Pierrot lunaire

Die Reise des Pierrot zum Mond

d'Lëtzebuerger Land du 17.01.2014

Die Figur des Pierrot hat, wie all die anderen aus der Commedia dell’arte entstandenen Narren und Clowns und natürlich der Bajazzo selbst, immer etwas Trauriges. Bei Arnold Schönbergs Melodram Pierrot lunaire handelt es sich um einen verwirrten Mondsüchtigen, Pierrot, den vom Schauer der Nacht faszinierten „schweigenden Dandy von Bergamo“: „Du nächtig todeskranker Mond / Dort auf des Himmels schwarzem Pfühl, / Dein Blick, so fiebernd übergroß, / Bannt mich wie fremde Melodie.“

Der belgische Symbolist Albert Giraud hatte insgesamt fünfzig Gedichte unter dem Titel Pierrot lunaire veröffentlicht. Einundzwanzig davon hat Schönberg in der deutschen Übersetzung von Otto Erich Hartleben für sein 1912 entstandenes Melodram, bis heute ein Meilenstein der Moderne und einer der Grundsteine der zeitgenössischen Musik, vertont. Den Auftrag für das Werk hatte die aus Wien stammende Schauspielerin Albertine Zehme gegeben. Als gefeierte Darstellerin großer Frauenrollen von Shakespeare bis Ibsen hatte sie bei Cosima Wagner Gesangsunterricht genommen und mit ihr große Wagner-Partien einstudiert. Schönberg schuf für die Diseuse eine neue Form der Verbindung von Wort und Ton, zum Bersten spannendes Musiktheater.

Fasziniert von Schönbergs Musiksprache und dem Potenzial zum intimen Kammerspiel hat sich der junge luxemburgische Regisseur Jacques Schiltz dazu entschlossen, das Melodram auf die Bühne des Théâtre national du Luxembourg zu bringen. Die Produktion, die am Dienstag Premiere hat, ist ein Gemeinschaftsprojekt zwischen dem TNL und dem KammerMusekVeräin Lëtzebuerg, der das Werk im Rahmen einer konzertanten Fassung und gemeinsam mit der Sopranistin Mariette Lentz bereits im April 2012 in der Philharmonie aufgeführt hat. Im Anschluss an diese Aufführung entwickelten Ma-riette Lentz, Jacques Schiltz und TNL-Direktor Frank Hoffmann die Idee, ein Pierrot-Projekt für die Bühne auszuarbeiten.

Für Jacques Schiltz ist die Inszenierung das Musiktheaterdebüt als eigenständiger Regisseur. Der 25-Jährige hat nach seiner Ausbildung am hauptstädtischen Musikkonservatorium Theater und Schauspiel in Rahmen eines foundation course in acting an der Londoner Royal Academy of Dramatic Art studiert. Danach ging er ans TNL und assistierte Regisseuren wie Frank Hoffmann und Anne Simon. Mit Hoffmann ist das unkonventionelle genreübergreifende Musik- und Tanztheaterprojekt New Angels entstanden, mit Anne Simon die Janis-Joplin-Performance The 27 Club: Deconstructing Janis. Vor zwei Jahren hat Jacques Schiltz mit seiner Inszenierung des Monodramas Thom Pain gemeinsam mit dem Schauspieler Luc Lamesch auf sich aufmerksam gemacht.

Den Hauptfokus seiner zukünftigen künstlerischen Tätigkeit sieht Jacques Schiltz im Bereich des Musiktheaters. In diese Linie schreibt sich auch Pierrot lunaire ein. Schiltz fühlt sich sowohl von der klassischen Oper wie auch vom modernen Musiktheater angezogen: „Pierrot lunaire ist ein einzigartig intensives Werk, das einem abverlangt, alle Register der Kammermusik, aber auch der Theater- und Schauspielkunst zu ziehen“, erklärt der Regisseur im Land-Gespräch. „Der Abend beginnt mit Gustav Mahlers A-Moll-Klavierquartett, ein bewegendes kammermusikalisches Erlebnis, das wir nahtlos in den szenischen Pierrot-Teil übergehen zu lassen versuchen“, beschreibt Schiltz das Konzept. Seine Inszenierung von Pierrot lunaire selbst sieht der junge Künstler einerseits als tiefgründiges Psychogramm, andererseits aber auch als Auseinandersetzung mit Arnold Schönberg, der Entstehungszeit des Werks sowie Schönbergs Vision von Kunst: „Die Vorkriegsjahre vor 1914 waren eine außergewöhnlich spannende Zeit, nicht nur in der Musik, sondern auf allen künstlerischen Ebenen – in der Malerei, in der Architektur, im Film.“ Ganz besonders versteht Schiltz seine Produktion als eine Reverenz an den französischen Stummfilm-Fantasten Georges Meliès, der zwischen 1896 und 1913 in seinem gläsernen Atelier mehr als 500 Stummfilme gedreht hat. „Die Parallelen zwischen Schönbergs Pierrot lunaire und Meliès‘ Die Reise zum Mond drängen sich auf“, erörtert der Regisseur, und erklärt weiter: „Nicht dass wir uns falsch verstehen: Pierrot lunaire wird kein historischer Rückblick werden, keine museale Produktion. Mir schwebt eine fantasievolle Hommage an diese schillernde Zeit vor, und ich möchte dem Publikum die Magie dieses eindringlichen Zusammenspiels von Bild, Wort und Ton vermitteln.“ Auch Schönberg selbst kannte den Sog des Stummfilms. Lange Zeit verfolgte er die Idee, das selbstgeschriebene Drama Die glückliche Hand als Stummfilm mit Musik aufzuführen, musste das Projekt allerdings zu Lebzeiten aufgeben. Zu ambitiös waren seine künstlerischen Ideale. Als großer Erneuerer und Wegbereiter der musikalischen Avantgarde aber ist Arnold Schönberg auch ohne Stummfilm in die Geschichte eingegangen.

Pierrot lunaire wird am Dienstag, den 21. und am Mittwoch, den 22. Januar am TNL aufgeführt. Eine weitere Vorstellung findet am Donnerstag, den 27. März statt. Informationen und Bestellungen: www.tnl.lu; Tel. 47 08 95-1.
Marc Fiedler
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