Kulturpolitik

Kunst für alle

d'Lëtzebuerger Land du 19.05.2017

„Free Admission“ klebt an einer der Säulen im Erdgeschoss des Casino Luxemburg – Forum d’art contemporain. Was da auf einem Din-A4-Blatt geschrieben steht, ist ein Anliegen, das der Verwaltungsdirektorin des Casino, Nancy Braun, „von Anfang an am Herzen lag“: das hauptstädtische Casino durch freien Eintritt zum echten Forum für Kunstinteressierte zu machen. „Wir wollen den Zugang zu zeitgenössischer Kunst erleichtern“, sagt Nancy Braun.

Präsentiert hatte sie die Idee schon im Vorstellungsgespräch vor zwei Jahren, wo sie direkt Unterstützung im Verwaltungsrat fand. Im Januar fiel der Startschuss zur neuen Eintrittspolitik, die sich an Initiativen in den Metropolen London und Paris inspiriert, wo öffentliche Kunstsammlungen jeden ersten Sonntag im Monat ihre Türen gratis öffnen; in der Tate Modern und in anderen Londoner Dauerausstellungen ist der Zugang ebenfalls frei, nach dem Motto: Warum von den Bürgern ein Eintrittsgeld verlangen, wenn die öffentliche Hand eh für viele der Kunstwerke bereits bezahlt hat?

Auch den Machern des Luxemburger Kunstzentrums geht es weniger um den finanziellen Aspekt. Denn die Auswirkungen auf den Haushalt des subventionierten Casinos sind nicht groß, räumt Braun offen ein. Zwischen 90 und 93 Prozent der rund 15 000 Besucher, die das Casino im Jahr 2016 zählte, bezahlten keinen regulären Eintritt: Sei es, weil sie als Schüler, Studenten, Arbeitslose gratis ins Casino können oder weil sie über eine Museumskarte ihr eigen nennen. Ein ganz kleiner Prozentsatz zahlt einen reduzierten Eintrittspreis, und die verbleibenden fünf Prozent, die doch den vollen Preis bezahlten, machen in der Bilanz wenige Tausende aus. „Wenn man ausrechnet, dass mit den Eintrittspreisen ein gewisser Verwaltungsaufwand verbunden ist, ist das finanzielle Argument zu vernachlässigen“, so Braun, die unterstreicht, in der Verwaltung zu sparen, sei aber nicht das Anliegen gewesen.

Vielmehr der erklärte Wille, sich für neue Publikumsgruppen zu öffnen. Den Großteil der Besucher des Casinos machen seit Jahren Stammkunden aus Luxemburg aus. Sie kommen zu Vernissagen – gratis –, verbunden mit der Möglichkeit, den oder die Künstlerin selbst kennenzulernen, während Besucher von fern oder Touristinnen, die im Casino Station machen, den vollen Eintrittspreis bezahlen. „Das ist ja auch nicht ganz fair“, findet Braun.

Die Eintrittspolitik soll sich einbetten in ein noch zu entwickelndes Gesamtkonzept, das sich in der neuen Raumaufteilung andeutet. Die Black Box, die Besucher-Bibliothek, der Pavillon für Workshops, das Restaurant Cafésino im renovierten ehemaligen Salon Saint-Hubert im Erdgeschoss sind seit März 2016 frei zugänglich, mit den zwei Eingängen am Boulevard Franklin D. Roosevelt und zur Rue Notre Dame sollen Besucher besser „durch das Gebäude zirkulieren können“, wie es Braun nennt. Gleichzeitig solle aber nicht der Eindruck entstehen, es gebe zwei Ebenen mit unterschiedlicher künstlerischer Bedeutung: mit Black Box, Bibliothek und Café auf der einen Ebene und der eigentlichen Ausstellung im ersten Stock.

Das neue Casino will ein Ganzes sein: mit Ausstellungen zu zeitgenössischer Kunst, kunstpädagogischen Workshops und Veranstaltungen, die sich an ein kunstinteressiertes Publikum richten, dabei aber nicht nur den Bildungsbürger im Blick haben. Den Spagat, das kunstinteressierte Stammpublikum bei der Stange zu halten und dennoch neue, vielleicht auch skeptischere Besucher zu erreichen, ist für Nancy Braun kein Widerspruch: „Wir wollen nicht alles erklären und vorkauen, aber eine gewisse Übersetzungsarbeit zu leisten, um Menschen den Zugang zu zeitgenössischer Kunst zu erleichtern, muss doch möglich sein.“ Braun spielt auf das elitäre Flair an, mit dem sich Vertreter und Anhänger zeitgenössischer Kunst teils ummanteln: Jeder, der solche Ausstellungen besucht hat, ist schon über den ein oder anderen blasierten Kuratoren-Text gestolpert, der hochkomplex klingt, am Ende aber nicht viel aussagt. Auch Diskussionen wollen die Macher des Casinos nicht nur für Insider organisieren. Schon heute können Besucher mit Mediatoren das Gespräch über Kunstwerke suchen oder sich in Rundgängen den einen oder anderen Künstler erklären lassen.

Wie genau das neue Programm aussehen wird, kann Braun allerdings nicht sagen. Man sei mitten im Brainstorming. Als Starttermin angepeilt wird nächstes Jahr. So lange werde es brauchen, „bis alles steht“, so die Verwaltungsdirektorin, schließlich habe das Casino einige Posten neu besetzt, darunter die Verantwortliche für das künstlerische Programm, Véronique Kessler, die zuvor Erfahrungen als Pressebeauftragte in den Rotondes und als freie Mitarbeiterin des Mudam gesammelt hat.

Auch wenn der Beweis noch erbracht werden muss, dass das neue Konzept am Ende wirklich mehr Besucher lockt, haben die Verantwortlichen des Casinos mit dem Free Admission einen Anstoß für eine Debatte über den Zugang zu Kunst und Kultur geliefert: Die hauptstädtische Sektion von Déi Lénk forderte Anfang Mai, die Preis-„Barriere zur Kultur für alle“ aufzuheben und lässt finanzielle Gegenargumente nicht gelten: Ein freier Eintritt zu allen hauptstädtischen Kunsteinrichtungen würden im Haushalt mit rund 160 000 Euro zu Buche schlagen, heißt es in einer Pressemitteilung. Das müsse bei einem Haushaltsüberschuss von mehr als 800 Millionen Euro doch zu stemmen sein.

Nachahmer gibt es auch: Der Eintritt zu den permanenten Ausstellungen im Musée national d’histoire et d’art (MHNA) ist ebenfalls neuerdings frei, der Eintrittspreis für die temporären Ausstellungen wurde indes von fünf auf sieben Euro angehoben. Es sei „ein Erfolg auf ganzer Linie“, sagte MNHA-Direktor Michel Polfer auf Land-Nachfrage: „Wir haben deutlich mehr Besucher.“ Durch den freien Eintritt in die permanenten Ausstellungen sei die Schwelle gesunken, auch etwas mehr für die laufende Ausstellung zu bezahlen. Auch würden die Besucher mehr Geld im Museums-Shop lassen.

Ähnliche Effekte wurden in ausländischen Studien zur Preispolitik öffentlicher Museen nachgewiesen: Oft fallen die Einnahmen durch Eintrittsgelder in den Haushalten öffentlicher Kunsteinrichtungen weniger ins Gewicht; bei der Frage des Publikumszugangs spielt die Höhe des Eintrittspreises aber sehr wohl eine Rolle: In Einrichtungen, die eher ein Familienpublikum anziehen, wie beispielsweise naturkundliche Museen, werden selbst kleinere Preisanstiege häufig nicht gut akzeptiert, Besucher von Themenausstellungen zu zeitgenössischer Kunst, die häufig mehr Einzelbesucher anziehen, sind dagegen eher bereit – und finanziell auch in der Lage –, für den Kunstgenuss mehr zu bezahlen. Besucher aus dem Ort des Museums oder dem näheren Umland weisen im Vergleich zu auswärtigen Besuchern oft eine geringere Preisakzeptanz auf.

Die Vertreter der kleine Regionalmuseen in Luxemburg wollten die Eintrittspolitik lieber nicht kommentieren: Bei kleineren Häusern über Land, oft von engagierten Vereinen von Kunstliebhabern geführt, spielen die Eintrittsgelder bei der Finanzierung durchaus eine bedeutende Rolle. Selbst im Ministerium wurde das Thema Gratiseintritt nach der Casino-Initiative diskutiert. Eine Entscheidung ist laut Kultur-Staatssekretär Guy Arendt (DP) aber noch nicht gefallen.

Ines Kurschat
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