte die Debatte eigentlich nicht. Denn die Regierung hatte die Marschroute schon Ende Mai festgelegt, und das Parlament sollte nur den nationalen Schulterschluss von Koalition undOpposition demonstrieren. Dadurch sollte die gerade durch ein Veto zugunsten von Ebay und Amazon aufgefallene Luxemburger Stimme in Brüssel mehr Gewicht erhalten, und an der Heimatfront sollte der Regierung der Rücken frei gehalten werden.

Das hat auch funktioniert. LSAPFraktionssprecher Ben Fayot ließeine von CSV, LSAP, DP und Grünen bei Enthaltung der ADR getragene Motion andieRegierung abstimmen, zu der Außenminister Jean Asselborn sich freuen durfte, sie sei „absolut deckungsgleich“mit der Regierungsposition. Das ist sie auch, weil sie der Regierung keinen verbindlichen Verhandlungsrahmen absteckt. Dies ist, so Fayot, nicht die Art des Hauses. 

So gab die Kammer der Regierung nicht nur gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg, sich warmanzuziehen, um nicht „von den Polen und den Engländern“ über den Tisch gezogen zu werden. Sie bekräftigte noch einmal die Wunschliste der Regierung: Der von Luxemburg durch ein Referendum und zwei Abstimmungen im Parlament ratifizierte Verfassungsvertrag soll die Grundlage des neuen Vertrags bleiben. Neue institutionelle Forderungen sollenvermieden und der institutionelle Kompromiss im ersten Teil des Vertrags soll nicht angerührt werden. Die rechtliche Verbindlichkeit der Grundwertecharta soll erhalten blieben, selbst wenn sie bloß zu einem Vertragsanhang wird. Erhalten bleiben sollen die Sozial- und Umweltpolitik sowie die Dienste öffentlichen Interesses als „horizontale“ Vorgaben sowie dieMöglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen in der Innen-, Sicherheits- und Einwanderungspolitik. 

Doch während der Fraktionssprecher der LSAP im Parlament als good cop den europapolitischen Idealisten abgab, bereitete als bad cop der Fraktionssprecher der CSV schon pragmatisch das geneigte Publikum auf die erwarteten Kompromisse vor. Vielleicht auch, damit sich sein Regierungschef als europapolitischer Held nicht später vorwerfen lassen muss, Erwartungen enttäuscht zu haben,die er nie erfüllen konnte. Deshalb fand Laurent Mosar es eine durchaus interessante, auch von Jean-Claude Juncker verteidigte Idee, den dritten Teil des Verfassungsvertrags notfalls zu amputieren, um den ersten, den institutionellen, zu retten. Ist ein solcher institutioneller Vertrag unter Dach und Fach, könne dann „inRuhe“ ein zweiter, „materieller Vertrag“ ausgehandelt werden, in den die politischen Absichtserklärungen des dritten Teils gepackt würden.

Etwas verzweifelt glaubten die meisten Parteisprecher, dass es so etwas wie Gerechtigkeit geben müsse und jene Länder, die den Verfassungsvertrag abgelehnt oder sich an der Ratifizierung vorbeigedrückt haben, eine Minderheit seien und so eine Bringschuld gegenüber den anderen 18 hätten. Aber das erinnerte anihre eigenen Versprechen, aus dem ziemlich knapp entschiedenen Referendum von 2005 irgendwelche Lehren zu ziehen. Als wichtigste Lehren waren die Parteien einige Monate lang wild entschlossen gewesen, Kammer- und Europawahlen an verschiedenen Sonntagen zu veranstalten. Aber daran verloren sieebenso rasch die Lust wie der delegierte Außenminister NicolasSchmit an seinem Internet-Blog, mit dem er die mehrheitlich vertragskritische Jugend für die EU zu gewinnen versucht hatte.

Bei allem nationalen Schulterschluss vor der geplanten Regierungskonferenz bleibt schließlich eine politische Frage offen: Welcher Teil der Wähler wird nun zufrieden gestellt, wenn dieRegierungskonferenz einen Ersatzvertrag aushandelt? Sicher nicht die 109 494 Wähler, die am 10. Juli 2005 einen Verfassungsvertrag guthießen, der verworfen wurde. Aber viellicht auch nicht die 84 221, die einen anderen Vertrag wollten und nun erhalten. Denn der dürfte kaum sozialpolitisch großzügiger sein, wie die meisten es wünschten; wahrscheinlich führt er nicht einmal zu einer nennenswerten Renationalisierung, wie einige verlangten. Und jene, denen die ganze Linie nicht passte, bekommen nun wieder eine Regierungskonferenz hinter verschlossenen Türen vorgesetzt, wie der Grüne Felix Braz sich entrüstete. 

Nur der liberale Charles Goerens gab sich nicht mit den frommenSprüchen von Fayot und Mosar zufrieden. Er meinte, es sei bis heute„nicht gelungen, den beim Referendum aufgerissenen Graben zuzuschütten“, als das Land „in zwei fast gleich große Gruppen“ geteilt war. Weshalb am Mittwoch auch niemand ein Referendum forderte, um den neuen Vertragstext gutzuheißen. Über ihn will das Parlament nächstes Jahr ein drittes Mal abstimmen.

 

Romain Hilgert
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