Archive

Feuilleton / Die kleine Zeitzeugin

Kinderkriegen

Mama!

Michèle Thoma
Édition: 06.06.2014
Gibt es sie noch, diese Wesen, die von einer Horde kleiner Banditen verfolgt werden (ein Bandit tut es auch schon), die nicht aufhören, sie mit Mama anzuschreien? Die sich stolz mit drolligen, possierlichen Geschöpfchen abschleppen, die sabbern und in die Hose machen? Die Unendlichkeiten lang …
Europawahlen

Das Wählerwesen

Michèle Thoma
Édition: 30.05.2014
Ein Herrenduo tingelt durch Europa. Ein Herrenduo klappert Landstriche ab, geht aber nicht auf den Landstrich. Das Herrenduo muss immer viel stehen, Antwort stehen. Vor einem ziemlich frisch gewaschenen Publikum. Es geht gesittet zu, niemand wirft Eier oder flucht oder beschimpft die Herren, alle …
So toll, so grenzenlos

Europa, fünf Sterne

Michèle Thoma
Édition: 23.05.2014
Europa, so toll, so grenzenlos. Schnell mal in einer malerischen Stadt mit Fresken Wein trinken, einen regionalen. Oder an einem fischreichen skandinavischen See entlangstiefeln. Oder frühstücken in Florenz, dann Kunst, und abends gehen wir zuhause mit dem Hund spazieren. Und nicht mal den Pass …
Grand-prix-Gewinnerin Conchita Wurst

Die frohe Botschaft

Michèle Thoma
Édition: 16.05.2014
Sie ist Sissi, sie ist Kaiserin und Päpstin und Heilige. Mindestens. Conchita Wurst hat Ikonenaugen und eines der prächtigsten Gebisse, deren je ein Fernseher_innenauge gewahr wurde. Ihre Haare strömen über den zarten Rücken, sie lächelt tränenverschleiert, zugleich überirdisch und zutiefst …
Wir nennen es Frühling, zum Beispiel

Die anderen

Michèle Thoma
Édition: 09.05.2014
Es fängt immer so schön an. Es fängt mit solchen wie uns an. Sie sind plötzlich auf Plätzen, sie sind viele, sie ähneln uns. Oder unseren Kindern, unsern Freundinnen. Ein bisschen jedenfalls. Sie tragen die Haare, wie wir sie tragen, sie haben vielleicht Bärte, nette, friedliche Bärte, meistens …
Der Außenminister äußert sich zu Russland und der Ukraine

Flinten, oder wie sagt man?

Michèle Thoma
Édition: 25.04.2014
Der luxemburgische Außenminister sitzt in einer deutschen Talkshow. Die Zuhörer_innen hängen betört an seinen Lippen, ein Augenschmaus ist er auch noch. Die Luxemburger_innen sind im deutschen Fernsehen beliebt. Sie reden Tacheles in einer Sprache, die Fröhlichkeit schafft. Frei weg von der Leber, …
Ostern anno 2014

Heidenkinder

Michèle Thoma
Édition: 18.04.2014
Wie schnell ist die Zeit vergangen, gerade erst lag der Wonneproppen rosig auf goldenem Stroh. Esel, Ochs, Hirtlein, Englein in excelsis musizieren und delirieren divers, eine Mutter vergöttert das blond gelockte Knäblein, der Patchwork-Family-Vater hält sich dezent im Hintergrund. Einen …
Der neue Premier liebt die Leute

Prinz der Herzen

Michèle Thoma
Édition: 11.04.2014
Der funkelnagelneue Premier mit dem jetzt schon legendären Charme, „moien, äddi, alles an der Rei?“, der die Damen in der Großgasse bezirzt, neuer Stil, sitzt vor seinen selbst beschafften Bildern, keine Festungs-Ölschinken, poppige, witzige Bilder, und trinkt vier oder fünf Tassen Kaffee. So …
Irgend etwas ist geschehen

Wo ist mein Lobbyist?

Michèle Thoma
Édition: 04.04.2014
Es ist noch nicht lange her, da glaubte ich vieles, beinahe alles. Ich war ein sehr unmisstrauischer Mensch. Ich glaubte an Gott, den Teufel, den Menschen, an mich, an den netten Onkel Doktor und die Pflänzlein, die im Frühling auf Kommando aus der Erde schießen. Nicht nur an das Gute im Hund. Es …
Und dann reden wir über Gas mit ihm

Putin allein zuhaus

Michèle Thoma
Édition: 21.03.2014
Was geht in ihm vor, Herr_in Doktor? Er schaut ein bisschen trotzig-störrisch. Finden Sie nicht auch, Herr_in Verhaltenstherapeut_in? Oder ist das schon Autismus? Was haben wir falsch gemacht? Hätte man ihn nicht besser integrieren können? Wir waren doch schon so weit, die Behandlung hatte doch …
Was war das für ein Sommer!

Die Wahrheit ist dem Menschen nicht zumutbar

Michèle Thoma
Édition: 06.09.2013
Herr, der Sommer, er war groß. Mit Meeren, Wüsten, Walen, mit Bergen, von denen wir fern sahen. Manche ruhten auch einfach nur in sich selber, vor Fernsehgeräten oder auf kleinen Balkonen, auf denen sie Blumen in die Augen schauten. Die Zeit hielt inne, denn es war Sommer, er war groß, Hitzewellen …
Die kleine Zeitzeugin

Die Fänger im Maisfeld

Michèle Thoma
Édition: 09.08.2013
Fait divers, Ingeldorf, 23. Juli Da ist einer, da ist einer drin. Da, tief drin im Maisfeld. Den suchen sie, die Armee ist da, Hunde, Dutzende Polizisten. Irgendwo da hockt er, in unserm Schweinefutter, der Schweinekerl, und muckst sich nicht. Der Feigling. Schau, Kimjimtim, siehst du die …
Er kommt doch wieder, der glühende Europäer?

Der Rumäne auf dem Dach

Michèle Thoma
Édition: 12.07.2013
Eben war mein kleines Land noch in der Kristallkugel, die man im Suvenirsbuttik kaufen konnte, neben Fähnchen mit großen, starken, roten Löwen drauf. Es regnete in der Kristallkugel, aber es flossen auch Milch und Honig und Bier und Benzin, und die Alzette floss durch die Hymne. Alle älteren Damen …
Gut geht's

Im Auto zur Bastille

Michèle Thoma
Édition: 17.05.2013
Es wird unheimlich schlimm, es wird noch schlimmer, wo sind die Bucheckern und die Brennnesseln, kann man Hasenbrot essen, ich glaube ja, Filzläuse sowieso. Es wird unheimlich schlimm, Juncker hält eine Grabrede zur Lage der Nation. Er sitzt bei einem Philosophen, der seine eigene Marke ist, und …

Den Gürtel enger schnallen

Fänk der eng Meck!

Michèle Thoma
Édition: 26.04.2013
Die fleißigen Bienchen essen wir aber nicht, gell. Die brauchen wir ja in unserer Mutter Natur pur, wer soll sonst herum sumsen, von Kelch zu Kelch? Einer muss ja bestäuben. Die Arbeiterklasse muss ja arbeiten, die kann man nicht einfach aufessen, wo kämen wir da hin. Aber die Wespen? Ab in die …

Guten Appetit, Brüder und Schwestern

Gute Wölfe, guter Hirt

Michèle Thoma
Édition: 22.03.2013
Der Papst fährt U-Bahn. Die ganze Zeit fährt er auf allen Sendern U-Bahn, dann tanzt er wieder Tango, in den Favelas, vielleicht mit Maria Magdalena, oder wäscht Füße, er kann nicht anders. Darauf hat die Kirche gewartet und die Welt mit den bösen Banker-Bonzen: auf die Demut, den sanften Blick. …

Russland. Ein Wintermärchen

Depardjow, grübelnd

Michèle Thoma
Édition: 18.01.2013
Datscha, Samowar, Nacht, tiefe. Gerardoslav Xavierowitsch Mursel Depardjow sitzt grübelnd im Schlafrock vor dem Briefbogen und kaut am Federkiel. Er taucht ihn in die Tinte, die schwarz ist wie die russische Nacht. Müde schüttelt er das mächtige Haupt und nimmt einen Schluck russischen Tees. Es …