Die schöne neue Finanzwelt geht in den Testbetrieb: digitale Zentralbank-Währungen und Token

Programmierbares Geld

d'Lëtzebuerger Land vom 24.11.2023

Zentralbankgeld ist echtes Geld, relativ sicher und konkursgeschützt. Deshalb bekommt es ja auch nicht jeder: Die digitalen Franken, die von der Schweizer Nationalbank (SNB) am 1. Dezember erstmals ausgegeben werden, stehen nur sechs Geschäftsbanken zur Verfügung. Das neue Großhandelsgeld soll bis zum Juni 2024 für die Abwicklung von tokenisierten Anleihe-Transaktionen getestet werden, außerdem für Repo-Geschäfte. SNB-Präsident Thomas Jordan ist „stolz darauf, in diesem Bereich weltweit eine Vorreiterrolle einzunehmen“. Von digitalem Geld für Privatleute möchte er dagegen nichts wissen, da sei er „im Moment noch etwas vorsichtig“.

Wie andere Zentralbanken war auch die SNB mit sich und dem etablierten Geldwesen recht zufrieden. Reformen werden aber immer unvermeidlicher: Bargeld wird verdrängt; der elektronische Zahlungsverkehr wächst und wird von US-Konzernen wie Visa, Mastercard oder Apple Pay dominiert – damit wird die prätendierte staatliche Kontrolle des Geldes zunehmend zur Farce. Obwohl unregulierte Kryptogelder nach Kräften schlecht geredet werden, wächst die Nachfrage: Immer mehr Geschäftsbanken steigen in den Handel mit Bitcoin & Co ein; Krypto-ETFs scharren in den Startlöchern. Nur mühsam konnten Pläne für „Libra“, ein weltweites Facebook-Geld, abgewürgt werden. Und in Russland, vor allem aber in China wird die Digitalisierung rabiat vorangetrieben, um von der herkömmlichen, US-kontrollierten Finanzinfrastruktur wegzukommen. Es kratzt am westlichen Selbstwertgefühl, wenn mongolische Hirten sekundenschnell per Smartphone bezahlen, während US-Dollar-Schecks tagelang irgendwo herumliegen.

Der Teufel steckt nun in der technischen Umsetzung. Wenn Privatleute direkt mit digitalem Zentralbankgeld hantieren dürften, müssten sie sich um die Sicherheit ihrer Groschen weniger Sorgen machen. Regierungen wären möglicherweise nicht mehr bereit, Milliarden in die Rettung von bankrotten Geschäftsbanken zu stecken. Genaugenommen bräuchten die meisten Menschen überhaupt keine Banken mehr: Girokonten mit Zentralbankgeld könnten auch von Rathäusern, Supermärkten, Telefondiensten oder anderen halbwegs vertrauenswürdigen Stellen gemanagt werden. Was würde dann aus den Profiten und der Macht des Finanzsektors? Das ist nicht nur dort eine heikle Frage, wo sich die „unabhängige“ Zentralbank ganz oder teilweise im Besitz von privaten Geschäftsbanken befindet – wie etwa in den USA, Italien, Belgien oder der Schweiz.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel (englische Abkürzung: BIS) koordiniert die weltweiten Arbeiten am digitalen Zentralbankgeld. Derzeit befassen sich damit rund 90 Zentralbanken. In 37 Staaten gibt es Pilotprojekte. Es gibt bereits vier „live retail CBDCs“, also digitale Zentralbankgelder für Privatleute: eNaira in Nigeria, Jam-Dex in Jamaica, Sand Dollar auf den Bahamas und DCash in acht karibischen Kleinstaaten. Der eNaira, bislang nur von 0,5 Prozent der nigerianischen Bevölkerung genutzt, ist etwas in Verruf geraten, weil Bargeld-Beschränkungen zu Aufständen führten.

Die BIS sieht die Zukunft der Finanzmarkt-Infrastruktur in der Kombination von „Zentralbankgeld, tokenisierten Einlagen und tokenisierten Vermögenswerten auf einer programmierbaren Plattform“. Token definieren Vermögensgegenstände und bestimmen, was damit getan werden kann – und sie lassen sich tracken. Denkbar wären etwa „50 Euro für Jean, aber nicht am Abend und nicht für Alkohol“. In diese Richtung gehen Pläne der deutschen Bundesländer Bayern und Hamburg, an Asylbewerber nur noch Bezahlkarten mit eingeschränkten Funktionen auszugeben. Möglich wären auch zum Beispiel Token mit eingebauten Verfallsdaten oder Negativzinsen. Die BIS denkt allerdings weniger an Cash-ähnliche Zahlungsmittel für Privatleute, sondern mehr an „wholesale CBDCs“: Bankreserven-ähnliches Digitalgeld „würde sicherstellen, dass die Banken weiterhin auf flexible Weise Kredite und Liquidität zur Verfügung stellen können“. Auf Deutsch: Die Geschäftsbanken wären in den Geldkreislauf eingebunden und könnten so ähnlich weiterwirtschaften wie bisher.

Zusammen mit einzelnen Zentralbanken entwickelt der „BIS Innovation Hub“ Protoypen für digitales Zentralbankgeld und Tokenisierung. Mit „retail CBDCs“ befassen sich nur wenige Projekte: „Aurum“ (Hongkong), „Sela“ (Israel) und „Rosalind“ (Bank of England). Gearbeitet wird vor allem an Großhandels-Innovationen. Der neue Franken der SNB läuft offiziell unter dem Namen „Helvetia Phase III“: UBS, Commerzbank, Hypothekarbank Lenzburg und die Kantonalbanken Zürich, Basel und Waadt nutzen dafür die SIX Digital Exchange. Noch spannender ist vielleicht das Projekt „mBridge“: Die Zentralbanken von China, Hongkong, VAE und Thailand tüfteln an „wholesale crossborder payments“. Soll das eine neue Handelswährung als Alternative zum US-Dollar werden?

Zum digitalen Euro hat die EZB gerade eine zweijährige „Untersuchungsphase“ abgeschlossen und am 1. November eine auf zwei Jahre angelegte „Vorbereitungsphase“ gestartet. Nun sollen „das Regelwerk fertiggestellt“ und „Anbieter für die Entwicklung von Plattform und Infrastruktur ausgewählt werden“. Die EU-Kommission hat dazu am 28. Juni einen Gesetzesvorschlag veröffentlicht. Der digitale Euro könnte in vier, fünf Jahren als gesetzliches Zahlungsmittel starten – ungefähr zeitgleich mit der europäischen ID-Wallet. Bargeld soll optional bleiben, das Digitalgeld aber mit einem Annahmezwang privilegiert werden.

Um die konkrete Ausgestaltung wird jetzt heftig gerungen. Ursprünglich hatte die EZB pro Smartphone-Wallet an bis zu 10 000 sichere Digital-Euros gedacht. Proteste von Geschäftsbanken, zum Beispiel des Dachverbands Deutsche Kreditwirtschaft, haben bereits erreicht, dass mittlerweile pro Person eine Obergrenze von nur noch 3 000 Zentralbank-Euros vorgesehen ist. Alle Guthaben darüber hinaus sollen automatisch in konventionelles Bank-Buchgeld umgewandelt werden. Also zur Kreditvergabe zur Verfügung stehen. Und die Europäer werden weiterhin traditionelle Konten bei Finanzinstituten benötigen, gerne auch gebührenpflichtig.

„Ein digitaler Euro wäre unter keinen Umständen programmierbares Geld“, verheißt die EZB-Homepage. Versprochen wird auch, „die EU unabhängiger von ausländischen Anbietern machen“. Im Kleingedruckten der technischen Details steht dagegen, wie die Wirklichkeit aussehen wird. Beispielsweise sollen automatische Zahlungsvorgänge, etwa an Ladesäulen für E-Autos, durchaus einprogrammierbar werden. Das „user interface“ für E-Commerce mit Digital-Euro wird entwickelt von ... Amazon. Überhaupt sollen internationale Konzerne und Banken ihre Expertise einbringen. Es wäre ja auch schade, wenn wir auf personalisierte Werbung und Verhaltenslenkung verzichten müssten. Wo doch gerade so eine riesige Überwachungsinfrastruktur aufgebaut wird.

Lexikon

Um die Untertanen nicht unnötig zu beunruhigen, wird das Geldwesen weitgehend aus der öffentlichen Diskussion gehalten. Fachkauderwelsch hilft dabei. Hier ein paar Grundbegriffe:

Buchgeld macht heute den Großteil der gesamten Geldmenge aus. Es wird von Finanzinstituten (meist privaten Geschäftsbanken und Sparkassen) durch Kreditvergabe geschaffen und in der Regel elektronisch bewegt. Man könnte es „dezentrales digitales Bankgeld“ nennen. Beträge auf privaten Giro- und Sparkonten sind – anders als oft vermutet – keine echten „Guthaben“, sondern Darlehen. Im Prinzip ist Buchgeld nur eine Forderung gegen ein Finanzinstitut auf Auszahlung von Bargeld. Wenn ein Finanzinstitut pleite geht, kommt es in die Konkursmasse (auf Deutsch: Es ist futsch, wenn nicht Staat oder Einlagen-Sicherungsfonds eingreifen).

Zentralbankgeld ist dagegen per se ein gesetzliches Zahlungsmittel, für das eine öffentliche Institution haftet. Direkte Verbindlichkeiten der Zentralbank sind: Bankreserven (Einlagen von Finanzinstituten auf Konten bei der Zentralbank); Bargeld (Geldscheine und Münzen). Privatleute und Firmen ohne Banklizenz können heute (noch) Bargeld nutzen, jedoch keine Konten bei der Zentralbank eröffnen.

Digitales Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency, CBDC) ist eine weitere, neue Form des Geldes. Es kombiniert staatliche Haftung mit der Bequemlichkeit des privaten Buch- und Giralgeldes. Wholesale CBDC ntspricht den Reserven von Finanzinstituten; Retail CBDC ist ein Äquivalent zu Bargeld.

Totale Kontrolle

Digitales Geld ist nur ein Element der „digitalen öffentlichen Infrastruktur“, an der weltweit gearbeitet wird. Personalausweise, Grundbücher, Schulzeugnisse, Impfpässe, Führerscheine, Fahrkarten oder Flugtickets – es gibt fast nichts, was sich nicht digitalisieren lässt. Nicht zuletzt auch ganze „Sozialkredit“-Systeme zur Repression à la China.

Am 8. November ist offiziell die Kampagne „50 in 5“ gestartet: Ein Konsortium von Gates-Stiftung, Rockefelller-Stiftung, UN-Programmen, Inter-American Development Bank und anderen Organisationen will 50 Testländern bis 2028 „helfen, Komponenten ihrer digitalen öffentlichen Infrastruktur zu entwickeln“. Der Fokus liegt auf Zahlungssystemen und Digital-ID. In Europa sind zunächst Norwegen, Estland und Moldawien dabei, ansonsten dienen vor allem Afrikaner als Versuchskaninchen.

In der Europäischen Union haben sich Kommission, Ministerrat und Parlament am 9. November auf die „elDAS-2.0-Verordnung“ geeinigt, das heißt die Grundlage für die „European Digital Identity Wallet“. Bis 2026 sollen alle EU-Staaten „digitale Brieftaschen“ anbieten (als Smartphone-Apps). Bis 2030 sollen sich die Untertanen damit „vom Steuer zahlen bis hin zum Fahrrad mieten“ in allen Lebenslagen „ausweisen können“ (lies: identifizieren müssen). Die eindeutige lebenslange Personenkennziffer (das menschliche Pendant zu Tracking-Chips für Tiere) soll vorerst nur „optional“ für „grenzüberschreitende Verwaltungsvorgänge“ genutzt werden. In diesem Sommer ist bereits ein Feldversuch mit digitalen Wallets zur Freischaltung von SIM-Karten und Leihauto-Miete gestartet.

Die Verknüpfung von digitalem Geld und digitaler ID ermöglicht Staaten und Konzernen (und ggf. Hackern), sämtliche Lebensregungen zu überwachen. Und zu blockieren: Dissidenten, Flüchtlinge oder andere Lästlinge können einfach und geräuschlos durch Kontosperrung ausgeschaltet werden. Damit Normalbürger brav bleiben, reicht wohl schon der Ausschluss von Internet, Hotelbuchung oder Krankenhaus. Ohne großes Aufsehen entsteht eine permanent aktualisierte Mega-Datenbank mit allen relevanten Informationen zu allen Menschen. Ein alter Geheimdienst-Traum wird wahr.

Martin Ebner
© 2024 d’Lëtzebuerger Land