Dieselantriebe boomen ungebrochen und Europas Raffinerien kommen mit der Produktion nicht nach. Kein Wunder, dass Diesel immer teurer wird. Obwohl die Politik das eigentlich nicht will

Schweres Öl für starke Autos

d'Lëtzebuerger Land vom 25.11.2011

Wer ein Dieselauto fährt, hat es sicherlich bemerkt: An den Tankstellen schrumpft der Preisunterschied zwischen Diesel und Benzin. Anfang September war ein Liter Diesel noch um 14 Cent preiswerter als ein Liter 95-er Benzin gewesen. Anfang Oktober betrug der Unterschied nur noch knapp zehn Cent, Ende Oktober sieben Cent. Anfang November fiel die Differenz auf unter sechs Cent, und eine Preisanpassung am Donnerstag vergangener Woche ließ sie auf 3,8 Cent sinken.

Am Dienstag dieser Woche korrigierte das Wirtschaftsministerium die Preise aller flüssigen Brenn- und Kraftstoffe leicht nach unten. Weil der für Diesel mit am stärksten fiel, liegt er nun wieder fünf Cent unter dem 95-er-Benzinpreis. Aber so richtig „billig“ im Vergleich zum Benzin ist Diesel nicht mehr. Könnte es am Ende sogar teurer werden als Benzin – so, wie im Mai und im Juli 2008?

René Winkin, Generalsekretär des Groupement pétrolier im Unternehmerverband Fedil, will das nicht ausschließen: Die Dieselnachfrage nehme in Europa immer weiter zu. Da Diesel zusammen mit Heizöl ein Marktsegment bildet, das so genannte Gasöl aus den Mitteldestillaten der Raffinerien, entstehe im Herbst zusätzlicher Preisdruck, wenn Ölheizungsbetreiber sich für den Winter mit Brennstoff eindecken. 

Allerdings könne es sein, dass die Nachfrage nach Diesel für LKWs zurückgeht – wegen der sinkenden Wirtschaftsaktivität, die sich irgendwann auch in rückläufigen Straßengütertransporten bemerkbar macht. Und 2008, als in Luxemburg der -Liter Diesel für ein paar Tage um 0,4 bis 0,7 Cent teurer war als 95-er Benzin, sei in mancherlei Hinsicht ein besonderes Jahr gewesen, erinnert sich Winkin: Zum Beispiel habe im ersten Halbjahr jenen Jahres die chinesische Regierung massiv Heizöl kaufen lassen, um an den Austragungsorten der Olympischen Sommerspiele 2008 kurzfristig die Luftqualität zu verbessern: alte Kohle-feuerungen wurden durch Ölbrenner ersetzt.

Aber das sind nur Nachfragespitzen in einem großen Trend. Die Preisstatistiken der letzten Jahre für Luxemburg zeigen: Zwischen 2003 und 2007 lag der Dieselpreis meist 16 bis 22 Cent unter dem für das preiswerteste Benzin. Seit 2008 sind eher Preisdifferenzen von unter 15 Cent die Regel, vor allem in diesem Jahr.

Woran das liegt? – Sicher nicht allein daran, dass hierzulande der Dieselanteil an den PKWs und leichten Nutzfahrzeugen immer weiter wächst und unter den Neuzulassungen schon seit ein paar Jahren über 70 Prozent Dieselautos sind. Denn die europäischen Treibstoffpreise vor Steuern und Akzisen werden am Spotmarkt in Rotterdam gebildet. Aber der Dieselautopark in Luxemburg wächst nur besonders stark; die Tendenz ist europaweit die gleiche. Mittlerweile werde in Europa doppelt so viel Diesel wie Benzin abgesetzt, rechnete der Branchendienst Commerzbank Commodity Research vor zwei Wochen vor. Die „stark gestiegene Dieselpenetration des KFZ-Bestands“ gleiche die allmählich sinkende Nachfrage nach Heizöl, das vor allem durch Erdgas ersetzt wird, mehr als aus. „Kurzfristig“ würden die Gasölpreise wohl relativ hoch bleiben.

Von Gasöl statt nur von Diesel zu reden, ist deshalb richtig, weil die hohen Dieselpreise zum Großteil Ausdruck eines Strukturproblems der europäischen Petrolindustrie sind: Verglichen mit den Mitteldestillaten Diesel und Heizöl – der Flugtreibstoff Kerosin gehört ebenfalls in diese Gruppe – ist Benzin das edlere Produkt und entsteht weiter hinten in der Prozesskette zum Aufspalten des Rohöls. „In Erwartung hoher Benzinnachfrage haben Europas Raffinerien in teure Konversionstechnologien zur Benzingewinnung investiert“, sagt René Winkin. Aber seit  einigen Jahren schon herrscht Benzinüberschuss, den die Ölunternehmen vor allem in die USA exportieren, und Dieselmangel, den sie durch Importe aus Russland auszugleichen versuchen. Das strukturelle Ungleichgewicht hat Folgen: Vor Steuern und Akzisen ist Diesel längst teurer als Bezin.

An dieser Stelle wird die Sache politisch. Denn es sind politisch beschlossene Akzisensätze, die Diesel im Endpreis dann doch billiger werden lassen. In der EU besteuert nur Großbritannien beide Kraftstoffarten gleich. Mit 6,6 Cent pro Liter sind die britischen Akzisensätze zugleich die derzeit EU-weit höchsten auf Diesel und nach den niederländischen (7,2 Cent pro Liter) die zweithöchsten auf Benzin. Dass nach einer regelmäßig aktualisierten Statistik der EU-Kommission Anfang der Woche nicht nur in Großbritannien, sondern noch in elf weiteren Staaten Diesel teurer als Benzin war, lag in erster Linie am Angebot an der Rotterdamer Petrolbörse.

Politisch gewollt waren niedrige Dieselpreise zunächst, um Busflotten für den öffentlichen Verkehr und LKW-Flotten für Straßengütertransporte preiswert einsetzbar zu machen. 1997 kam noch ein Ziel hinzu: Die im
Branchenverband Acea zusammengeschlossenen europäischen Autohersteller verpflichteten sich gegenüber der EU-Kommission, bis 2008 die CO
2-Emissionen aller neuen PKWs auf 140 Gramm pro gefahrenen Kilometer zu senken. Dazu brachten sie gezielt verbesserte Dieselmodelle auf den Markt. Damit die ihre Käufer fanden, musste Diesel preiswerter als Benzin bleiben. Als 1997 unter Luxemburger Präsidentschaft im EU-Finanzministerrat die Verhandlungen für die derzeit geltende Energiesteuerrichtlinie begannen, die Mindestniveaus zur Besteuerung festlegen sollte, war schon klar, dass die Mindest-Dieselakzisen kleiner bleiben sollten als die Mindest-Benzinakzisen. Als die Richtlinie 2003 schließlich in Kraft trat, lag das Benzinakzisenminimum mit 3,59 Cent pro Liter neun Prozent über dem für Diesel (3,3 Cent pro Liter).  

Doch wenn Europas Raffinerien nicht hergeben, was die Politik sich gewünscht hat, müssten die Autobesitzer sich zwangsläufig fragen, ob ein Diesel-PKW sich wirklich lohnt.  Weil ein Liter Diesel einen um rund 15 Prozent höheren Heizwert hat als ein Liter Benzin, haben Dieselautos einen Verbrauchsvorteil. Der wird in hocheffizienten Dieselmotoren so groß, dass er, verglichen mit Benzinern, pro gefahrenem Kilometer auch die CO2-Emissionen kleiner ausfallen lässt. Denn eigentlich entsteht aus einem Liter Diesel, des höheren Heizwerts wegen, mehr CO2 als aus einem Liter Benzin.

Doch der Verbrauchsvorteil der Dieselantriebe sinkt andererseits durch den Feinpartikelfilter, der nach der nun geltenden Euro-5-Norm in jedem Neuwagen serienmäßig eingebaut sein muss, und wenn in vier Jahren mit der Euro-6-Norm verschärfte Stickoxidgrenzwerte eingehalten werden müssen, erhöht das ebenfalls den Verbrauch. Hinzu kommt: Wegen des preiswerteren Sprits fahren Besitzer eines Diesel-PKWs damit öfter als Benzin-PKW-Inhaber mit ihrem Auto, hat Lee Schipper von der University of California, Berkeley, ermittelt (Transport Policy 18/2011; S. 358-372). Überdies  kaufen sie eher stärkere Autos; nicht zuletzt, weil Dieselfahrzeuge im Schnitt schwerer sind als Benziner. Unterm Strich sparen Diesel-PKW-Besitzer womöglich gar nicht so viel. Ob das die Mehrkosten bei der Anschaffung eines Diesel-PKWs einspielt – wer weiß.

Damit aber stellen sich auch Fragen zur Ökobilanz von Dieselautos. Der Antriebswissenschaftler Eckhard Helmers von der Fachhochschule Trier hat aus den Emissions- und Verbrauchsdaten von Diesel-PKWs und dem Nutzerverhalten ihrer Besitzer errechnet, dass Dieselautos eigentlich mehr CO2 emittieren als Benziner, und zwar schon seit 2006 (Umweltwissenschaftliche Schadstoffforschung 22/2010; S. 564-578).

Noch sieht es nicht nach einem großen Umstieg aus. Aber die Kundschaft der Luxemburger Autohändler stellt sich Fragen. „Das bekommen wir mit“, sagt Ernest Pirsch, der Präsident des Händlerverbands Fegarlux. „Die Leute wissen auch, dass in der EU darüber diskutiert wird, die Dieselakzisen zu erhöhen.“ Und die Hersteller würden „extreme Anstrengungen unternehmen, um auch bei Benzinantrieben den Verbrauch weiter zu senken“.

Die Diskussionen in der EU, von denen der Fegarlux-Vorsitzende spricht, drehen sich seit April dieses Jahres um eine Reform der Energiesteuerrichtlinie. Deren Reichweite wäre enorm, denn die EU-Kommission schlägt vor, die Energiesteuern künftig nicht mehr an der Menge der verkauften Energieprodukte auszurichten, sondern am CO2-Gehalt und am Energie-Inhalt der Produkte. 20 Euro sollen pro enthaltener Tonne CO2 berechnet werden und für jedes Gigajoule Energie 9,60 Euro. Die Steuersätze sollen automatisch an die Inflationsentwicklung angepasst werden und ab 2023 bei der Besteuerung überdies eine „Proportionalität“ gewahrt bleiben: Selbst ein im Vergleich zur Kohle relativ CO2-armes Energieprodukt wie Erdgas würde am Ende deutlich teurer als heute, weil Senkungen in der Besteuerung nur im Kontext aller anderen Produkte möglich wären.

Dass es derzeit nicht so aussieht, als habe der Entwurf im Finanzministerrat, wo darüber Einstimmigkeit gefunden werden müsste, eine große Zukunft, liegt einerseits daran, dass Großbritannien sich ein so weit reichendes Hineinregulieren in seine Steuerhoheit verbittet – mögen die britischen Energiesteuersätze, ganz abgesehen von denen auf Benzin und Diesel, auch heute schon im EU-Vergleich hoch sein. Ein zweiter wichtiger Stein des Anstoßes ist die Treibstofffrage: Diesel, das pro Liter schwerer ist als Benzin, nicht mehr nach Volumen zu besteuern, sondern nach Energie- und CO2-Gehalt, würde Treibstoff-Neutralität herstellen. Dass nach dem Kommissionskalkül bis 2018 die Benzinmindestakzise bei den derzeit 3,59 Cent pro Liter bleiben und die für Diesel von derzeit 3,3 auf 4,12 Cent steigen soll, deutet schon an, dass die gern für selbstverständlich erklärten Vorteile von Dieselantrieben auch Ausdruck einer Politik des Unterstützenwollens sind.

Deshalb ist auch der Kompromissvorschlag der Luxemburger EVP-Abgeordneten Astrid Lulling problematisch: Sie ist im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlements Berichterstatterin zur Energiesteuerrefrom. Wenngleich die nicht der Mitentscheidung des Parlaments unterliegt, hofft die CSV-Politikerin, dem Rat ein Angebot machen zu können. Zentraler Punkt: Verzicht auf die Proportionalität. In dem Fall würden die Energieprodukte zwar nach CO2- und Energiegehalt besteuert, aber nur bis zu den neuen Mindestsätzen. „Weil die meisten Mitgliedstaaten schon heute weit über den Minima liegen, die die Kommission für die Zukunft vorschlägt, wären die Änderungen beim Dieselpreis nur marginal“, erläutert Lulling.

So ein Kompromiss würde weniger dem Luxemburger Tanktourismus dienen (siehe nebenstehenden Text) als die Unterstützung der auf Diesel getrimmten Autoindustrie verlängern. Doch lediglich „marginale“ Änderungen beim Dieselpreis (wie auch bei anderen Preisen) würden nicht nur den neutralen Vergleich unter den Produkten unmöglich machen. Dauern die Strukturprobleme der Raffineriebranche an, werden die Dieselpreise so oder so steigen – wenn nicht fiskalpolitisch mitreguliert, dann durch die Börse in Rotterdam. Das Observatoire méditerranéen de l’énergie im französischen Sophia Antipolis notiert schon: Trotz neuer Produktionskapazitäten für die Mitteldestillate in den Raffinerien bleibe Europa abhängig von Dieselimporten. Der Dieselbedarf aber steige weltweit, auch in Asien. Und da werde es für Russland immer unwichtiger, Europa mitzuversorgen. 

Peter Feist
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