Vielleicht werden die Renten zum großen Thema für die Kammerwahlen 2028

„Fir eng gewëss Zäit ofsécheren“

Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 18.07.2025

Für Premier Luc Frieden ging am Montag Runde zwei der Tripartite, die nicht so heißen soll, gut aus. Nach der elfstündigen Sitzung vergangene Woche hatte UEL-Präsident Michel Reckinger vor laufender Fernsehkamera erklärt, an den Bestimmungen zu Kollektivverträgen doch nichts zu ändern, sei bloß „die Meinung der Regierung“, aber „nicht unsere“. Der Unternehmerdachverband sehe nach wie vor alle Themen „im Paket“: von den Kollektivverträgen über die Renten bis hin zur Höhe des Mindestlohns. Und „keen Dossier ass zou“.

Doch der Premier hatte vorigen Donnerstag nicht nur um zwei Uhr morgens gegenüber der Presse gesagt, das Exklusivrecht der Gewerkschaften zum Abschluss von Kollektivverträgen bleibe erhalten. Er wiederholte es acht Stunden später im Parlament. Daraus diesen Montag erneut eine Verhandlungsmasse zu machen, hätte einen Riesenkonflikt mit den Gewerkschaften provoziert. Einen „noch nie dagewesenen“, drohte LCGB-Präsident Patrick Dury vorab im „Kloertext“ im RTL-Fernsehen. Wohl wahr. In dem Fall hätte Luc Frieden sich selber, aber auch sein Amt und die Glaubwürdigkeit der Regierung beschädigt. In diese Richtung wollte ihn am Montag die UEL-Delegation nicht drücken. Sie kam nicht zurück auf die Niederlage vorige Woche, Michel Reckinger brachte am Ende der Sitzung ein „ausgeglichenes Abkommen“ nur noch mit der Rentenreform in Verbindung. OGBL und LCGB taten dem Premier den Gefallen, über die Bemerkungen hinwegzusehen, die er beim CSV-Sommerfest in Hesperingen über Gewerkschafter gemacht hatte, die „keine Überstunden gewohnt“ seien. Am Montag nach acht Stunden Diskussionen konnte Luc Frieden den Eindruck erwecken, er habe alles im Griff – als „Brückenbauer“, wie er sich selber nannte, nicht als CEO der Regierung. Und als finde doch eine Tripartite statt, in Fahrwassern, wie Luxemburg sie kennt.

Dabei moderiert der Premier keine Tripartite. Das Treffen vom Montag war dem Vernehmen nach kaum weniger improvisiert als das von vergangener Woche. Es traten keine Experten an, um eine Lage zu beschreiben, auf die zu reagieren sei. Dass zwei Monate Pause eingelegt werden, ehe es am 3. September weitergehen soll, ist ebenfalls Tripartite-untypisch. Der entscheidende Vorteil liegt in der Geheimniskrämerei. Wer so tut, als sei Tripartite, muss nicht mal das Parlament informieren. Wie der Premier, als er vergangene Woche nach der kurzen Kammer-Debatte im Anschluss an seine Regierungserklärung nicht mehr das Wort ergriff, wie eigentlich üblich. Wie Sozialministerin Martine Deprez und Arbeitsminister Georges Mischo diesen Mittwoch, als sie in einer Sitzung der Kammer-Ausschüsse für Arbeit und Sozialversicherung nichts von dem Treffen am Montag preisgaben. Gegenüber RTL brachte der Linken-Abgeordnete Marc Baum vielleicht am besten auf den Punkt, wie eigenartig die Situation ist: UEL und Gewerkschaften informieren nun ihre Gremien. Anschließend, so Baum, wüssten „Hunderte von Leuten“ Bescheid, aber die Volksvertreter/innen nicht. Doch womöglich gibt es für sie nächste Woche noch eine Sitzung im huis-clos. Martine Deprez stellte in Aussicht, das im heutigen Regierungsrat anzusprechen.

Unangebracht ist der huis-clos nicht. Denn in dem vertraulichen Rahmen müssten die Abgeordneten vor allem hören, wie die Regierung sich nach den beiden Sozialronnen die Rentenreform vorstellt. Das könnte Anlass zum Erstaunen geben. Wenn nicht alles täuscht, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Renten zum großen Thema für die Kammerwahlen 2028 werden.

Am Montag waren die Renten der wichtigste Diskussionsgegenstand. Die Tagesordnung, mit der das Treffen vergangene Woche begonnen hatte, wurde weiter eingedampft. Vorige Woche wurde vereinbart, den Punkt Arbeitszeitorganisation ins Ständige Beschäftigungskomitee CPTE zu verfrachten, in dem OGBL und LCGB nach Luc Friedens Zusage zu den Kollektivverträgen wieder mitarbeiten. Im Oktober soll überprüft werden, wie weit diese Gespräch gekommen sind. Die Runde am Montag vereinbarte, die Idee des Arbeitsministers, den Mindestlohn kleinzurechnen, indem aus Medianlohn und Durchschnittslohn die im öffentlichen Sektor gezahlten Gehälter ausgeklammert würden, ruhen zu lassen, bis der Europäische Gerichtshof voraussichtlich im Herbst über die Klage Dänemarks und Schwedens gegen die EU-Mindestlohnrichtlinie entscheidet. Kippt die Richtlinie, ist die Berechnung des Mindestlohns kein Thema mehr. Der Abdeckungsgrad des Privatsektors durch Kollektivverträge auch nicht.

Zur Sonntagsarbeit im Einzelhandel und den Ladenöffnungszeiten näherten Regierung, UEL und Gewerkschaften sich an. Bis zum 3. September sollen Varianten für Kompromisse in Texte gegossen werden. Bleiben als Schwerpunkt die Renten. Land-Informationen nach hat die Regierung ihre „Stoßrichtung“ entschärft. Ziel ist jetzt anscheinend, möglichst gut über die nächsten Wahlen zu kommen. Die Kundgebung vom 28. Juni, die vor allem eine Rentemaniff war, scheint Wirkung entfaltet zu haben.

Auch ohne Detailkenntnis der Diskussionen vom Montag drängt sich das auf. Der Premier hatte am 13. Mai in seiner Erklärung zur Lage der Nation angekündigt, die Regierung wolle das Rentensystem zum „Horizont 2040 absichern“. Dagegen sagte Luc Frieden am Montag Abend, die Sozialronn habe „Pisten zur Absicherung des Systems für eine gewisse Zeit“ besprochen. Das ist mehr als nur eine Nuance. Der „Horizont“ entscheidet über viel Geld und den politischen Preis einer Rentenreform. Einem weiteren Stichpunkt im état de la nation widersprach CSV-Umweltminister Serge Wilmes am Samstag im „Background“ im RTL-Radio: Den Sozialanteil der CO2-Steuer „kann man nicht“ zur Aufbesserung der Rentenkasse heranziehen. Er diene dazu, Ungerechtigkeiten auszugleichen, die die CO2-Steuer mit sich bringt. Was Luc Frieden vermutlich klar war, er wollte in seiner Erklärung „ein Beispiel“ nennen. Doch wollte man die Renten durch eine Konsumsteuer mitfinanzieren, müsste die langfristig ergiebig sein. In Frage dazu käme im Grunde nur die Mehrwertsteuer. Wie in der Schweiz vielleicht, wo ein Sechstel der TVA-Einnahmen in die Renten fließt. So etwas hiezulande einzuführen, wäre politisch schwierig. Konsumsteuern sind sozial regressiv. Ganz abgesehen davon, dass Finanzminister Gilles Roth (CSV) dieses Geld im Staatshaushalt nicht so einfach wird entbehren können.

So können Rentenreformansätze bröckeln. Doch wenn es ohnehin nur um eine „Ofsécherung fir eng gewëss Zäit“ gehen soll, sind lange Überlegungen gar nicht nötig. Bemerkenswert war, was der UEL-Präsident am Montag erklärte: Eine „komplette Vereinbarung“ könne nur eine sein, „in der jeder seinen Obolus“ leiste. Sowohl die bereits Pensionierten, als auch neu ins Berufsleben Eintretende, wie auch „die Patrons“. Was genau er mit „Obolus der Patrons“ meinte, ist unklar. Selbst eine kleine Erhöhung des Beitragssatzes ginge gegen alles, was die UEL seit dem Rententisch 2001 gesagt und geschrieben hat. In ihrem Beitrag zum Rentenbericht des Wirtschafts- und Sozialrats vor einem Jahr plädierte sie für eine Kürzung vor allem höherer Renten; plus mehr Beitragsjahre; plus einen „Nachhaltigkeitsfaktor“, der die Leistungen je nach Entwicklung der statistischen Lebenserwartung weiter senken würde. Doch sowohl Premier Luc Frieden als auch DP-Vizepremier Xavier Bettel haben eine Beitragserhöhung als Teil einer Mischlösung nicht ausgeschlossen. Die OECD rechnete im April vor, dass ein um je einen Prozentpunkt erhöhter Beitragssatz für Versicherte und Betriebe die Wettbewerbsfähigkeit Luxemburgs nicht beschädige.

Zählt man das zusammen, hält die Regierung wahrscheinlich daran fest, „lues a lues“ die Zahl der Beitragsjahre zu erhöhen, ehe eine vorgezogene Rente angetreten werden kann. Davon ganz abzurücken, sähe seltsam aus. Doch dass drei Monate mehr pro Jahr ab einem bestimmten Zeitpunkt „nur ein Beispiel“ seien, es am Ende auch nur zwei Monate sein könnten, hatte Martine Deprez eine Woche nach dem état de la nation bei einer Pressekonferenz erklärt. Damals galt „Horizont 2040“ noch. Womöglich könnte die Regierung auch erst einmal weniger wollen.

Fragt sich natürlich, wie die Diskussion am 3. September weitergeht. Vielleicht wäre eine vorläufige Lösung mit einer kleinen Beitragserhöhung für die UEL annehmbar: Es müsste kein ganzer Prozentpunkt sein, wenn es nur um „eng gewëss Zäit“ gehen soll. Ein geringfügig erhöhter Beitragssatz könnte lange bestehen bleiben, das Argument Wettbewerbsfähigkeit verfängt immerhin. Nüchtern betrachtet, wäre eine langfristige Rentenreform sowieso kaum denkbar ohne mehr Beiträge; dazu liegen die Rentenversprechen und der aktuelle Beitragssatz einfach zu weit auseinander. Die UEL könnte zum Schluss kommen, dass der „Obolus der Patrons“ im Szenario „fir eng gewëss Zäit“ besonders günstig zu haben wäre.

Demokratisch betrachtet, wäre es die sauberste Lösung, das Rententhema in den Wahlkampf zu geben, so wie 2009. Die nächste Regierung wäre für eine Reform mandatiert. Das Wahlvolk wäre für das Thema sensibilisiert, Martine Deprez’ Schwätzmat-Konsultationen wären nicht für die Katz. Bliebe das Problem, dass ein Automatismus im Rentenreformgesetz von 2012 die Anpassung bestehender Renten (und Pensionen im öffentlichen Sektor) an die Reallohnentwicklung um mindestens die Hälfte kürzt, wenn die Jahresausgaben der Rentenkasse die Beitragseinnahmen übersteigen. Was in den nächsten Jahren droht. Durch einen anderen Automatismus würde die Jahresendzulage gestrichen, sobald der Beitragssatz steigt. Das träfe vor allem kleine Renten. Der Regierung könnte wahltaktisch daran gelegen sein, die Kürzungen zu verschieben, irgendwie. Vielleicht spielte Michel Reckinger darauf an, als er vom Obolus der Pensionierten sprach.

Eine „komplette“ Rentenvereinbarung wäre für die UEL sicher nicht die Gegenleistung, die sie von der Regierung als Ausgleich für deren Zugeständnis an OGBL und LCGB erwartet. Vermutlich sucht sie danach gar nicht in der Sozialronn, sondern anderswo. Dass niemand sein Gesicht verlieren soll, ist eine Tradition aus der Tripartite. Am Ende hat Luc Frieden doch mit einer zu tun. 

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Peter Feist
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