Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) im Land-Gespräch über ambulante Versorgung, Ärztegesellschaften und das „Projekt Junglinster“

„Sicher kann man auch einen secteur extrahospitalier planen“

Paulette Lenert
Foto: Jessica Theis
d'Lëtzebuerger Land vom 07.05.2021

d’Land: Frau Ministerin, seit gut zwei Jahren ist viel die Rede von Auslagerungen von Aktivitäten aus den Spitälern. Die einen sagen, das könnte in „Krankenhaus-Antennen“ geschehen, die anderen sprechen von „Ärztehäusern“ oder „Centres médicaux“. Wieviele solche Strukturen braucht Luxemburg über Land?

Paulette Lenert: Da sind wir schon bei einem Kernstück der Überlegungen am Gesondheetsdësch. Dort hat der virage ambulatoire großen Stellenwert. Allen Beteiligten ist klar, dass die Medizin überall in Richtung von mehr ambulanter Versorgung tendiert. Wenn wir darüber sprechen, haben wir aber ein Problem: Die Krankenhausaktivitäten werden mit einer Carte sanitaire ermittelt, die regelmäßig aktualisiert wird. Für alles, was außerhalb der Spitäler geschieht, haben wir so ein Instrument nicht.

Also kennen Sie den Bedarf noch nicht?

Im Moment noch nicht. Wir arbeiten aber daran, und ich hoffe, bis zum Sommer einen Ansatz zu haben, um diese Frage beantworten zu können. Für mich steht fest: Beginnen wir über Zahlen und über Auslagerungen zu sprechen, dann muss das Hand in Hand mit Planungsinstrumenten gehen.

Als die Abgeordnetenkammer vergangene Woche über die Spitäler diskutierte, machten die CSV-Abgeordneten Françoise Hetto und Léon Gloden sich stark für eine Verbesserung der Versorgung im Osten des Landes – das ist auch Ihr Wahlbezirk. Können Sie dazu auch noch nichts sagen?

Nein. Mir ist aber klar, dass man die Gesundheitsversorgung anders aufbauen kann, und ich bin durchaus offen dafür, einen regelrechten außerklinischen Sektor zu schaffen, den es heute in Luxemburg noch nicht gibt. Aber das ist ein komplexes Thema, sogar ein sehr komplexes. Mehr ambulante Versorgung muss natürlich den Patienten nützen. Ein ambulanter Eingriff muss medizinisch angezeigt sein, der Patient muss darauf vorbereitet sein und die Nachsorge muss klappen. Ob der Eingriff dann in einem Krankenhaus selber geschieht oder in einem Centre médical, bliebe zu diskutieren und zu entscheiden. Der außerklinische Sektor müsste geplant und reguliert werden, und entschieden werden, wie man ihn finanziert. Das ist ein großes Paket.

Das heißt, die Zielsetzung lautet für Sie wie?

Bessere Leistungen für die Patienten, näher bei den Patienten und mehr Flexibilität. Wobei aber dieselben Qualitätsnormen gelten müssten wie im Krankenhausbereich.

Wenn man dem Ärzteverband AMMD zuhört, auf dessen Druck seit dem Wahljahr 2018 die Diskussion zustandekam, dann scheint der außerklinische Sektor ein Ziel an sich zu sein und am besten sollten dort Ärztezentren agieren, die von Ärztegesellschaften geführt würden.

Das ist für mich ein anderes Thema und nicht unbedingt verbunden mit der Frage: Mehr ambulant oder nicht? Zusammenschlüsse unter Ärzten bestehen schon, aber der Rechtsrahmen ist nicht klar genug. Zusammenschlüsse erscheinen mir sinnvoll. Auch Ärzte haben Ansprüche an die Work-Life-Balance, und wenn ich mir die hohen Immobilienpreise bei uns anschaue und bedenke, wie junge Ärzte nach langem Studium ihren Berufseinstieg suchen – dann wird mir schwindlig, wenn ich mir vorstelle, dass sie neben einer teuren Wohnung noch eine teure Praxis finanzieren müssen. Also schließen Ärzte sich zusammen.

Anscheinend liegt Ihnen schon ein Vorschlag für eine gesetzliche Regelung der Ärztegesellschaften vor, den AMMD und Collège médical geschrieben haben. Der Collège médical sagt, „die Ministerin scheint unseren Weg mitgehen zu wollen“.

Ich gehe auch mit, den Rahmen für die Zusammenschlüsse zu verbessern. Ich möchte in den nächsten Wochen einen Gesetzes-Vorentwurf in den Regierungsrat bringen. Ich erwarte mir, dass in den Ärztegesellschaften neben Allgemeinmedizinern auch Spezialisten zusammenfinden. So eine Gemeinschaftspraxis könnte einen service de proximité anbieten. Das könnte unter anderem dazu beitragen, die Notaufnahmen der Spitäler zu entlasten. Der Vorschlag von AMMD und Collège médical wurde vom Ministerium in einigen Hinsichten weiterentwickelt. Ich habe zum Beispiel darauf gehalten, dass „Pluridisziplinarität“ hinzugefügt wird. Das heißt, es könnten nicht nur Ärzte sich in einer Gesellschaft zusammenschließen, sondern auch andere Gesundheitsberufler sowie Ärzte mit Gesundheitsberuflern.

So dass zum Beispiel eine Gesellschaft, die Kinésitherapeuthen gründen, einen Facharzt für Orthopädie einstellen könnte?

Das wäre möglich. Es müssten aber sociétés professionnelles sein: Wer sich assoziiert, muss über die Zulassung verfügen, in Luxemburg einen Beruf im Bereich der Humangesundheit auszuüben. Es wurde gefürchtet, dass zu solchen Gesellschaften auch Immobilienunternehmen Zugang bekämen. Das wollen wir nicht. Es sollen Assoziationen von „Beruflern“ sein. Es wäre eine Gesellschaftsform ähnlich der, in der Anwälte sich zusammenschließen können.

Wieso, meinen Sie, war die AMMD so aufgeregt, als sie bekanntgab, die Trägerstiftung der Hôpitaux Robert Schuman sei mit dem Schöffenrat der Gemeinde Junglinster übereingekommen, eine lokale Poliklinik einzurichten – und so eine Beteiligung sei gerade das, was die AMMD über Ärztegesellschaften verhindern wolle?

Weil wir mit dem Gesetzes-Vorentwurf, den ich demnächst dem Regierungsrat vorlegen werde, eine Beteiligung von Finanziers an solchen Gesellschaften ausschließen wollen. Aber ob das auf das Junglinster Projekt zutreffen würde, weiß ich nicht. Vielleicht stellt die Gemeinde nur Räume zur Verfügung und eine Ärztegesellschaft geht da rein. Oder eine Krankenhaus-Antenne bietet dort etwas an.

Sozialminister Romain Schneider hat am 9. März im RTL-Radio erklärt, das Projekt der Schuman-Stiftung passe in keines der Szenarien, die am Gesundheitstisch diskutiert werden. Wieso haben Sie das nicht gesagt?

Weil ich das Projekt damals noch nicht kannte und es auch bisher noch nicht kenne. Es wird mir demnächst erst vorgestellt. Ich bin noch immer Richterin genug, um mich nicht zu etwas zu äußern, das ich nicht kenne. Ich will auch nicht beeinflusst werden. Viele fragen mich, was ich von diesem Projekt halte. Ich möchte erst hinschauen und zuhören und mir anschließend Zeit geben, um mir eine Meinung zu bilden.

Wie sehen Sie Finanziers aus dem Ausland? Und zwar solche, die etwas mit der Humanmedizin zu tun haben. Könnte es sein, dass ein ausländisches Krankenhausunternehmen eine ganz spezialisierte Klinik in Form eines Ärztehauses aufmacht? Und dass andere ihr nachfolgen und nach und nach das Luxemburger System für den Markt geöffnet wird?

Eine Klinik wäre eine Einrichtung des Krankenhaussektors. Der wird staatlich geplant, und welche Einrichtungen es gibt, schreibt das Krankenhausgesetz fest.

Aber womöglich könnte eine Art Klinik, auch wenn sie nicht so heißt, sich als Ärztehaus ausgeben?

Akteure aus dem Ausland – ob Ärzte oder Firmen – können sich niederlassen, in der EU herrscht Niederlassungsfreiheit. Im Gesundheitsbereich benötigen sie wie Luxemburger eine autorisation d’exercer. Die Gesellschaften, die angedacht sind, sollen aber exklusiv denjenigen vorbehalten sein, die tatsächlich hier ihren Beruf ausüben. Insofern meine ich nicht, dass sich ein Problem stellen wird und Krankenhausunternehmen hier Fuß fassen.

2009 beschwerte der damalige Inhaber der Laboratoires Ketterthill sich bei der EU-Kommission, dass in Luxemburg Privatlabors nur als Personalgesellschaften zulässig waren. Die Kommission gab ihm Recht. Luxemburg änderte daraufhin sein Laborgesetz, heute sind alle Labors Aktiengesellschaften und das größte Labor ist Teil von Europas größtem Laborkonzern.

Die neuen Gesellschaften wären im Grunde ebenfalls Kapitalgesellschaften, wir beschränken Beteiligungen aber auf Mediziner und Gesundheitsberufler. Der Spitalsektor und der außerklinische Sektor werden in Diskussionen immer wieder miteinander vermischt, doch das sind zwei verschiedene Themen. Würde ein ausländischer Akteur, wie Sie ihn beschreiben, sich hier einrichten wollen, könnte er vielleicht unsere Spitalgesetzgebung und unsere Planung herausfordern, aber die Medizinergesellschaften sollen solche Niederlassungen nicht ermöglichen. So ist es angedacht, aber ich füge hinzu: Politisch entschieden wurde über diese neue Regelung noch nicht. Der Vorentwurf für das Gesetz wird in den nächsten Wochen erst in den Regierungsrat gehen.

Wie steht es um das Projekt in Cloche d’Or, das die Immobiliengesellschaft von Flavio Becca vorangetrieben hat?

Darüber wurde noch nicht entschieden, denn noch gibt dafür keine gesetzliche Basis.

Aber stand dem Projekt nicht vor allem jene Liste im Weg, die Ärzten untersagte, bestimmte Ausrüstungen für ihre Praxen anzuschaffen, zum Beispiel Kernspintomografen und CT-Scanner? Das wurde ja von den Gerichten gekippt.

Der Streitfall betraf allein die Gesetzgebung über die Ausübung des Medizinerberufs. Zu diesem Gesetz bildete die Liste, von der Sie sprechen, ab 1993 einen Anhang und verbot, diese und jene Technik außerhalb von Spitälern anzuschaffen. Dieses Verbot wurde gekippt – ich meine, zu Recht. Seitdem herrscht Nervosität, Radiologen stehen in den Startlöchern. Allerdings wird immer wieder vergessen, dass es laut Krankenhausgesetz kein Centre de diagnostic neben dem Laboratoire national de santé geben darf. Also kann ich zurzeit neben dem LNS keine anderen genehmigen.

Sie könnten vorschlagen, einen anderen Begriff einzuführen.

Ich meine nicht, denn im Krankenhausgesetz ist ein Centre de diagnostic definiert als eine Einrichtung, die „certaines prises en charges diagnostiques au patient“ vornimmt, und was sind IRM und Röntgen sonst, wenn nicht das? Natürlich könnte ich neue Begriffe und Regelungen vorschlagen. Die Diskussionen, die wir nun führen, werden sicherlich darin münden, das Krankenhausgesetz zu ändern. Aber an diesem Punkt sind wir noch nicht. Es wäre falsch, einfach alle Beschränkungen aufzuheben. Das Krankenhausgesetz enthält eine Planungslogik. Der außerklinische Sektor muss, wenn wir ihn schaffen, ebenfalls eine bekommen.

Ich nehme an, weil Sie den Bedarf über Land noch nicht kennen, ist es zu früh zu fragen, welche Aktivitäten in Zukunft außerhalb der Kliniken stattfinden sollen?

Das sind Überlegungen, die wegen der Pandemie in Verzug geraten sind. Am Gesondheetsdësch gibt es eine Arbeitsgruppe, an der unsere Direction de la santé mitarbeiten soll, aber die ist wegen Corona nur eingeschränkt verfügbar. Die Arbeitsgruppe soll ermitteln, was in Luxemburg bereits heute ambulant gemacht wird, und stellt Vergleiche mit dem Ausland an. Das soll die Frage beantworten: Was ist heute Stand eines modernen Gesundheitswesens, und was soll bei uns künftig ambulant geleistet werden? Wenn wir an diesem Punkt sind und eine neue Sicht darauf haben, was wir in Zukunft gerne ambulant erledigt hätten, kommt die nächste Frage: Was davon soll in den Spitälern bleiben, und was kann man sich vorstellen, außerhalb der Spitäler anzusiedeln? Und schließlich – und das ist ganz wichtig: Unter welchen Bedingungen soll das geschehen?

Heißt „außerhalb der Spitäler“ zwangsläufig „in von Ärztegesellschaften geführten Ärztehäusern“?

Am liebsten hätte ich diese beiden Themen voneinander getrennt. Sage ich am Gesondheetsdësch „ambulant“, werde ich gleich gefragt: „Und unter welcher Gesellschaftsform?“ Darauf erwidere ich: „Das interessiert mich noch nicht, ich möchte zunächst einen Konsens darüber herstellen, wo wir mit dem Ambulanten hinwollen.“ Also: Wann soll ein Patient eher ambulant als stationär behandelt werden? Was sind die Garantien und Standards für Vor- und Nachbehandlungen? Wie geht man mit Notfällen um? In einem Krankenhaus ist all das geregelt. Lagert man etwas von dort aus, müssen neue Regelungen getroffen werden. Für mich steht fest: Es darf nicht zweierlei Qualität und nicht zweierlei Zugang zu Behandlungen geben.

Sie sagen, Sie wollen den außerklinischen Sektor – noch nicht zu verwechseln mit ambulant – regulieren.

Ja, das wird in allen Ländern gemacht.

Aber wie soll das gehen, da doch Niederlassungsfreiheit herrscht?

Das kommt darauf an. Unsere Spitäler werden sehr stark öffentlich finanziert. Wo das der Fall ist, darf auch reguliert werden. Da der außerklinische Bereich ebenfalls stark öffentlich finanziert würde, kann man natürlich auch auf ihn eine Planung setzen; aber sicher doch!

Und was würde geplant?

Das ginge nur über Technik und Ausrüstungen. Ich kann keinem Arzt verbieten, seinen Beruf auszuüben, aber Technik und Ausrüstungen wird man planen und von Genehmigungen abhängig machen können. In Frankreich zum Beispiel werden für den secteur extrahospitalier regelmäßig Bedarfsanalysen auf regionaler Ebene angefertigt. Schwere Technik wird für jeweils fünf Jahre genehmigt.

Romain Nati, der Generaldirektor des CHL, hat gegenüber dieser Zeitung vor zwei Jahren gesagt, „Bonsai-Spitäler sind nicht das Wichtigste“, sondern die Krankenhausmedizin attraktiv zu halten. Nehmen wir an, Ärztehäuser würden eingeführt und ambulante Eingriffe dorthin ausgelagert: Wie würden Sie verhindern, dass Ärzte lieber nur dort arbeiten und nicht auch Belegarzt an einem Spital werden?

Ärzte können sich frei niederlassen. Wir werden einen Modus finden müssen, damit außerklinische Aktivitäten mit den Spitälern verzahnt bleiben. Die Bereitschaftsdienste in den Kliniken müssen garantiert sein. Je nachdem was ausgelagert würde, müsste eine Verpflichtung bestehen, im Spital Dienst zu leisten. Eine andere Herausforderung lautet: Wenn in einem secteur extrahospitalier die gleichen Aktivitäten stattfinden wie im secteur hospitalier, dann muss in beiden derselbe Kollektivvertrag gelten. Es stellen sich enorm viele Fragen, auch zur Finanzierung und zu Tarifen. Selbst ohne Pandemie hätte ich geschätzt, dass mich all dies ein ganzes Jahr intensiv beschäftigen würde. Deshalb lautet der Ansatz am Gesondheetsdësch „Schritt für Schritt“.

Wenn man das Angebot ausweitet, würde logisch scheinen, dass das Gesundheitssystem teurer würde. Sie sagen, zur Finanzierung stellen sich noch viele Fragen. Könnte die CNS sagen: Nur bis hierhin können wir das neue Angebot finanzieren – und dann bliebe die Gesundheitsversorgung nicht mehr so universell und solidarisch, wie die LSAP das proklamiert?

Romain Schneider und ich haben zu Beginn des Gesondheetsdësch gesagt, dass das universelle und solidarische System absolut nicht infrage steht. Das ist eine unserer Roten Linien. Eine andere ist die Beibehaltung der obligatorischen Vertragsbindung der Dienstleister an die CNS. Die Roten Linien implizieren, dass Verschiedenes nicht möglich sein wird. Und wie ich schon sagte, soll auch der außerklinische Sektor geplant und reguliert werden. Wir brauchen ein vernünftiges System, das sich in allen Hinsichten, die wir besprochen haben, steuern lässt.

Wann soll ein Konzept dafür vorliegen?

Wenn alles klappt, Ende dieses Jahres.

Peter Feist
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