Pünktlich zu den Wahlen landet die LSAP wieder auf der Erde

Das Original in sozialen Fragen

d'Lëtzebuerger Land du 30.03.2018

Der Landeskongress der LSAP am Sonntag hatte ein Ziel: Wirtschaftsminister Etienne Schneider mit einem möglichst großen Stimmenanteil, am besten über 90 Prozent, als Spitzenkandidat für die Parlamentswahlen im Oktober zu bestätigen. Die Partei erreichte ihr Ziel. 94,74 Prozent der Delegierten aus den vier Bezirken stimmten für Etienne Schneider, kaum weniger als die 98,39 Prozent CSV-Delegierten, die vor anderthalb Jahren Claude Wiseler zum Spitzenkandidaten gewählt hatten.

Das Ziel zu erreichen, schien auf den ersten Blick gar nicht so schwer. Denn Etienne Schneider konnte sich ohne Gegenkandidat zur Wahl stellen, seine Partei rechnet es ihm hoch an, dass er sie 2013 unverhofft zurück in die Regierung geführt hatte, sie modern aussehen lässt und ihr wenigstens vorübergehend ein neues Selbstbewusstsein schenkte. Doch neben sozialdemokratischen Beamten, leitenden Angestellten, Anwälten und Ärzten, die seit Jahren von einem Spitzenkandidaten wie Etienne Schneider träumen, gibt es auch LSAP-Mitglieder, die ihn für einen Linksliberalen halten und nicht wollen, dass ihre traditionsreiche Arbeiterpartei nicht bloß linksliberale Politk macht, sondern auch noch so aussieht.

Deshalb bemühte sich die Parteiführung am Sonntag im Strassener Kulturzentrum Barblé redlich, skeptische Delegierte und Wähler zu beruhigen und das Soziale herauszukehren. Etienne Schneider, der einst für den Fotografen stolz vor seinem Rolls Royce posierte, erzählte von sich „als Arbeiterkind in einer Familie mit drei Buben, wo es nicht immer einfach war, die Enden zusammenzubringen“. Er erinnerte daran, dass die Partei in ihrer langen Geschichte für das allgemeine Wahlrecht und die Sozialversicherung, für Schulen und Wohnungen gekämpft habe, und beschwor die Schlagworte „sozial, fortschrittlich, gerecht und solidarisch“ des Sozialistischen Leit­fadens, den die letzten Parteilinken für eine Garantie gegen liberale Prinzipienlosigkeit halten. Kritiken, seine Wirtschaftspolitik sei zu unternehmerfreundlich, hielt er entgegen, dass er in einer stolzen Tradition sozialistischer Nachkriegsminister wie Michel Rasquin, Victor Bodson und Nic Biever stehe, die wesentlich zur Modernisierung der Volkswirtschaft beigetragen hätten.

Parteipräsident Claude Haagen war stolz darauf, dass seine Partei das seit langem auf der Abschussliste stehende „A“ für „Arbeiter“ im Namen trage, und beteuerte, wie wichtig „die Beziehungen zu den Gewerkschaften und vor allem dem OGBL“ seien, lange die wichtigste Forderung der Parteilinken. Der Volkswirtschaftslehrer glaubte, dass „die Schere zwischen Arm und Reich über die Lohnpolitik gesteuert werden muss“, und warnte vor Nachahmern: „Wir sind das Original in sozialen Fragen.“

Während Claude Haagen sich über „einen Lobbyisten des Finanzplatzes in der CSV und der Finanzkommission“ des Parlaments beschwerte, meinte Etienne Schneider, dass wirtschaftliche Diversifizierung nicht der Bereicherung einiger Aktionäre diene. Auch wenn das Wahlprogramm erst Ende Juni oder Anfang Juli verabschiedet werde, zählte Claude Haagen noch einmal die „roten Linien“ auf, die Voraussetzungen für jedes Koali­tionsabkommen mit der LSAP seien und vielleicht auch die Abgrenzung vom Liberalismus darstellen sollen: nicht an den Renten und am automatischen Index „fummeln“, eine Mindestlohnerhöhung um 100 Euro netto am 1. Januar 2019, die Verallgemeinerung des Drittzahlers in der Krankenversicherung und etwas für die Alleinerziehenden in der Steuerklasse 1A, um die sich auch DP und CSV bemühen. Etienne Schneider fügte hinzu, dass „die 40-Stundenwoche ausgedient“ habe und alle an den Produktivätsgewinnen beteiligt gehörten, die durch die Digitalisierung entstünden, wenn demnächst laut Jeremy Rifkin „unsere Wirtschaft völlig nachhaltig wird“.

Außenminister Jean Asselborn, der populärste Politiker des Landes und wohl auch der LSAP-Mitglieder, hatte die Aufgabe, die Wankelmütigen davon zu überzeugen, dass bei allen Vorbehalten kein Weg an der Wahl von Etienne Schneider vorbeiführe, dem er 2013 die Spitzenkandidatur überlassen und so sein Amt als Außenminister gerettet hatte. Es sei nun „nicht im Interesse des Zusammenhalts, des Bilds, das wir nach außen abgeben, Seelenzuständen freien Lauf zu lassen gegenüber dem, was war und sowieso nicht wiederkehrt“, redete er Skeptikern ins Gewissen. Man solle eine Schlussstrich „unter Fehler und persönliche Reibereien“ ziehen. Denn „die Partei hat immer Recht“, zitierte er ironiefrei die Hymne der ehemaligen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Der Einzelne „hat nie Recht gegen seine Partei“, glaubte der, den sie schon mehr als einmal gedemütigt hat.

Dabei schien Jean Asselborn auch Verständnis für die Kritiken am Spitzenkandidaten aufzubringen. Denn er mahnte, dass die politische Stabilität keine „Parteien, die seit kurzem en marche sind“, verlange, sondern seit Jahrzehnten aktive „sozia­listische und sozialdemokratische Parteien“ wie die LSAP. Etienne Schneider hatte sich dagegen Anfang Januar im Wirtschaftsmagazin Paperjam die Frage gestellt, ob die LSAP und andere Parteien nicht in einer ähnlichen Bewegung wie derjenigen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufgehen sollten. Jean Asselborn betonte, ein Spitzenkandidat habe „in der Substanz nicht mehr und nicht weniger zu verkaufen“ als das von der Partei beschlossene Wahlprogramm. Und er sei lernfähig, wenn er – wie nun Schneider – zum zweiten Mal kandidiere und sich „schon die Hörner abgestoßen“ habe, wenn er wisse, dass „Extratouren nicht unbedingt auf sozialistische Gegenliebe stoßen“. Dem Space-Mining-Minister gegenüber betonte er, dass „ein Spitzenkandidat auch kein Außerirdischer ist, er steht auf dem Boden der Luxemburger Tatsachen“. Etienne Schneider habe, seine „Schwächen, die kennen wir und die versteckt er nun, auf seine Stärken zählen wir“.

Um modern, schwungvoll und volkstümlich zu erscheinen, verlief der Parteitag in geräuschvoller Rummelplatzatmosphäre, angefeuert von Spirit in the Sky und rhythmisch blinkenden Bühnenscheinwerfern. Außer dem kurzen Appell der Kandidatin Marcelle Jemming, die Kinderbetreuung nicht privaten Geschäftemachern zu überlassen, verlief der Parteitag diskussionslos. Ein halbes Jahr vor den Wahlen war auch für die in der Partei gemobbten Autoren öffentlicher Briefe die Zeit zum Burgfrieden gekommen. Kein Linkssozialist oder LSAP-Gewerkschafter, die zuerst ein linkes Wahlprogramm und danach die Wahl des dazu passenden Spitzenkandidaten verlangt hatte, meldete sich zu Wort. Die Nachwuchspolitiker, die gefordert hatten, die Alten sollten ihnen Platz machen, blieben stumm. Umso herzlicher wurde Roger Negri gefeiert, der einzige LSAP-Abgeordnete, der freiwillig seinen Platz am Krautmarkt räumte. Vielleicht gehörten einige der Kritiker zu den 18 Delegierten, die gegen Etienne Schneider stimmten. Vielleicht aber waren das auch bloß Unzufriedene, die keinen Platz auf einer Kandidatenliste bekommen hatten.

Romain Hilgert
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