Rapaces, der neue Film des französischen Regisseurs Peter Dourountzis, ist ein Film über ein Verbrechen, der sich weigert, ein klassischer Kriminalfilm zu sein. Ein politischer Film und ein Familiendrama, das sich irgendwo zwischen moralischem Anspruch und emotionaler Zerrüttung entfaltet. Die Handlung wirkt zunächst simpel: Ein Journalist nimmt seine Tochter mit zu einem Tatort. Samuel (Sami Bouajila), Reporter eines Boulevardblatts, bringt seine Tochter Ava (Mallory Wanecque) als Praktikantin mit zu einem scheinbar gewöhnlichen Lokaltermin. In einem Vorort wurde eine junge Frau Opfer eines brutalen Säureanschlags. Samuel beginnt zu recherchieren, beinahe wie ein Ermittler – doch nicht, um aufzuklären, sondern um eine Geschichte daraus zu machen. Seine Obsession ist Ausdruck von Sensationslust – jenseits von Moral und Ethik.
Hier beginnt die doppelte Bewegung, die Rapaces so vielschichtig macht. Einerseits ist da die äußere Handlung: die Recherche, die Gespräche mit Angehörigen, das Sammeln von exklusivem Material. Andererseits entwickelt sich ein stilles Drama zwischen Vater und Tochter. Ava, anfangs bewundernd und unsicher, beginnt zunehmend, die manipulative Ader ihres Vaters zu durchschauen. Sie wird zur moralischen Kontrastfigur, ringt mit ihrer Haltung zwischen Empathie und journalistischer Distanz. Während Samuel das Verbrechen instrumentalisiert, stellt Ava die Frage nach der Grenze – zwischen Neugier und Ausbeutung.
Samuel wird zur Projektionsfläche eines Systems, das Schmerz in Klicks, Gewalt in Reichweite, Tod in Auflage verwandelt. Wie ein Raubvogel kreist er um die Tragödie, auf der Suche nach emotional aufgeladenem Material. Der Film nimmt dabei deutlich Bezug auf den realen Fall von Élodie Kulik, der Frankreich 2002 erschütterte – eine junge Frau, deren Vergewaltigung und Ermordung durch einen erschütternden Tonmitschnitt belegt wurde. Auch in Rapaces spielt ein Mitschnitt eine zentrale Rolle. Doch der Film interessiert sich weniger für den Kriminalfall als für die Mechanismen, mit denen solche Fälle medial verarbeitet werden.
Rapaces ist ein Film über das Unbehagen an der Medienwirklichkeit. Er zeigt, wie Presse Schmerz in Aufmerksamkeit verwandelt, Opfer zur Ware macht, und ethische Grenzen überschreitet. Samuel agiert nicht nur schneller als die Polizei – er inszeniert sich als Helfer, um an intime Details zu gelangen. Fotos, Aussagen, Gegenstände – was Beweismittel sein könnte, wird Teil einer exklusiven Story. Medien erscheinen hier selbst als rapaces – Raubvögel, die Tragödien wittern und sich auf das Elend stürzen. Dourountzis stellt die Frage, wie viel journalistische Integrität in einer Berichterstattung steckt, die auf Emotionen und Reichweite zielt – und ob wir als Rezipienten nicht längst Teil des Problems geworden sind. Ein Film, der zeigt, was aus der Wahrheit wird, wenn sie nur noch als Produkt funktioniert.