Wahlbezirk Süden

Der Geist des Nein

d'Lëtzebuerger Land vom 11.06.2009

Bei den Sozialisten wurde am Wahlsonntag zu später Stunde noch einmal gebangt. Als die großen Gemeinden des Südbezirks ihre Resultate meldeten, sah es eine Weile so aus, als könnte die LSAP im Süden nicht nur einen, sondern zwei Parlamentssitze verlieren. So schlimm kam es am Ende nicht. Aber in einer der entscheidensten Schlachten der Wahlen von 2009, bei der mit Jean-Claude Juncker, Jean Asselborn, Claude Meisch und Gast Gybérien vier Spitzenkandidaten an-traten, wurde zum dritten Mal in Folge bei Parlamentswahlen die CSV und nicht die LSAP die stärkste Partei im Südbezirk. Das Resultat der Sozialisten von 28,17 Prozent der Süd-Stimmen fiel überdies noch um 1,6 Prozentpunkte schlechter aus als 1999, als die Wähler die bis dahin 15 Jahre ununterbrochene Beteiligung der LSAP an großen Koalitionen satt hatten, aber vermutlich auch ihr Mitwirken an der Pensionsreform im öffentlichen Dienst bestraften.

Ganz auszuschließen ist es zwar nicht, dass die LSAP am Sonntag auch eine Quittung für die Beteiligung an der 2006 in der Tripartite vereinbarten Indexmanipulation erhielt. Denn von ihrer Schwäche profitierten weder die Grünen, noch die DP, und der Durchmarsch der ADR fand im Süden ebenso wenig statt wie im Rest des Landes. Stattdessen errang die außerparlamen­tarische Opposition von déi Lénk im Süden ein Parlamentsmandat; im Unterschied zu 1999 sogar ohne gemeinsame Liste mit der Kommunistischen Partei.

Im traditionell sozial- und institutionenkritischen Südbezirk erinnert der kleine Linksruck aber auch an das mehrheitliche Nein vom 10. Juli 2005 zum EU-Verfassungsvertragsentwurf und lässt sich im Krisenwahljahr 2009 als Misstrauensbekundung gegenüber LSAP und CSV lesen: Gegenüber einem Krisenmanagement, von dem schon vor den Wahlen abzusehen war, dass es von einer CSV-LSAP-Regierung fortgeführt werden, aber wegen knapper werdender öffentlicher Mittel unter Finanzierungsvorbehalt stehen würde. Wohl sind es auf den ersten Blick die Sozialisten, die am Sonntag geschwächt wurden. „Prinzipiell LSAP“ zu wählen, waren 30 Prozent weniger Wähler bereit als 2004; so hoch war der Listenstimmenverlust der LSAP. Die CSV aber wurde nur minimal gestärkt. Mit 35,62 Prozent der Wählerstimmen schnitt sie nur um zwei Hundertstel Prozent besser ab als 2004, hatte jede zehnte ihrer Listenstimmen von damals eingebüßt, und nur die persönlichen Zugewinne vieler ihrer Spitzenleute bewahrten sie vor ei­nem verschlechterten Gesamtresultat.

Wahrscheinlich jedoch haben die Wahlergebnisse im Südbezirk auch mit einem längerfristigen Trend zu tun: Der allmähliche, aber stetige Niedergang, den die halbjährlich im befreundeten Tageblatt erscheinenden Politbarometer der LSAP seit 2004 vorhersagen, ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass Generationenwechsel, sozialer Aufstieg der wahlberechtigten Luxemburger sowie die Binnenmigration über Land auch im Süden die Wählerschaft zunehmend pluralisiert haben und dieser Prozess noch nicht zu Ende ist. 

Am Sonntag zeigte sich, dass traditionelle „rote Hochburgen“ immer weniger als solche funktionieren. In Bettemburg und in Esch/Alzette verlor die LSAP gegenüber 2004 jeweils um die vier Prozentpunkte, in Düdelingen sogar acht. In den anderen großen Südgemeinden büßte sie ebenfalls Stimmen ein: in Differdingen und Petingen rund acht Prozentpunkte, in Schifflingen fünf. Die LSAP-Verluste in den größeren Städten wurden jedoch nicht einheitlich von der CSV aufgefangen. In Düdelingen ja; in Bettemburg dagegen gewannen Grüne und Linke, in Esch vor allem déi Lénk.

Dass die LSAP, hin und her gerissen zwischen Tradition und Moderne, sich längst am Konkurrenzkampf um die „Mitte“ der Gesellschaft beteiligt, führt ihr wiederum Wählerstimmen im Kanton Capellen, am Rande des Minettebeckens, zu – dort, wo traditionell DP und CSV stärker sind. Die Tendenz zeigte sich 2004 schon, verstärkte sich am Sonntag aber noch; etwa in Kehlen und Mamer. 

Der große Sieger der Wahlen heißt im Süden Jean-Claude Juncker. Der CSV-Spitzenkandidat überbot sein starkes persönliches Ergebnis von 2004 noch einmal und fuhr mehr Stimmen ein als sein LSAP-Kontrahent Jean Asselborn und DP-Spitzenkandidat Claude Meisch zusammen. Besser gewählt als vor fünf Jahren wurde auch Innen- und Landesplanungsminister Jean-Marie Halsdorf, der auf der CSV-Südliste wieder Dritter hinter Parteipräsident und Arbeitsminis­ter François Biltgen wurde und erneut für ein Regierungsamt in Frage kommen könnte. Zumal Biltgen, der 2004 besser gewählt worden war als Juncker 1999, am Sonntag fast ein Fünftel seiner Stimmen verlor und nach Juncker und Asselborn am dritthäufigsten im Süden gewählt wurde. 

Leicht an Stimmen verlor Fraktionspräsident Michel Wolter. Auf Anhieb der Einzug ins Parlament gelang dem Ex-RTL-Mann und früheren Piccobello-Moderator Felix Eischen. Sein Ergebnis ist fast so hoch wie das der Abgeordneten Nancy Kemp-Arendt, die gegenüber 2004 erheblich hinzugewann; vielleicht durch ihre Haltung in der Euthanasie-Debatte. Der ebenfalls auf der CSV-Südliste kandidierende LCGB-Präsident Robert Weber verfehlte den Einzug ins Parlament.

Der andere Sieger im Süden, André Hoffmann von déi Lénk, verbesserte sein Ergebnis gegenüber 2004 um fast 50 Prozent. Bemerkenswerterweise war der Aufschwung der Lénk im Süden flächendeckend: Sie gewann in den größeren Städten ebenso hinzu wie in den Landgemeinden. Am besten schnitt sie in Esch/Alzette mit über sieben Porzent ab; mehr als vier Prozent errang sie allerdings in Schifflingen oder Sassenheim genauso wie in Dippach, Garnich, Frisingen oder Reckange-sur-Mess. 

Bei den Sozialisten wurden lediglich Spitzenkandidat und Außenminister Jean Asselborn sowie die Abgeordneten Claudia Dall’Agnoll aus Düdelingen und Roger Negri aus Mamer besser gewählt als 2004. Asselborns Ergebnis übertraf das des 2004 bestgewählten Süd-Sozialisten Mars Di Bartolomeo. Umwelt- und Transportminister Lucien Lux wurde sogar schlechter gewählt als 1999, und die Abgeordnete Lydie Err nur knapp besser als vor zehn Jahren – trotz ihres Einsatzes für aktive Sterbehilfe und eine Lockerung des Abtreibungsrechts.

Auf der DP-Liste schnitt Spitzenkandidat Claude Meisch mit Abstand am besten und um rund ein Viertel besser ab als Henri Grethen 1999. Dass Meisch fast dreimal so viele Stimmen einfuhr wie der Nächstplatzierte Eugène Berger, der zwischen 1999 und 2004 Staatssekretär gewesen war, zeigt allerdings, in welchem Reifeprozess die DP auch im Süden noch immer steckt. Die Stimmengewinne der Liberalen waren auch nirgendwo im Süden so hoch wie Differdingen (plus 33 Prozent gegenüber 2004), wo Meisch einer blau-grünenKoalition als Bürgermeister vorsteht. Weiterhin stark ist die DP vor allem in Küntzig, Garnich, Kopstal und Leudelingen.

Die Grünen verfehlten am Sonntag ihr Ziel, im Südbezirk einen dritten Sitz zu erringen. Ihre Wählerschaft übertrifft mittlerweile dennoch vielerorts die „treuen zehn Prozent“; vor allem in den Landgemeinden, etwa in Koerich, Kopstal, Mamer und Reckange-sur-Mess, wo 12 bis 13 Prozent der Wähler für Déi Gréng stimmte, in Septfontaines fast 19 Prozent. Der Abgeordnete und Escher Schöffe Felix Braz verbesserte sein persönliches Resultat gegenüber 2004 um 70 Prozent und löste Jean Huss als erfolgreichsten Süd-Grünen ab.

Ex-ADR-Mann Aly Jaerling verfehlte mit seiner Biergerlëscht den Einzug in die Abgeordnetenkammer und wurde in etwa so gut gewählt wie auf der ADR-Liste Tania Gybérien, Tochter von Spitzenkandidat Gast Gybérien und Zweitgewählte der Süd-ADR. Die Ironie der Geschichte will es, dass Jaerling mit diesem Ergebnis ein Abgeordnetenmandat erhalten würde, wäre er noch ADR-Mitglied. Denn da Vater und Tochter nicht gemeinsam dem Parlament angehören können, will Tania Gybérien auf ihren Sitz verzichten und Männerrechtler Fernand Kartheiser rückt nach. 

Peter Feist
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