Mit den Änderungsanträgen zum Entwurf der Verfassungsrevision wird derzeit die künftige Staatsform ausgehandelt

Monarchie kalorienfrei

d'Lëtzebuerger Land vom 04.01.2013

Sehr diskret geht hinter den Türen des parlamentarischen Ausschusses der Institutionen und Verfassungsrevision das Ringen um die künftige Staatsform des Landes weiter: Sollen die demokratisch legitimierten staatlichen Gewalten weiterhin einen Teil ihrer Vorrechte mit dem Großherzog teilen, oder muss sich der Landesfürst mit einer symbolischen Funktion zufrieden geben, wie sie Landesfahne, Staatswappen und Nationalhymne erfüllen?

Der Ausschuss hatte vor nunmehr bald vier Jahren, im April 2009, seinen Entwurf für die Revision und Neuordnung der Verfassung hinterlegt – und der sah die weitgehende Entmachtung des Großherzogs vor. Denn nach der Verfassungskrise um das Euthanasiegesetz 2008, den bizarren Familiengeschäften am Hof und den Sympathien für katholische Ultras schien das Staatsoberhaupt selbst der traditionell treu zu Thron und Altar stehenden CSV unberechenbar und damit ein Sicherheitsrisiko für den ungestörten Ablauf der Staatsgeschäfte.

Aber die großherzogliche Familie will das Feld nicht kampflos räumen. Deshalb brachte das Staatsoberhaupt im Juli 2011 über den dafür vorgesehen Umweg der Regierung gleich 16 Änderungsanträge zum Revisionsentwurf ein, die alle darauf abzielen, seine Vorrechte zu erhalten.

Wiederum ein Jahr später, im Juni 2012, erhielt der Großherzog teilweise Schützenhilfe vom Staatsrat. Zwar pocht der Staatsrat in der Regel gerne auf die Notwendigkeit der Gewaltentrennung, aber der Revisionsentwurf schien ihm doch zu umstürzlerisch. Das lang erwartete Gutachten schien selbst manche Mitglieder des parlamentarischen Ausschusses überrascht zu haben, da sie in einer ersten Reaktion einräumten, vielleicht etwas übertrieben zu haben. Doch nach dem ersten Schreck beschloss der Ausschuss noch im Juni, sich der Frage im Laufschritt anzunehmen.

So soll der Revisionsentwurf die derzeitige Definition des Staatswesens als parlamentarische Demokratie beibehalten, während der Staatsrat den Begriff der konstitutionellen Monarchie hinzufügen will. Dagegen sprachen sich während einer Ausschusssitzung am 24. Oktober Sprecher von LSAP und déi Lénk aus, da die konstitutionelle Monarchie nur ein Ausdruck einer parlamentarischen Demokratie unter mehreren sei. Justizminister François Biltgen (CSV) und Ausschusspräsident Paul-Henri Meyers (CSV) waren dagegen bereit, den Vorschlag des Staatsrats zu übernehmen, um den konstitutionellen Charakter der Monarchie gegenüber dem am Hof gepflegten feudalen Fürstenrecht zu verteidigen.

Setzt sich der Staatsrat aber mit seinem Vorschlag durch, erstmals die Monarchie in Artikel zwei der Verfassung zu verankern, spielt dies unter anderem eine Rolle, wenn die Nassauer Dynastie mangels Thronfolger erlischt. Dann ist es auch heute schon am Parlament, binnen 30 Tagen ein neues Staatsoberhaupt zu bestimmen. Weil kein Großherzog, sondern ein Staatsoberhaupt gewählt werden soll und nirgends steht, dass dies ein Adeliger sein muss, kann das Parlament auch einen Nichtadeligen ernennen. Definiert die Verfassung aber in Artikel zwei Luxemburg ausdrücklich als Monarchie, kommt es zu dem Anfang des 21. Jahrhunderts politisch kaum noch zu vermittelnden Fall, dass der vom Parlament gewählte Bürger – vielleicht irgendein ehemaliger CSV-Staatsminister, Generalstaatsanwalt oder eine Ombudsfrau – automatisch eine neue Dynastie gründet, auch die Kinder und Kindeskinder Staatsoberhäupter werden. Ohne den vom Staatsrat vorgeschlagenen Verweis auf die Monarchie in Artikel zwei der Verfassung könnte das Land in einem solchen Fall sachte in den Zustand der Republik gleiten.

Die Frage ist noch nicht entschieden, ebensowenig wie diejenige, was Vorrang hat: die Demokratie oder die Monarchie. Während für den Staatsrat Luxemburg eine Monarchie unter dem Regime der parlamentarischen Demokratie ist, soll es für eine Ausschussmehrheit eine parlamentarische Demokratie sein, welche die Form einer Monarchie annimmt. Um sich schlau zu machen, will der parlamentarische Ausschuss erst noch die Verfassung anderer Monarchien nachlesen.

Wollte der parlamentarische Ausschuss aus den derzeitigen Vorrechten des Großherzogs Machtbefugnisse machen, geht der Staatsrat noch einen Schritt weiter und will sie in der künftigen Verfassung Funktion nennen. Der Unterschied ist alles andere als Haarspalterei. Wenn nämlich die Ernennung von Regierungsmitgliedern oder die Verkündung von Gesetzen Vorrechte des Großherzogs sind, dann hat er einen Ermessensspielraum, ob er sie wahrnimmt oder lieber einen Minister nicht ernennt, ein Gesetz nicht verkündet. Bekommt das Staatsoberhaupt dagegen eine Funktion, sinkt es ein wenig aus den Höhen feudaler Willkür in die Niederungen eines Lohnarbeitsverhältnisses: Ernennt oder verkündet der Großherzog dann nicht, kommt er in einem gewissen Sinn seinem Arbeitsvertrag nicht nach. Für den Fall schlug Ausschusspräsident Paul-Henri Meyers am 7. November einen zusätzlichen Verfassungsartikel vor, laut dem das Parlament in diesem Fall, wie in Schweden oder den Niederlanden, auf Antrag der Regierung den Rücktritt des Staatsoberhaupts beurkundet.

Weil der Großherzog künftig statt Vorrechten Pflichten erhalten soll, ging dem parlamentarischen Ausschuss am 14. November ein Licht auf, dass er sich mit seinem Artikel 51 des Revisionsentwurf auf dem Holzweg befand. Danach und auch laut dem Vorschlag des Staatsrats hätte der Großherzog nämlich konstitutionelle Machtbefugnisse an einen Leutnant-Stellvertreter abtreten dürfen. Doch Pflichten erfüllt man, man reicht sie nicht weiter. Deshalb soll man nun wieder zum aktuellen Verfassungstext zurückkehren, der lediglich vorsieht, dass der Leutnant-Stellvertreter – meist der Thronfolger kurz vor dem Thronwechsel – den Großherzog vertritt.

Unterliegt die Thronfolge, die Regentschaft und die Ernennung eines Leutnant-Stellvertreters heute dem Nassauer Erbverein, einem privaten Familienpakt, den Premier Jean-Claude Juncker noch im August 2011 „eine Art Verfassung bis“ genannt hatte, so soll das künftig nur noch Sache des Parlaments sein. Auf Vorschlag des Staatsrats beschloss der Ausschuss am 8. November, trotz der Vorbehalte von Justizminister François Biltgen, dass das Parlament unter außergewöhnlichen Umständen einem Kandidaten durch ein mit qualifizierter Mehrheit verabschiedetes Gesetz den Thron verweigern kann.

Bisher wird durch den Tod des Großherzogs sein Erbe Großherzog und muss dann den Eid auf die Verfassung und die Gesetze ablegen. Der Re­vi­sions­ent­wurf sieht im Interesse des Rechtsstaats vor, dass der Erbe erst Großherzog wird, wenn er binnen zehn Tagen den Eid abgelegt hat.
Dadurch entsteht ein Interregnum von einigen Tagen. Deshalb soll prinzipiell geklärt werden, wer in Zukunft die Rolle des Staatsoberhaupts spielt und beispielsweise Gesetze verkündet, wenn vorübergehend kein Großherzog oder Regent verfügbar ist. Der Revisionsentwurf schlug vor, dass dies der Regierungsrat übernehmen soll, der Staatsrat schlug die Regierung vor, alternativ auch den Kammerpräsidenten, den Premierminister und den Präsidenten des Staatsrats gemeinsam. Schließlich einigte sich der parlamentarische Ausschuss am 8. November auf die Regierung als provisorisches Staatsoberhaupt.

Der parlamentarische Ausschuss übernimmt zudem den  Vorschlag des Staatsrats, einen Absatz in die Verfassung zu setzen, laut dem die Weigerung des Thronfolgers, seinen Amtseid abzulegen, einem Thronverzicht gleichkommt. Deshalb machte Paul Henri-Meyers am 8. November einen Textvorschlag, laut dem das Parlament auf Anfrage der Regierung und nach einem Gutachten des Obersten Gerichtshofs mit qualifizierter Mehrheit den Großherzog für zurückgetreten erklären soll.

Der Staatsrat schlug etwas überraschend vor, erstmals in die Verfassung zu schreiben, dass der Großherzog die Exekutivgewalt gemeinsam mit der Regierung ausübt. Das lehnte der parlamentarische Ausschuss am 8. November aber ab, damit nicht der Eindruck entsteht, dass Großherzog und Regierung im gleichen Umfang an den Regierungsgeschäften beteiligt seien, wo das Staatsoberhaupt die Exekutivgewalt doch nur förmlich, aber nicht wirklich ausübe.

Der Revisionsentwurf streicht zudem den Absatz von Artikel 32 der derzeitigen Verfassung, laut welchem der Großherzog die Staatsgewalt ausübt. Denn die Verfassung verfügt gleichzeitig, dass die Hoheit bei der Nation liegt und das Parlament das Land vertritt, was für den Staatsrat das Risiko eines Kompetenzwirrwarrs darstellt.

Artikel vier der Verfassung sieht augenblicklich vor, dass die Person des Großherzogs unverletzlich ist, er also weder beschuldigt, noch verfolgt oder vor Gericht gestellt werden darf, weil er politisch wie strafrechtlich keine Verantwortung trägt. Das bereitete schon Schwierigkeiten bei der Ratifizierung des Abkommens über den Internationalen Gerichtshof. Doch nun erhält die Bestimmung eine besondere Brisanz, seit Premier Jean-Claude Juncker es Hochverrat nannte, was sein ehemaliger Geheimdienstdirektor dem Großherzog vorwarf, nämlich mit dem britischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten.

Wenn der Großherzog statt Vorrechten Pflichten erhalten und so wie ein hochrangiger Staatsbeamter in eine Art Lohnarbeitsverhältnis gestellt wird, stellt sich automatisch die Frage nach seiner Entlohnung. Der Revisionsentwurf sieht vor, dass die derzeitige Zivilliste von 300 000 Golfranken jährlich durch eine zu Beginn jeder Herrschaft durch Gesetz festgesetzte Dotation ersetzt werden soll, mit welcher der Großherzog seine im Zusammenhang mit seiner Funktion entstehenden Unkosten und seine Verwaltung bezahlen soll.

Der Staatsrat dagegen will die Dotation jährlich festlegen, dabei auch den ehemaligen Großherzog, den Regenten und den Leutnant-Statthalter berücksichtigen sowie erstmals auch die So­zial­ver­si­cherung des Großherzogs regeln. Am 19. November fragte jedoch die LSAP, weshalb das Staatsoberhaupt nicht einfach ein Gehalt mit Spesen beziehen soll, und Ausschusspräsident Paul-Henri Meyers meinte als ehemaliger Präsident der Privatbeamtenpensionskasse, der Großherzog solle sich als Freischaffender selbst sozialversichern, und schlug vor, sich bei der IGSS zu erkundigen.

Es gehört aber zum Wesen einer Monarchie, dass die Grenzen zwischen dem Privatvermögen des Großherzogs, dem Vermögen der großherzoglichen Familie  und den öffentlichen Einrichtungen des Staatsoberhaupts unklar sind. Da dies in den letzten Jahren zu Polemiken über den Verkauf des Grünewalds oder der Juwelen von Großherzogin Josephine-Charlotte geführt hatte, soll die Verfassungsrevision größere Rechtsklarheit schaffen. Der Revisionsentwurf des parlamentarischen Ausschusses und die Änderungsanträge der Regierung, das heißt des großherzoglichen Hofs, wollten dies im Rahmen der Verfassung durch den Nassauer Erbverein geregelt lassen, der teilweise im Widerspruch zum bürgerlichen Gesetzbuch steht. Der Staatsrat schlägt dagegen vor, die Vermögensverhältnisse durch Gesetz zu klären. Nun soll der Hofmarschall erst einmal schriftlich Auskunft über die Geschäftspraxis bei Hof geben.

Gegen den Widerstand des großherzoglichen Hofs und des Staatsrats blieb der parlamentarische Ausschuss am 19. November dabei, das Münzrecht des Großherzogs abzuschaffen, weil es in Zeiten des Euro überholt sei. Auch das Hoheitsrecht, Adelstitel zu verleihen, will er auf die Familienangehörigen des Großherzogs beschränken.

Nachdem Großherzogin Maria-Teresa zum Leidwesen von Regierung und Parlament versucht hatte, ihre in der Verfassung nicht vorgesehene Rolle auszuweiten, soll nun auch solchen Bestrebungen ein Riegel vorgeschoben werden. Da die Verfassung künftig vorschreiben soll, dass die Thronfolge unabhängig vom Geschlecht ist, stellt sich die Frage des Titels: Die Ehepartnerin eines Großherzogs trägt den Titel einer Großherzogin, der Ehepartner einer Großherzogin dagegen lediglich denjenigen eines Prinzgemahls. So dass man sich im parlamentarischen Ausschuss die Frage stellte, ob die Verfassung nicht festschreiben soll, dass lediglich das Staatsoberhaupt den Titel des Großherzogs oder der Großherzogin tragen darf.

Romain Hilgert
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