Was die Maison de l’orientation bereithält

Berufswahl am Marterpfahl

d'Lëtzebuerger Land du 13.03.2020

Wie ein cooler Ort sieht das Berufsinformationszentrum in der Maison de l’orientation unweit der Stäreplaz in Luxemburg-Stadt nicht aus. Wer den Raum betritt, soll sich einen Bon mit einer laufenden Nummer ziehen wie bei der Adem oder am Wurststand eines Supermarkts. Linker Hand wartet hinter einem hohen Schalter eine Dame und fragt, ob man einen Berater zu sprechen wünscht. Rechts stehen Regale mit Fächern voller Informationsblätter und Broschüren zum Thema Berufswahl und Weiterbildung. Die Fächer haben Klappen, an denen hinter einer Plastikhalterung eine Beispiel-Broschüre aufgestellt ist. Wer eine Klappe anhebt, findet dahinter noch mehr Material. Meistens: Hinter einer hat jemand einen Stapel mit den Arbeitsmarktstatistiken der Adem vom März 2018 deponiert.

Eingerichtet wurde die Maison de l’orientation 2012. Ein Guichet unique für alle Fragen rund um die Orientierung sollte sie werden und ihr Berufsinformationszentrum (BIZ) über Berufsbilder, Praktikumsplätze, Jobbörsen und potenzielle Arbeitgeber informieren. Für Schüler im Enseignement général, denen sich die Frage stellt: „Was tun nach der Cinquième?“ soll es ebenso da sein wie für Berufstätige, die umschulen möchten. Für Schüler ist der Besuch im BIZ Pflicht und wird in der Regel im Klassenverbund absolviert.

Doch die Sache ist eben die, dass das BIZ kein cooler Ort ist. Wer sich als Erwachsener dorthin begibt und einigermaßen weiß, wonach zu suchen ist, wird vermutlich nicht schlecht bedient; vor allem im Gespräch mit einem Berater. Jugendliche aber, die noch nicht wissen, wohin mit sich, dürfte das Angebot des BIZ nicht ohne weiteres ansprechen.

Weiter drinnen im Raum, hinter den Regalreihen, stehen auf langen Tischen PCs. Dort kann über einen Web-Browser die von der Adem koordinierte Seite beruffer.anelo.lu besucht werden. Sie bietet unter anderem Vier-Minuten-Videos, in denen Berufe vorgestellt werden. Weil sich dort Menschen äußern, die die Berufe ausüben, und dies oft junge Menschen sind, sind die kurzen Filme vermutlich keine schlechte Sache. Die Auswahl ist mit 75 groß, doch 35 Filme betreffen akademische Berufe, vom Soziologen über die Unternehmensanwältin bis hin zum Mathematiker. Da die aktuelle Liste der DAP-Lehrberufe 60 umfasst, erörtern die 40 in Videos präsentierten dieses Angebot nur zum Teil.

Auffällig ist auch: Wenig ist die Rede von neuen, sich erst seit kurzem abzeichnenden Berufsbildern. „Smart Technologies“ heißt eine neue Kategorie, die an fünf Lyzeen als Technikerausbildungen eingerichtet wurde, darunter in Robotik und Automatisierung oder Intelligenter Energie. Diese Berufe spielen in den Multimedia-Präsentationen im BIZ noch keine Rolle. Das muss nicht unbedingt schlimm sein, denn allem Digitalisierungs-Hype zum Trotz werden in der Industrie zum Beispiel in sehr analogen Verfahren nach wie vor sehr analoge Produkte hergestellt, und wer automatisieren möchte, muss zunächst wissen, was eigentlich. Das ändert nichts daran, dass die Berufswelt, wie das BIZ sie suggeriert, ein wenig in der Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Aber immerhin: Das Video über den Elektriker zeigt einen solchen bei der Überprüfung einer Solarstromanlage. Und dass ein Sanitär-, Heizungs- und Klimaanlageninstallateur nicht nur Abflussrohre verlegt, sondern beispielsweise auch Diagnosen an Heizungsanlagen vornimmt und dazu digitale Instrumente nutzt, wird zumindest angedeutet. Ob damit Jugendliche in allen Facetten ihrer Neugier und Passionen, Fragen und Zweifel dort abgeholt werden, wo sie stehen, scheint aber nicht so sicher.

Die kurzen Filme sind der abwechslungsreichste Teil des Informationsangebots, das das BIZ bereithält. Andere sehen auch abwechslungsreich aus, führen aber in die Irre: Der „Job-o-mat“ zum Beispiel, ein stilisiertes Kraftmaschinen-Unikum auf der Web-Seite beruffer.anelo.lu, verspricht eine Berufsempfehlung zu geben, nachdem der Kandidat sein Lieblingsfach in der Schule, seinen „Typ“ (wissbegierig, kreativ, praktisch und so weiter) sowie eine Branche eingegeben hat. Überzeugend sind die Resultate allerdings nicht immer. Wer die Branche „Space Jobs“ anklickt, was in Luxemburg dank Etienne Schneider gar nicht so weit hergeholt ist, erhält notorisch die Auskunft: „Leider keine Ergebnisse gefunden“. Das geschieht auch dann, wenn der Job-o-mat keinen Lehrberuf ausgeben soll, sondern eine Studienrichtung. Kein Ergebnis erhält auch, wer seinen „Typ“ als wissbegierig und kreativ zugleich einschätzt. Wer sich für kreativ und unternehmerisch begabt hält, bekommt lediglich „Werbekaufmann/-frau“ ans Herz gelegt, und wer angibt, sein Lieblingsfach in der Schule sei Sport, den möchte der Job-o-mat für den „Techniker der Fachrichtung Mechanik/Allgemeine Mechanik“ und „Mechanik/Kraftfahrzeugmechanik“ interessieren, aber für nichts sonst. Nicht einmal für den Schwimmmeister. Mehr Erfolg hat, wer als Branche „Bauwesen“ anklickt. Dann ist vom Rollladen- und Jalousienbauer über den Gebäudereiniger bis zum Marmorschleifer eine Menge dabei.

Nur auf den ersten Blick cool, auf den zweiten Blick anstrengend erscheint der „Exploract“, ein Web-Instrument, das ein Unternehmer aus Perl geschaffen hat. Es kündigt an: „Falls du dich schon öfters gefragt hast was du später werden möchtest, du jedoch Probleme hast auf diese wichtige Frage eine Antwort zu finden, dann bist du hier genau richtig.“ Der Exploract kann unter sailorlux.lu im Internet besucht werden. Verlangt wird, sich 147 Bilder verschiedenster Tätigkeiten anschauen und auf einer Skala zwischen 0 und 60 zu bewerten, inwieweit die dargestellte Tätigkeit gefällt – seien das zwei Hände, die einen Parkettboden verlegen, eine Laborantin, die eine Flüssigkeit in eine Petrischale tröpfelt, eine Spezialeinheit der Polizei in Kampfmontur bereit zum Sturm oder eine Lehrerin in einem Klassenzimmer voller glücklich dreinblickender Schüler. Wer sich alle 147 Bilder angeschaut hat – was für die Generation Youtube möglicherweise nicht ganz selbstverständlich ist – und bei jedem Bild zwischen 0 und 60 zu entscheiden vermochte, ohne lange zu grübeln, erhält am Ende eine Hitliste und die Empfehlung: „Denk doch noch einmal darüber nach.“

Was vermutlich kein schlechter Rat ist, wenn man bedenkt, dass für junge Menschen die Berufswahl einem mentalen und emotionalen Work in progress gleichkommt, für den man mit sich selbst über lange Zeit einen kritischen Dialog aushalten muss. Das BIZ aber scheint dem Ziel verpflichtet, seine Kundschaft so rasch es geht einer Schublade zuzuordnen, auf dass dies zu einer Einsicht in eine Notwendigkeit führt und das Zentrum möglichst nicht noch einmal aufgesucht wird. Wer fürchtet, die Berufswahl führe in den Ernst des Lebens, der wenig Schönes an sich hat, kann sich hier bestätigt fühlen. Zu den Tätigkeitsbereichen etwa, die der Exploract in Hitlisten ausgibt, können anschließend in den Regalen mit den Klappen vor den Fächern weitere Informationen auf Papier nachgelesen werden. Leider steht darin kaum mehr als Auflistungen von DAP- und Technikerausbildungsgängen, die zu dem Bereich passen, hin und wieder auch Hochschulstudien. Die Titelseiten der mit Was? Quoi? überschriebenen Informationsblätter ziert ein buntes Gebilde, das man entweder für einen Turm mit Flügeln halten kann oder für einen Indianer-Marterpfahl. Naja.

Peter Feist
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