Kino

Toxische Maskulinität

d'Lëtzebuerger Land vom 30.04.2021

Die #metoo-Bewegung findet immer mehr ihren Weg ins Kino, mit Promising Young Woman ist zwar nicht die Welt der Filmproduktion anvisiert, aus der die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs 2015 um den Filmproduzenten Harvey Weinstein ihren Anfang nahmen, sondern Amerikas Eliteuniversitäten: Cassie (Carey Mulligan) galt als vielversprechende Medizinstudentin, ein traumatisches Ereignis rund um ihre beste Freundin hat sie indes ihr Studium abbrechen lassen. Nun arbeitet sie eher halbherzig in einem Diner, lässt sich von ihren Eltern zu Hause aushalten und scheint keine wirklichen Ziele mehr zu verfolgen. Nur einer selbstauferlegten Mission geht sie mit größter Sorgfalt nach: Sie gibt in umliegenden Bars vor, sturzbetrunken zu sein, lässt sich dann von einem scheinbar „netten Kerl“ nach Hause begleiten, der darin eine Gelegenheit zu nicht einvernehmlichem Geschlechtsverkehr sieht. Und da schnappt die Falle zu: Cassie ist plötzlich wieder ganz nüchtern und verpasst ihm sozusagen in flagranti einen Denkzettel.

Der Erfolg von Emerald Fennels oscarprämiertem Regiedebüt scheint ungebrochen und basiert besonders auf seiner Ausbalancierung von Ernst und Humor, von Dramatik und Komödie. Nicht zuletzt und in besonderem Maße aber gründet der Zuspruch auf der durch und durch mit schwarzem Humor durchtränkten Sichtweise auf das Problem des sexuellen Übergriffs: Mit Cassies ambivalenter Frauenfigur, die durch die Intrige in Gefahr gerät, auch die eigenen emotionalen und moralischen Fixpunkte aus den Augen zu verlieren, hat Emerald Fennel eine reiche Diskussionsbasis für das Verhältnis zwischen Rape-Revenge-Film und feministischem Film geschaffen: Denn hier, so scheint es, birgt das Rachemotiv doch auch ein Drama, ja sogar eine Tragödie. Nicht umsonst gliedert Regisseurin Emerald Fennel ihren Film in fünf Akte, markiert einen ihrer Wendepunkte sogar mit einem musikalischen Auszug aus Richard Wagners Tristan und Isolde und so kommt das Publikum, trotz aller Erwartungsbrüche, die der Film unternimmt, nicht um das Gefühl herum, dass da alles auf die unabwendbare Katastrophe hinauslaufen wird. Die grell-bunte Farbkulisse, die blendenden Neonleuchten und ferner die eingängigen Popsongs schaffen dazu die passenden sinnlichen Oberflächenreize. Aber es bleibt alles an der Oberfläche, der Film will keine emotionale Tiefe erfahrbar werden lassen. Und Fennel entlarvt denn auch in einer allzu überzeichneten heilvollen Montage-Sequenz Cassies neue Liebesbeziehung zu dem ehemaligen Studienkollegen Ryan (Bo Burnham) als trügerisch.

Emerald Fennel setzt gerne auf einen dezidiert weiblichen Blick: Als Show-Runnerin der Krimi-Serie Killing Eve (seit 2018) hat sie bereits weibliche Figuren ins Zentrum eines per se von Männern dominierten Genres gesetzt. Auch in Promising Young Woman ist die Handlung ganz um die weibliche Hauptfigur herum konzipiert, mit ihr ist zu leiden, um sie ist zu weinen, mit ihr ist zu lachen. Carey Mulligan ist das elektrisierende Zentrum dieses Films: Kalt, kühl berechnend, ja lustvoll-sadistisch auf der einen Seite, dann aber wieder ganz sensibel, zerbrechlich auf der anderen. Sie behauptet sich in einer Welt der ganz toxischen Maskulinität, die Emerald Fennel offenlegt und gegen Ende in ein allzu verstörendes Finale überlaufen lässt. Aber wie feministisch dieser Film letztendlich ist, wird gerade heftig debattiert. Das Genre des Rape-Revenge-Films, dem Promising Young Woman sicherlich zugehört, hat eine Tradition, ja Elemente davon lassen sich bereits in Ingmar Bergmans Jungfrauenquelle (1961) ausmachen. In den letzten Jahren sorgte die französische Produktion mit dem passenden Titel Revenge (2017) von Coralie Fargeat für Aufsehen. Aber zu diesen Rachefantasien gegen Männer bleibt doch zu fragen, ob diese tatsächlich für den feministischen Film progressiv sind? Liegt über alledem nicht doch immer noch der von Laura Mulvey proklamierte „male gaze“? Die beunruhigende Feststellung, die Promising Young Woman – der Titel ist doppeldeutig angelegt – jedenfalls macht, ist, dass es für Männer scheinbar nichts Verstörenderes gibt, als eine nüchterne Frau.

Marc Trappendreher
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