Alltagsbanalitäten

d'Lëtzebuerger Land du 06.01.2023

Regisseur Martin McDonagh bringt für seinen neuen Film sein bekanntes Darstellerpaar Colin Farell und Brendan Gleeson wieder vor die Kamera. Nach In Bruges (2008) gereicht McDonagh die äußere Handlung von The Banshees of Inisherin auch lediglich zum Ausbreiten einer existenzialphilosophischen Auseinandersetzung über das Leben und das Sterben: Zwei lebenslange Freunde, der introvertierte Colm Doherty (Brendan Gleeson) und der extrovertiertere Pádraic Súilleabháin (Colin Farell) stehen vor dem Scheideweg. Von einem Tag auf den anderen kündigt Colm Pádraic die Freundschaft. Er sei seiner ständigen belanglosen Plaudereien überdrüssig, seinen Lebensabend gedenkt er dem Schreiben und Spielen von Musik zu widmen. Pádraic will diesen Entschluss nicht akzeptieren, verlangt nach Antworten.

McDonagh konzentriert sich auch hier auf die Schauspielkunst und vertraut auf seine beiden Hauptdarsteller. Die schlichte Konstellation gegensätzlicher Anschauungen zweier ungleicher Profikiller in In Bruges schaffte ein Grundgerüst für einen eher atypischen Gangsterfilm, der mehr von seinen beglückend komischen Dialogen lebt als von der Darstellung von Verbrechen – eine Abhandlung über Determination, den freien Willen, Leben und Tod. Dem Kreisen um die genretypischen Themen der Ehre und Loyalität tat dies keinen Abbruch. In The Banshees of Inisherin geht McDonagh ähnlich vor, frei von allen klassischen Genreassoziationen breitet er ein existenzialphilosophisches Netz aus Alltagsbanalitäten und -bedürfnissen, Freiheit und Selbstbestimmung aus. Alles beginnt damit, dass einem Mann bewusst wird, dass seine Lebenssituation gestört ist, ein Aufbrechen der Routine stattfinden muss. Diese lebensweltliche Entfremdung aber in Worte fassen zu wollen, läuft in die Leere. Die Ausgangslage für ein existenzielles Drama schlägt an dem Punkt in die Komödie um, wo der Gesprächspartner nicht nur nach rationalen Erklärungen für den Sinneswandel verlangt, sondern sogar auf diese beharrt. In einer Umkehrung des mephistophelischen Diktums ist Pádraic ein Teil der Kraft, die stets das Gute will aber immer nur das Böse schafft. All seine Bemühungen, die soziale Tagesordnung wiederherzustellen, schlagen in ihr Gegenteil um. Das macht diesen Pádraic herzzerreißend tragisch. Sein Gegenpart Colm Doherty kann aber auch niemals vollständig verstanden werden, da sich seine Gefühlskomplexität einer verbalsprachlichen Äußerung entzieht, jede Versprachlichung eine Komplexitätsreduktion darstellt. Beide erkennen indes nicht, dass sie ihr persönliches Glück nur durch den anderen bestimmen können – entweder durch dessen An- oder Abwesenheit.

Seine besonders heitere wie traurige Komik bezieht der Film nicht nur aus den scharfen Dialogen, sondern vielmehr aus den Einschränkungen in der Beschaffenheit seiner Figuren. The Banshees of Inisherin ist wohl in besonderem Maße das, was man da als Tragikomödie bezeichnen könnte. Dort, wo sich die Banalität in all ihrer Absurdität und der schwarze Humor in all seiner Derbheit die Hand geben, dort bezieht McDonaghs Film seinen Schauwert. Ein wichtiger Faktor in diesem Gesang der allumfassenden Bedeutsamkeit bei gleichzeitiger Nichtigkeit des menschlichen Daseins ist nicht zuletzt der grandiose Schauplatz der Nordküste Irlands, die mit all ihrer unterschwellig morbiden Atmosphäre einen reichen Nährboden zur Entwicklung des Konfliktes schafft. Turbulent und blutig wird die schwarze Tragikomödie mit der Eskalation der Situation: Die Gespräche um Freundschaft und Lebensgestaltung enden unversehens im tödlichen Ernst. Losgelöst von seinem spezifisch nordirischen Settings der 1920er Jahre, der Landschaft, den lokalen Kneipen, dem vom starken irischen Dialekt gefärbten Englisch ist The Banshees of Inisherin eine ganz tiefsinnige Auseinandersetzung mit den Fragen alltäglichen Zusammenlebens: Was macht eine Routine, genauer: eine Routine in einer zwischenmenschlichen Beziehung aus? Wo beginnt der Respekt vor den Grenzen, die ein anderer gezogen hat? Wie kann man gesellschaftliches Miteinander auf gesunde Weise erneuern?

Marc Trappendreher
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