leitartikel

Morgen in Alaska

d'Lëtzebuerger Land vom 15.08.2025

Vielleicht entscheiden am morgigen Freitag auf einer Militärbasis in Anchorage (Alaska) zwei mehr oder weniger mutmaßliche Verbrecher über die Zukunft der Europäischen Union. Der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine mit Haftbefehl gesuchte Wladimir Putin und der von einem New Yorker Schwurgericht in erster Instanz der Fälschung von Geschäftsdokumenten für schuldig befundene Donald Trump.

„Verbrecher“ ist natürlich moralisch gemeint. Es ändert nichts daran, dass Putin der Präsident Russlands ist und Trump der Präsident der USA. Und falls beide in Anchorage etwas entscheiden – was nicht sicher ist – wird es in erster Linie die Zukunft der Ukraine betreffen. Doch Putin und Trump stehen dafür, wie sich in der Weltpolitik immer mehr das Recht des Stärkeren durchsetzt, ähnlich wie im 19. Jahrhundert. Unter anderem gegenüber einer EU, die auch eine Werte-Union sein will, aber hilflos darin ist, ihre Werte zu verteidigen.

Daher kam die viele Diplomatie vor dem Trump-Putin-Treffen. Die Videokonferenz europäischer Staats- und Regierungchefs und des ukrainischen Präsidenten mit Trump am gestrigen Mittwoch Nachmittag. Anschließend eine weitere Konferenz der europäischen „Koalition der Willigen“ zur Unterstützung der Ukraine, an der auch Luc Frieden teilzunehmen ankündigte. Es ging um eine gemeinsame Linie untereinander sowie gegenüber den USA. Darum, den unberechenbaren Trump zu überzeugen, mit Putin auf keinen Fall einen „Deal“ über die Köpfe der Ukraine und der Europäer hinweg zu besiegeln. Sicher ist das nicht. Zwar soll Trump gestern zugestimmt haben, dass die Ukraine Sicherheitsgarantien erhalten müsse. Doch noch vorige Woche hatte er Russland mit weiteren Sanktionen gedroht, wenn es die Angriffe auf die Ukraine nicht einstelle, und Staaten, die russisches Öl kaufen, mit Strafzöllen. Vergangenen Freitag ging das Ultimatum folgenlos zu Ende und Trump begann davon zu reden, mit Putin über „land swaps“ von ukrainischem Territorium verhandeln zu wollen.

Für Europa und die Ukraine wäre das katastrophal. Nicht viel weniger katastrophal wäre, worüber Trump laut New York Times am Montag gegenüber Reportern sinnierte: „I may leave and say, ‘Good luck’, and that’ll be the end“, sagte er über einen möglichen Ausgang des Treffens mit Putin. Tatsächlich hängt alles davon ab, inwiefern die USA sich unter Donald Trump in Europa noch zu engagieren bereit sind. Die EU und Großbritannien allein haben nicht genug in der Hand, um den russischen Präsidenten zu beeinflussen, der angesichts der Geländegewinne seiner Armee in den letzten Tagen keinen Grund hat, die Kämpfe einzustellen. Deshalb ist es nebensächlich, dass Trump verurteilt wurde und weswegen, und dass er offensichtlich nicht alle Werte der EU teilt. Europa ist abhängig von den USA, auch was eine Friedensordnung nach einem Ende des Kriegs in der Ukraine betrifft. Die Hoffnung lautet, dass Trump das interessiert. Dass er meint, es käme einer Niederlage für ihn persönlich und für den Machtanspuch der USA gleich, wenn Europa destabilisiert würde.

Denn daran würde die EU zugrunde gehen. Die genug mit sich selber zu tun hat, mit ihren Demokratiedefiziten und ihrer neoliberalen Ordnung, in der immer mehr unzufriedene Leute extrem rechts wählen. Die sich erst allmählich damit auseinandersetzt, was es heißt, wenn auf der Welt zunehmend das Recht des Stärkeren gilt und nicht so klar ist, ob der aktuelle US-Präsident womöglich ein Interesse an einer Destabilisierung Europas hat. Die Gefahr eines schlechten Friedens in der Ukraine besteht darin, dass in seiner Folge manche EU-Länder Allianzen mit Russland suchen könnten, andere mit den USA, wieder andere kleine Bündnisse eingehen könnten. Zumal unter rechtsnationalistischen Regierungen. Da der Krieg als Fortsetzung von Politik in Europa wieder angekommen ist, könnten schlimmstenfalls andere Länder aufeinander losgehen.

Peter Feist
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