Die kleine Zeitzeugin

The hammer and the dance

d'Lëtzebuerger Land vom 17.04.2020

Was klingt wie eine Wortschöpfung aus einem hochgradig verzückten Liebesgedicht, wie ein Angebot auf der Homepage eines oder einer lyrisch begabten sadistischen Dienstleister_in, ist, wie viele unter uns mittlerweile wissen, eine Taktik, eine Strategie aus dem vielgefächerten Maßnahmenkatalog. Maßnahmen. Auch dieses wertneutrale Wort begegnet uns derzeit häufig.

Unser Vokabular erweitert sich mal wieder rapide, gibt immer mal Zeiten, in denen uns der Lernprozess gemacht wird. In einem wunderschönen Frühling, beinahe so wunderschön gespenstisch wie der jetzige, wurden uns im Schnelldurchgang Cäsium, Jod und das teuflisch unsterbliche Plutonium eingebläut. Gau und Supergau, Halbwertszeit. Und jede Menge Becquerel.

Ackerbaulich anschaulich begann es jetzt, noch vor einem Monat beglückte uns der aussagekräftige Ausdruck „Entsaat“. Also der Virenlast die, wie gleich erläutert wurde, in die Umwelt entlassen wird nach einem kräftigen Nieser, einem Hustenanfall oder auch nur beim Ausatmen. Schnell verschwand der Ausdruck, vielleicht doch zu biologistisch für die Mehrheitsgesellschaft, die mit Samen höchstens noch was am Hut hat, wenn es um die Samendichte des vom Aussterben bedrohten Mannes geht.

Chemie, Physik, Mathematik, Statistik, Crash- Kurse in allem! Zahlen werden gezückt, stündliche Totenrankings auf allen Kanälen, welches Land ist das beste im Abwehrkampf? Reproduktionsraten werden verglichen, obschon man sie, wie wir gleich dazulernen, nicht vergleichen kann. Kratzen wir die Kurve oder kratzen wir ab? Wer von uns? Die Abwehrschwächlinge? Die üblichen Verdächtigen oder auch vollkommen Unverdächtige, quasi Unschuldige? Die nicht mal schuld am Klimagau sind. Die Unversehrten? Jetzt muss auch noch der Ethikrat ran.

Die an der Virenfront werden sprachlich aufgewertet, statt Supermarktregaleinräumer_innen sind sie jetzt Systemerhalter_innen.

Wenn wir das bei Markus Lanz relaxed installierte Knochengerüst Lauterbach erblicken, läuft es uns gleich eisig den Rücken herunter, gleich wird er in seinem auch vom flehendsten Lanz-Lächeln unbestechlich monotonen Tonfall Unausweichliches verkünden. Gottseidank lädt der nette Markus Lanz am nächsten Abend jemand viel Netteres ein, der blond und jung lächelnd viel Netteres verkündet und daher viel mehr gepostet wird.

Was also jetzt?, murrt das Volk. Wenn ein Aerosölchen in meine Aura eindringt, was dann? Muss ich meine Zeitung bügeln, jede Seite von Die Zeit einzeln? Wir lernen jeden Tag dazu, sagen die Wissenschaftlerinnen und die Pulmologen, während das Virus in den Nasen herumtanzt und sich fröhlich fortpflanzt. Besser 20 Meter Abstand beim Joggen als zwei! Das Social distancing, das wir schon sehr gut kennen, wird immer raumfordernder.

Wir lernen Lockdown, der in manchen Ländern auch ein Shut up! ist. Wir lernen, wie schnell wir lernen, manchmal erschreckend schnell. Wie schnell wir verlernen. Europa, war da was? Länder machen dicht, werden immer kleiner, Deutschland zerfällt in Deutschländchen. Was macht der viruslasterhafte Nachbar vor meinem Zaun? In Österreich gibt es Erlässe und Straforgane, die Organstrafen aussprechen. Fortgeschrittene und sich wohlverhalten Habende werden mit Hochfahren belohnt, gar mit verlockender Lockerung. Die aber jederzeit wieder zurückgenommen werden kann, dann werden die Daumenschrauben wieder angezogen.

Das Wort Seuche feiert Auferstehung aus den Massengräbern der Vorzeit. Es ist eine Seuche, schreit ein österreichischer Epidemiologe in einem Video-Talk das Fernsehpublikum an. Wir müssen durchseucht werden!, fordern manche, Die Herde muss immun werden! Beklommen hört dies die um den Herd gescharte Herde, missmutig stochert die, den Herd hütet, neuerdings wird so was auch Home office genannt, in einem Topf, der bald explodiert. Beklommen hören es das einsame Schaf, die einsame Wölfin.

Wenigstens wird der pathetische, pompös dröhnende Name Corona, der direkt aus der Hochblüte der Seuchen, als Krankheiten noch mächtige prächtige Namen trugen, Cholera, Blattern, Bräune, Schwarze Pest, durch einen kümmerlich sachlich-nüchternen Namen ersetzt. Mit Ziffer auch noch. Klingt gleich viel bezwingbarer. Kontrollierter.

Michèle Thoma
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