EU-Pass für Ucits-Fonds

Que sera sera

d'Lëtzebuerger Land du 28.08.2008

Was für die Bürger der Europäischen Union noch eine relativ abstrakte Idee ist, könnte für die Verwaltungsgesellschaften von Ucits-Fonds bald Wirklichkeit werden: ein europäischer Pass. 

Welche Auswirkungen dies auf den Fondsstandort Luxemburg mit seinen 13 000 Beschäftigten hätte, lässt sich derzeit noch nichtsagen. Dabei müssen augenblicklich alle Aussagen zum Thema noch im Konjunktiv formuliert werden, denn Luxemburg und Irland, die beiden Größen im europäischen Investmentfondsgeschäft, stehen dem Pass konstruktiv-kritisch gegenüber. Die vorsichtige Haltung ist ganz bewusst gewählt, denn die heimische Branche möchte auf keinen Fall als Nein-Sager da stehen. Denn auch wenn es hier einmal nicht um Steuerfragen geht, so mehren sich doch die Stimmen, die beiden Ländern Standortpolitik auf Kosten der anderen zur Last legen.

Vor allem die Branchenverbände aus Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland fordern einen solchen Pass, der es Verwaltungsgesellschaften erlauben würde, grenzübergreifendFonds aufzulegen und nicht nur wie bisher grenzübergreifend zuverkaufen. Dies ohne – das ist die Neuheit – dass sie dort, wo der Fond aufgelegt wird, eine Verwaltungsgesellschaft betreiben müssen. Den Pass hat Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy, als er nach etlichen Jahren Vorbereitungsarbeit am 16. Juli Reformvorschläge für das Ucits-Regelwerk machte, bewusst weggelassen. 

Das missfällt den großen Ländern und deswegen muss McCreevy sich als irischer Kommissar in der Presse schon mal den Vorwurf der Befangenheit gefallen lassen. Die Luxemburger und die Iren fürchteten – zu Unrecht –, dass die Einführung des Passes zum Niedergang ihrer Standorte führen werde, schrieb der Vorsitzendedes britischen Branchenverbandes IMA Robert Jenkins bereitsim Februar in der Financial Times

Die Kritisierten bestreiten das. Die Alfi, der hiesige Fondsverband, führt das Argument der Produktsicherheit und des Verbraucherschutzes ins Feld. Das sind gute Argumente, denn die EU will ihre Bürger nicht nur vor Gammelfleisch und Dioxin-Eiernschützen, sondern auch vor schlechten Finanzprodukten. Die Idee des Verbraucherschutzes ist es, die dem ganzen Ucits-System zugrunde liegt, das einen Sicherheitsstandard für Investmentfondseinführte, in die auch Kleinsparer investieren. Der hoheSicherheitsfaktor ist es auch, der die Ucits zum Verkaufsschlager weltweit gemacht hat. Denn während die eumalropäische Wirtschaft schwächelt und die meisten Fonds in Europa viele Kündigungen registrieren, konnten die Luxemburger Ucits den Schaden in Grenzen halten. Allerdings nur durch Mittelzuflüsse aus Asien. Voninsgesamt 1 980 in Hongkong zugelassenen Fonds-Segmenten stammen gerade mal 100 aus Hongkong selbst, 1 015 dagegen aus Luxemburg. Nicht nur die Asiaten mögen die Marke Ucits; auch lateinamerikanische Pensionsfonds wägen sich gerne in dieserSicherheit. Damit diese gewährt bleibt, braucht es eine strenge Kontrolle, argumentiert die Alfi seit Monaten.

Und wie Finanzaufsichten das in der Praxis bewerkstelligen sollen,wenn der Pass kommt, das möchte man lieber im Detail geklärt wissen, bevor er eingeführt wird. „Die Fonds dürfen nicht zur leeren Hülse werden“, warnt Charles Muller von der Alfi.

Zur Erklärung: Derzeit muss sich die Verwaltungsgesellschaft im gleichen Land befinden wie der Fonds selbst, auch wenn dieser bereits über die Grenzen hinaus verkauft werden kann. Die Gesellschaft ist zuständig für die gesamte Administration, das heißt, die Berechnung des Nettoinventarwertes, die Buchhaltung, den Vertrieb, die Registrierung und nicht zuletzt fürs Asset Management, die Anlagepolitik. Bereits jetzt dürfen diese Aufgaben per Delegation ins Ausland verlagert werden, wenn die Aufsicht zustimmt.

Falls aber die Verwaltungsgesellschaft im Ausland sitzt, entziehensich die Verantwortlichen ihrem Zugriff, befürchten neben der Alfi einige europäische Finanzaufseher, darunter Luxemburg undBelgien. Dies obwohl sie dafür zu sorgen haben, dass der Fonds alleUcits-Auflagen einhält. Anders formuliert: Sie haben Angst, dass wesentliche Elemente, die zur Zulassung eines Fonds geprüft werdenmüssen, nicht mehr zu prüfen sind, weil die Verwaltungsgesellschaft,die diese Prozesse durchführt, sich außerhalb ihres geografischen Zuständigkeitsbereiches befindet.

Damit die anderen Reformen, die das von McCreevy vorgestellte Ucits-IV-Paket beinhaltet, nicht wegen des Passes im Mülleimer landen, hat der Kommissar diesen vorerst ausgeklammert. Den Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörde CESR hat er hingegen beauftragt, bis Anfang November einen Bericht darüber vorzulegen, wie man den Pass in die Praxis umsetzen kann, ohne dass Produktqualität und Anlegerschutz abhanden kommen.CESR befragte daher noch einmal kurzfristig die Stakeholder. Einsendeschluss war der vergangene 22. August; das Timing ist eng.

Es sind die Befürworter des Passes, die sich innerhalb des europäischen Fondsverbandes Efama durchgesetzt haben, wenn man ihren Beitrag zur CESR-Befragung liest. Der Pass – ein wichtiger richtiger Schritt in Richtung Finanzbinnenmarkt, – so ließe sich der Meinungsstand der Efama zusammenfassen. In seiner Euphorielässt der Verband alle irisch-luxemburgische Vorsicht fahren.Um das „Zugriffs-Problem“ der Aufsichten zu lösen, schlägt Efama einen Vertreter vor, der als Kontakt bei Auskünften von der Fonds-Aufsicht an die gebietsfremde Verwaltungsfirma dienen soll. 

Die von der Efama ins Auge gefasste Aufgabenteilung zwischen der Fonds-Aufsicht und der Behörde, die die Gesellschaft beaufsichtigt,sieht vor, dass Letztere dafür zuständig ist, die Auslagerung vongeregelten Tätigkeiten an Dritte zu bewilligen. Das könnte zu folgender Situation führen: Ein Luxemburger Fonds, für den die Finanzaufsicht CSSF zuständig ist, wird von einer französischen Gesellschaft von Paris aus geleitet. Lagert die ihr Asset Managementan eine polnische Firma aus, werden die Wege für die CSSF zu den von ihr benötigten Informationen immer länger.

Man könnte denken, diese Aufgabenstellung sei schon schwierig genug. Noch kniffeliger wird es allerdings, da nicht alle Mitgliedstaaten die gleichen Zulassungskriterien haben. Für die Franzosen kann also alles in Ordnung, die Luxemburger Bedingungen können dennoch nicht erfüllt sein. Logischerweise lässt die Problematik Rufe nach einheitlichen Kriterien laut werden – aber nicht nur danach. Denkt man in der vorgegebenen Richtung weiter, drängt sich irgendwann eine grenzüberschreitendeFinanzaufsicht auf. Ob Befürworter oder Gegner dieser Ideologie;von der EU-Aufsicht ist man noch weit entfernt, dem CESR fehlt derzeit die juristische Grundlage,um irgendwelche bindenden Entscheidungen treffen zu können. Falls es im Gesellschaftspass-Szenario Schwierigkeiten zwischen Aufsichten gibt, wäre daswenig hilfreich. 

Die Skeptiker sehen noch andere Baustellen: Wo ist ein Fonds ohneeigene juristische Person zuhause? Dort, wo er angemeldet ist, oderdort, wo die Verwaltungsgesellschaft ihre Niederlassung hat? An welchem von diesen beiden Orten wird er besteuert? Wo kann der Anleger vor Gericht ziehen, wenn es Probleme gibt? Dabei sind die Skeptiker noch nicht einmal davon überzeugt, dass sich der Pass für die Verwaltungsgesellschaften tatsächlich als Super-Sparmaßnahme bestätigen wird. Die Aufsichtskosten würden steigen, ist sich Charles Muller von der Alfi sicher. Die Fernbeziehung zwischen Fondsfirma, den zuständigen Aufsichten und den Bilanzprüfern, Übersetzungskosten und mehr, drohen, aufs Portemonnaie zu schlagen. Portemonnaie jedoch ist es, das die Enthusiasten den Skeptikern unter die Nase reiben: Wer in jedemLand, in dem er Fonds auflegt, eine Gesellschaft betreiben muss, dermuss diese auch mit dem dafür nötigen Kapital ausstatten. Das würden sich Franzosen, Briten und Deutsche gerne sparen. Offiziell. Denn wenn sie Luxemburg und Irland Standortpolitik vorwerfen, muss im Gegenzug ihr Sparwille hinterfragt werden.

Hinweise, dass es Egoprobleme gibt, sind vorhanden. So bezieht der französische Branchenverband in seine Statistiken über den französischen Fondssektor gerne auch mal die hier registrierten Fonds französischer Promotoren mit ein. Das macht mehr her. Und um auf das Beispiel Hongkong zurückzukommen: Die Iren haben dort 341 Fonds gemeldet, Großbritannien und Guernsey zusammen 79, das restliche Europa gerade mal drei. Solche Statistiken sind in anderen europäischen Finanz- und politischen Hauptstädten nicht unbedingt beliebt. 

Ob der Pass, in welcher Form auch immer, noch in den Reformvorschlag eingefügt wird, ist demnach vor allem eine politische Entscheidung. Die Franzosen, die augenblicklich denEU-Ministerrat präsidieren, haben angekündigt, sich dafür einzusetzen. Ob die Reform es dann noch vor den nächsten Europawahlen im Frühling 2009 durch den Ministerrat und dasEuropaparlament schafft, ist ungewiss. 

Einige Insider sehen das Ucits-IV-Projekt deswegen schon da, woauch die Ucits-II-Vorschläge landeten: in der Schublade. Andere hingegen sind sehr optimistisch, dass alles sich in Wohlgefallenauflösen wird. Ob es sich dabei um Zweckoptimismus handelt? Denn Pass hin oder her, auf den Rest der Reform will niemand verzichten. Fünf Änderungen hat McCreevy vorgeschlagen. „Dramatisch“, so ein Branchenkenner, wäre es, würden sie nicht kommen. Ein Highlight ist sicherlich die Vereinfachung des„Vereinfachten Prospektes“, der heute mit oft mehr als 100 Seitenallgemein zur Farce verkommen ist. Er soll vollkommen standardisiert und auf zwei Seiten reduziert werden. Die Kommission will zudem bisher verbotene grenzüberschreitendeFusionen von Fonds zulassen, auch davon erwartet man sich einerationalere Nutzung der Finanzmittel.

Die Wettbewerbsfähigkeit soll gesteigert werden, indem der Notifizierungsprozess im Hinblick auf den Vertrieb eines Fonds in einem anderen EU-Staat vereinfacht wird. Unbedingt möchte der Sektor auch das Master-Feeder-Konzept eingeführt sehen, in dem kleinere Fonds all ihre Mittel in einen großen Fonds einbringen. Der nimmt dann die fürs Ucits-Siegel nötige Diversifizierung der Investitionen vor.

Würde der Management Company Passport, wie er im Fachjargon heißt, nun zum Niedergang der, wie manche Medien sie nennen, Fonds-Oasen Luxemburg und Irland führen? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Das Rennen um die Niederlassungder Fonds habe Luxemburg lange gewonnen, und per Delegationseien viele Aktivitäten ohnehin schon lange ins Ausland verlagert, kommentieren manche Insider. Demnach sei wenig Veränderung zu erwarten. 

Dennoch glauben andere, könnte es für die eine oder andere Gesellschaft unattraktiv werden, in Luxemburg zu bleiben. Wer hautsächlich in nur einem EU-Land vertreibe, der könne die Aktivitäten genauso gut von dort aus leiten, ohne auf die Registrierung der Fonds in Luxemburg zu verzichten.

Wer allerdings seine Fonds weltweit absetze, könne genauso gutgleich hier bleiben, denn andernorts lasse sich der internationale Vertrieb nicht so gut organisieren und verwalten wie in Luxemburg. Wenn man die Statistiken des Standortes anschaut, sieht man: Platz eins unter den Promotoren belegen die Deutschen, auf den Ehrenrängen folgen die USA und die Schweiz. Amerikaner undEidgenossen werden auch mit EU-Pass kaum abwandern. Wenn sieUcits-Produkte auflegen wollen, brauchen sie überhaupt eine Basisinnerhalb der EU. Die Infrastruktur dafür haben sie in Luxemburg. Nicht zuletzt muss man bedenken: Die vorsichtige Haltung der Alfi geht auch auf das Konto der internationalen Häuser, die hier vertreten sind. 

Michèle Sinner
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