Anwohnerparken

Vignetten statt Tram

d'Lëtzebuerger Land vom 19.12.2002

Immer mehr Autos, die nicht den Bewohnern der Gemeinde gehören, würden an den Straßenrändern parken, klagt es aus den Rathäusern in Strassen und Hesperingen. "Berufspendler von außerhalb stellen ihre Wagen bei uns ab und fahren mit dem Bus weiter in Richtung Luxemburg-Stadt", sagt die Strassener Bürgermeisterin Gaby Leytem-Wantz. Und in Hesperingen wird festgestellt dass immer mehr Fahrer von außerhalb ihre Autos in Howald und am Hesper Plateau parken - auffällig, seitdem die städtische Buslinie 3 seit Frühjahr 2001 alle 30 Minuten bis dorthin fährt.

 

Beide Gemeinden wollen ein Anwohnerparksystem mit Vignette einführen. In Strassen gratis, im Hesperinger Gemeindeteil Howald vielleicht kostenpflichtig. Diskussionen, wie sie in den letzten Wochen in der Hauptstadt geführt wurden, will man aber auf keinen Fall. Dort kommt die gebührenpflichtige Vignette für jedes Zweit- und Drittfahrzeug pro Haushalt am 1. Juli 2003. Dann entfallen auch die "zones bleues", und stadtweit darf nur noch für 70 Cents pro Stunde und maximal drei Stunden lang parken, wer keine Anwohnervignette besitzt; bei Überschreitung werden 18 Euro "Tagesgebühr" fällig.

 

Kaum ein Projekt des hauptstädtischen Schöffenrats hatte für soviel Diskussionen gesorgt wie das neue Parking-Reglement, das der Gemeinderat auf seiner Budget-Sitzung am Montag zu nachtschlafener Zeit beschloss. Dass es die Opposition dem Schöffenrat verbal um die Ohren schlug, war nur normal,  immerhin werden 2003 neben den pro Jahr 48 Euro für die Vignette eines Zweitwagens und 96 Euro für den Drittwagen auch noch andere Taxen und Gebühren angehoben, und so stellte die Opposition lautstark die Frage nach der Sozialverträglichkeit.

 

Aber noch am Freitag letzter Woche, dem letzten Werktag vor der Abstimmung des Budgets 2003, hatten Finanzkommission und Mobilitätskommission über das Anwohnerparken beraten, sprach sich die Mobilitätskommission gegen die Parking-Reform aus: in der Befürchtung, das neue System sei nicht beherrschbar, denn zusätzliche Kontrollbeamte zu den derzeit 84 will der Schöffenrat zumindest im nächsten Jahr nicht einstellen, und es ist gar nicht ausgemacht, ob denn tatsächlich für jeden Anwohner auch ein Parkplatz zur Verfügung stehen wird.

 

Man wolle mehr Autofahrer auf den öffentlichen Transport lenken, erklärte Verkehrsschöffe Paul-Henri Meyers am Montag. Erhebe man Park-Gebühren, hätten sie höhere Einnahmen als "schönen Nebeneffekt". Doch ob die Pädagogik funktionieren wird, steht dahin. Weder Bürgermeister Paul Helminger noch Verkehrschöffe Meyers konnten das per Pressemitteilung am 22. November versprochene "kohärente Maßnahmenensemble" zur Förderung des öffentlichen Transports präsentieren. Wie sollten sie auch, da die Hauptstadt ihre Mobilitätsprobleme nicht erst seit heute kaum allein lösen kann und sich noch immer ein Kapazitätsproblem entlang der Avenue de la Liberté stellt, das eine Tram hätte lösen können.

 

Parkraum ist in der Tat knapp. Nicht nur die neue Vignette soll dem abhelfen, sondern vor allem die schon vor knapp einem Jahr abgeänderte Stellplatzverpflichtung für Gewerbetreibende: ein Parkplatz pro 125 Quadratmeter Bürofläche gilt nach Gemeinderatsbeschluss, das vorige Bautenreglement hatte noch für alle 25 Quadratmeter einen Abstellplatz vorgesehen. Die neue Regel zielt nicht allein auf in den Wohnvierteln liegende Betriebe, sondern auch auf Neuansiedlungen wie in der zu erweiternden Industriezone Cloche d'or: 23 000 bis 33 000 neue Arbeitsplätze könnten dort bis zum Jahr 2020 entstehen, notierte die Straßenbauverwaltung im Januar in einer Studie (siehe d'Land vom 1. März 2002), und zwischen 54 000 und 61 000 Autos zusätzlich in den Raum Howald/Gasperich einpendeln.

 

Sie könnten die Parkraumnot noch weiter in die Nachbarkommunen verlagern. Auch Reorganisation von Buslinien oder deren Neueinführung haben ihren Pferdefuß, wenn Nachbargemeinden zu wilden Park [&] Ride-Zonen werden. In Strassen wird der Parkplatzmangel eindeutig in Verbindung mit dem verbesserten Busverkehr nach Luxemburg-Stadt gebracht: Knapp 900 Fahrgäste benutzen täglich allein ab Strassen die Europa-Buslinie 222, Steinfort-Luxemburg, die mittlerweile sieben Prozent zum Gesamtaufkom-men des öffentlichen Transports nach der Hauptstadt beisteuert und im Transportministerium als Erfolgsgeschichte gilt. Nur, dass viele Busbenutzer offenbar keine Strassener sind.

 

Einen Vorteil werden die Vignetten haben: Sie werden zeigen, wer wann wo parkt, und vor allem, wo er herkommt. Hoffentlich arbeitet man damit. Hauptstadt und Nachbargemeinden teilen das Problem Verkehr, vor allem Berufsverkehr. 178 000 Autos von außerhalb würden während den Spitzenstunden nach Luxemburg-Stadt einpendeln, sagt Verkehrsschöffe Meyers. Doch diese Zahlen datieren vom Jahr 1991 und wurden im Rahmen der Luxtraffic-Studie erhoben, die drei Jahre später zum BTB-Projekt führte. Neue Zählungen seien wegen des "hohen Aufwands" nicht veranlasst worden, doch der Verkehrsschöffe hält schon die von vor elf Jahren für "beeindruckend genug".

 

Was leider die transportpolitische Stagnation in der Hauptstadt illustriert: die zwischen 1998 und 2000 hoch politisierte Pro-und-Contra-BTB-Debatte verhinderte die Auseinandersetzung mit Mobilitätsproblemen. Mochte BTB auch nicht jedes Verkehrsproblem gelöst haben, waren die 1998 präsentierten Trassenverläufe stark auf eine Hauptstadt-Tram bezogen und ließen die Region weitgehend außer Acht, hatte BTB den Vorteil, ein in sich geschlossenes Konzept zu sein. Das Ende Januar vom Trasnportminister vorgelegte Strategiekonzept mit regionalem Ansatz mobilitéit.lu soll frühestens 2015 in die Praxis umgesetzt sein.

 

Über die Optimierung der Busdienste des AVL kommt die Hauptstadt derzeit kaum hinaus. Zwei Drittel der Bevölkerung haben laut AVL mittlerweile zwischen 7 und 19 Uhr im Zehn-Minuten-Takt einen Bus zu ihrer Verfügung. Doch eine Ausweitung stößt auch an Kapazitätsgrenzen - vor allem in den Spitzenstunden, die sich insbesondere nachmit-tags immer weiter verlängern. Dass der Schöffenrat vor diesem Hintergrund um der Pädagogik willen kein qualitatives Kompensationsmittel zur Hand hat, um seinen Bürgern die Vignettenregelung schmackhaft zu machen, räumt Verkehrsschöffe Meyers ein. Und eine grundlegende Verbeserung wird so schnell nicht zu haben sein. Erst in der Studierphase beim Bautenministerium befinden sich die im Rahmen von mobilitéit.lu in Aussicht gestellten Park [&] Ride-Plätze, die den Berufs-pendlerstrom, der in der Hauptstadt werktags die Einwohnerzahl quasi verdoppelt, in zwei "Gürteln" auffangen sollen - einer schon in Grenznähe, der zweite in näher gelegenen Gemeinden. Doch während der grenznahe Gürtel nicht zuletzt von der Realisierung der in mobilitéit.lu geplanten neuen Schienenwege abhängt, wird der hauptstadtnähere schon jetzt zum interkommunalen Zankapfel: Wenn Verkehrsschöffe Meyers sich etwa einen großen Auffangparking bei Lorenzweiler wünscht, weil sich dort demnächst Nordstraße und CFL begegnen werden, hat der Lorenzweiler Bürgermeister schon Widerstand signalisiert, gab der dortige Gemeinderat vor Monaten in einer Entschließung bekannt, man habe die Ostvariante der Nordstraße "nie gewollt".

 

Landesweit ist derzeit die transportpolitische Debatte abgeflaut. Aufleben dürfte sie, wenn Anfang nächsten Jahres in der Chamber erste Ergebnisse des Integrierten Verkehrs- und Landesplanungskonzepts präsentiert werden. Bis dahin ziehen sich die Ministerien, aber auch der Schöffenrat der vom Berufsverkehr so stark betroffenen Hauptstadt auf bestehende Projekte zurück. Dass sich zwei Gesetzentwürfe zur Ausweitung der Schieneninfrastruktur gemäß mobilitéit.lu auf dem Instanzenweg befänden, konterte Paul-Henri Meyers am Montag Konzeptlosigkeits-Vorwürfe aus der Opposition. Doch beide Projekte enthalten neben punktuellen Kapazitätserhöhungen der CFL-Gleiswege vor allem den zweigleisigen Ausbau der Petinger Strecke, die insbesondere dem Güterverkehr zugute kommen wird. Allein die Trennung der Gleise am Nordausgang des Bahnhofs und der Bau einer neuen Bahnbrücke neben dem Viadukt in Pulvermühle zielen als infrastrukturelle Neuerung direkt auf den öffentlichen Transport: Hier soll einmal die Bahnverbindung Gare-Findel-Kirchberg rollen, doch ob im Jahre 2007 Train-Tram-Züge fahren werden, ist nicht so sicher, erst am Dienstag gab der Transportminister bekannt, dass mit dem Baubeginn des neuen Viadukts nicht vor 2005 zu rechnen sei.

 

Bis dahin aber dürften Überlegungen in der Hauptstadt zu Qualitäts-sprüngen im Angebot ruhen. Die Kirchberg-Findel-Bahn sei nicht als "solution de rechange pour un tramway reliant les anciens quartiers de la Ville de Luxembourg à la région" zu verstehen, notierte im Oktober 2000 die zuständige interministerielle Arbeitsgruppe, sondern als Zusatzlösung. Unbedingt müsse man die Option einer Tram ab Kirchberg ins Stadtzentrum offenhalten.

Das ist seit Ende letzten Jahres auch Beschlusslage zwischen Transportministerium und Schöffenrat der Hauptstadt, und Henri Grethen hält sehr darauf, veranlasst zu haben, dass jedes Straßenbauprojekt so angelegt wird, dass es nicht verhindert, dass irgendwann doch der "Zuch duerch d'Stad" fahren könnte. Und so weist Verkehrsschöffe Meyers diese Idee nicht prinzipiell von sich. Aber sie könne erst in ein paar Jahren auf den Tisch kommen, wenn man sieht, wie die Kirchberg-Tram genutzt wird.

 

Nach wie vor aber ist die Avenue de la Liberté das Nadelöhr für den Busverkehr, rollen pro Stunde 80 Busse in beiden Richtungen. Stadtbusse und Regionalbusse würden sich zwischen Busbahnhof Hamilius und dem Bahnhof gegenseitig behindern, RGTR-Busse seien dabei oft nur mit wenig Fahrgästen besetzt. "Man müsste die Busse besser koordinieren", sagt Paul-Henri Meyers. Darüber sei man mit dem Transportministerium im Gespräch, doch die Frage sei "kritisch". Denn sie verlangt entweder einen größeren Bus-Umsteigebahnhof außerhalb des Zentrums. Oder eben eine Tram. Ihr aber dürfte der DP-CSV-Schöffenrat sich vor den nächsten Wahlen kaum stellen. Mag Henri Grethen auch sagen, hätte das LSAP-geführte Transportministerium seinerzeit konkrete Baupläne für die Tram ausarbeiten lassen, wäre sie vielleicht doch realisiert worden.

 

Peter Feist
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