Archive
Feuilleton / Die kleine Zeitzeugin
Giftpflanze
Ein Sträußchen Bärenklau
Michèle Thoma
Édition: 15.08.2014
Männer in Schutzanzügen wühlen sich beherzt durch unwegsames Gebiet. Sie schlagen sich durch zwischen dicht behaarten Stämmen mit baumlangen Blättern, auf denen sich melonenschwere Dolden hypnotisch im Sommerwind wiegen. Die können sofort jeden bestäuben und betäuben, und andere schreckliche …
Wir sind grenzenlos
One World
Michèle Thoma
Édition: 08.08.2014
Die Ukraine ist weit weg, wir haben damit nichts zu tun. Haben wir gedacht. Sagt eine Holländerin, sie legt am Flughafen Blumen nieder. Eben waren Menschen aus dem Himmel gefallen, sie wollten noch viel weiter weg, sie fallen aus dem Himmel in ein Sonnenblumenfeld in der Ukraine, auf Dächer und …
Die kleine Zeitzeugin
Edle Recken, holde Maiden
Michèle Thoma
Édition: 01.08.2014
Im Mittelalter ist es cool, sie rasseln mit den Ketten und schauen düster aus Kutten. Sie schwingen Säbel, sie gaukeln, sie klimpern neckisch mit dem Keuschheitsgürtel. Schwerter werden gezückt, die Burgfräuleins sind schwer entzückt. Der Herr Ritter hat sich in Schale geworfen. Lanzen zischen …
Sommer!
Die große Zeit
Michèle Thoma
Édition: 25.07.2014
Gut, dass du da bist, Sommer. Endlich, wurde auch Zeit. Schwitzen, sitzen, ins Nichts schauen, auch wenn es nur ein Parkplatz ist, mit ein paar Mülltonnen und rachitischen Bäumen. Oder eine Kaffeeterrasse am Stadtrand, in der ein paar ältere Herren ihr Bierglas fixieren, ab und zu ein Hund furzt, …
Zum letzten Mal: Fußball-WM 2014
Abzug der Helden
Michèle Thoma
Édition: 18.07.2014
Die Geschichten sind mächtig, unvergänglich, die Siege und Niederlage historisch, einmalig. Wenn die geneigte Leserin sich diesen Zeilen gewidmet haben wird, eventuell, wird sie sie schon vergessen haben. Wovon spricht die eigentlich, von wem, war da was, und wer, gegen wen? Ah ja, in Brasilien …
Die kleine Zeitzeugin
Kreuzigungen
Michèle Thoma
Édition: 04.07.2014
Zwischendurch, in den Pausen, tauchen unentspannte Herren oder Damen auf und erzählen ekelhafte Dinge. Dinge, die es überhaupt nicht gibt. Vollkommen irrwitziges Zeug, man sollte abschalten, eigentlich will man ja nur zur Toilette oder ein Bier holen oder mit dem Hund raus, und dann kommen die und …
Es war Nationalfeiertag
Flott!
Michèle Thoma
Édition: 27.06.2014
Der Premier sagt so wunderbare Sachen, da könnten die Zähren über die zerfurchten Antlitze rinnen. Mit dem Land, das so schön ist, dass die Tourist_innen aus aller Welt es stürmen, übertreibt er zwar ein bisschen. Und dass allerhand Maßnahmen getroffen werden werden, ist auch nicht gerade …
Frauen zur Fußball WM
Frauen schauen
Michèle Thoma
Édition: 20.06.2014
Die Herren werden unseren Erwartungen nicht gerecht. Sie wälzen sich zu wenig im Gras, sie bekreuzigen sich nur hin und wieder, niemand hat bisher den Gebetsteppich ausgerollt, und gespuckt wird auch nicht mehr so viel. Es scheint, sie werden gecoacht, Urmännliches wird ihnen ausgetrieben, es ist …
Vergessen im Internet
Google hat Alzheimer
Michèle Thoma
Édition: 13.06.2014
Vergiss mich, Google, und sie und ihn und es, wir sind zutiefst enttäuscht, menschlich enttäuscht, kann man sagen, beinahe. So wie du uns getäuscht hast. Du hast dich Suchmaschine genannt, klang ganz ok, nach etwas Praktischem, Verlässlichem. Du warst für uns da, auch nach Mitternacht, gratis, ein …
Kinderkriegen
Mama!
Michèle Thoma
Édition: 06.06.2014
Gibt es sie noch, diese Wesen, die von einer Horde kleiner Banditen verfolgt werden (ein Bandit tut es auch schon), die nicht aufhören, sie mit Mama anzuschreien? Die sich stolz mit drolligen, possierlichen Geschöpfchen abschleppen, die sabbern und in die Hose machen? Die Unendlichkeiten lang …
Europawahlen
Das Wählerwesen
Michèle Thoma
Édition: 30.05.2014
Ein Herrenduo tingelt durch Europa. Ein Herrenduo klappert Landstriche ab, geht aber nicht auf den Landstrich. Das Herrenduo muss immer viel stehen, Antwort stehen. Vor einem ziemlich frisch gewaschenen Publikum. Es geht gesittet zu, niemand wirft Eier oder flucht oder beschimpft die Herren, alle …
So toll, so grenzenlos
Europa, fünf Sterne
Michèle Thoma
Édition: 23.05.2014
Europa, so toll, so grenzenlos. Schnell mal in einer malerischen Stadt mit Fresken Wein trinken, einen regionalen. Oder an einem fischreichen skandinavischen See entlangstiefeln. Oder frühstücken in Florenz, dann Kunst, und abends gehen wir zuhause mit dem Hund spazieren. Und nicht mal den Pass …
Grand-prix-Gewinnerin Conchita Wurst
Die frohe Botschaft
Michèle Thoma
Édition: 16.05.2014
Sie ist Sissi, sie ist Kaiserin und Päpstin und Heilige. Mindestens. Conchita Wurst hat Ikonenaugen und eines der prächtigsten Gebisse, deren je ein Fernseher_innenauge gewahr wurde. Ihre Haare strömen über den zarten Rücken, sie lächelt tränenverschleiert, zugleich überirdisch und zutiefst …
Wir nennen es Frühling, zum Beispiel
Die anderen
Michèle Thoma
Édition: 09.05.2014
Es fängt immer so schön an.
Es fängt mit solchen wie uns an. Sie sind plötzlich auf Plätzen, sie sind viele, sie ähneln uns. Oder unseren Kindern, unsern Freundinnen. Ein bisschen jedenfalls. Sie tragen die Haare, wie wir sie tragen, sie haben vielleicht Bärte, nette, friedliche Bärte, meistens …
Der Außenminister äußert sich zu Russland und der Ukraine
Flinten, oder wie sagt man?
Michèle Thoma
Édition: 25.04.2014
Der luxemburgische Außenminister sitzt in einer deutschen Talkshow. Die Zuhörer_innen hängen betört an seinen Lippen, ein Augenschmaus ist er auch noch. Die Luxemburger_innen sind im deutschen Fernsehen beliebt. Sie reden Tacheles in einer Sprache, die Fröhlichkeit schafft. Frei weg von der Leber, …
Ostern anno 2014
Heidenkinder
Michèle Thoma
Édition: 18.04.2014
Wie schnell ist die Zeit vergangen, gerade erst lag der Wonneproppen rosig auf goldenem Stroh. Esel, Ochs, Hirtlein, Englein in excelsis musizieren und delirieren divers, eine Mutter vergöttert das blond gelockte Knäblein, der Patchwork-Family-Vater hält sich dezent im Hintergrund. Einen …
Der neue Premier liebt die Leute
Prinz der Herzen
Michèle Thoma
Édition: 11.04.2014
Der funkelnagelneue Premier mit dem jetzt schon legendären Charme, „moien, äddi, alles an der Rei?“, der die Damen in der Großgasse bezirzt, neuer Stil, sitzt vor seinen selbst beschafften Bildern, keine Festungs-Ölschinken, poppige, witzige Bilder, und trinkt vier oder fünf Tassen Kaffee. So …
Irgend etwas ist geschehen
Wo ist mein Lobbyist?
Michèle Thoma
Édition: 04.04.2014
Es ist noch nicht lange her, da glaubte ich vieles, beinahe alles. Ich war ein sehr unmisstrauischer Mensch. Ich glaubte an Gott, den Teufel, den Menschen, an mich, an den netten Onkel Doktor und die Pflänzlein, die im Frühling auf Kommando aus der Erde schießen. Nicht nur an das Gute im Hund. Es …
Und dann reden wir über Gas mit ihm
Putin allein zuhaus
Michèle Thoma
Édition: 21.03.2014
Was geht in ihm vor, Herr_in Doktor? Er schaut ein bisschen trotzig-störrisch. Finden Sie nicht auch, Herr_in Verhaltenstherapeut_in? Oder ist das schon Autismus? Was haben wir falsch gemacht? Hätte man ihn nicht besser integrieren können? Wir waren doch schon so weit, die Behandlung hatte doch …
Was war das für ein Sommer!
Die Wahrheit ist dem Menschen nicht zumutbar
Michèle Thoma
Édition: 06.09.2013
Herr, der Sommer, er war groß. Mit Meeren, Wüsten, Walen, mit Bergen, von denen wir fern sahen. Manche ruhten auch einfach nur in sich selber, vor Fernsehgeräten oder auf kleinen Balkonen, auf denen sie Blumen in die Augen schauten. Die Zeit hielt inne, denn es war Sommer, er war groß, Hitzewellen …
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