Die kleine Zeitzeugin

Überall Party immer

d'Lëtzebuerger Land vom 27.09.2024

In der Stadt ist Befreiung, wow, gerade bin ich angekommen, nach einem etwas verlängerten Auslandsaufenthalt, und gleich so etwas Schönes. Die Straßen seien gesperrt, so wird mir zugetragen, wegen den Massen die wegen der Befreiung und v.a. wegen den Weltkriegsautos aus Amerika jubeln würden. Es gebe sogar echte amerikanische Soldaten.

Die Masse auf dem Waffenplatz ist etwas schütter, es ist eher eine kleine Ansammlung, man sieht den Rücken von Uniformierten, und eine Art Musik steigt auf, sie klingt vital. Sonst geschieht nicht viel, vorne wird gehuscht, der Großherzog, raunt es in meinem Kopf, anscheinend verbeugt er sich vor etwas. Dann kommen Autos aus Weltkriegsfilmen und dann fotografiere ich ein Auto, das nicht aus einem Kriegsfilm kommt. Das Nummernschild ist einfach wie Bonjour oder wie bei einem Memory-Spiel für Dreijährige, es ist nur eine Krone drauf. Am nächsten Tag gibt es in einer der beiden führenden Tageszeitungen, ich entsinne mich nicht mehr welcher, einen als Artikel getarnten Schüleraufsatz und ein Foto mit einer beeindruckenden Menschenmasse.

Aber wenn man denkt, das war’s jetzt, jetzt gehen alle schlafen und morgen arbeiten sie und gehen wieder schlafen, weit gefehlt. Überall stehen und sitzen Menschen herum, sie trinken und quatschen und lachen, überall wird geplaudert und geprostet. Alle sind jung und munter oder tun so, überall wird gelacht, keine Ecke oder Nische der Stadt ist vor dieser Munterkeit sicher, sie ist vermutlich ansteckend. Und die Sonne scheint die ganze Zeit, der Himmel ist blau, ich kenne mein Land nicht mehr wieder, wo ist der Regen?

Und auch über Land ist es nicht schlechter. Wer etwa beschaulich über Land fahren möchte um z.B. auf einer Köppchen den Blick schweifen zu lassen über die beschauliche Mosellandschaft, wird irgendwann resigniert an einem Thüringer käuen. Weil ein Fest den Weg versperrt. Falls es einen Parkplatz gibt. Also eher nicht. Und dann kommt noch ein Fest und noch ein Fest, Wein, Zwetschgen, Wein, Kirmes, aber endlich kommt ein Ort ohne Fest, er ist nicht aufgeregt und obschon er so berühmt ist diskret schön, er heißt Schengen. Aber bald gibt es auch dort ein Fest, sie feiern Hähne.

Dann lieber ab mit dem Schlaraffenlandbus in den Nordosten, nach Rindschleiden, den Ort ohne Einwohner/innen, nur tote Mönche und hoffentlich totenstille Fresken. Im Bus lacht ausnahmsweise niemand, er ist leer, der Buschauffeur lächelt. Trotzdem habe ich beim Aussteigen Hemmungen, ihn zu küssen, obschon das als Aufforderung groß auf den Bussen steht. Wie ich hinunter nach Rindschleiden lustwandele, vorbei an Kühen und the green green grass of home, sehe ich schon von weitem den hervorragenden Minister Gloden. Er steht inmitten eines angeregten Trüppchens, neben einem Zelt, aus dem Laute dringen, wohl Musik. Es wird ein Fest gefeiert, es heißt Fusionsfest.

Und schon wieder sind die Straßen gesperrt und es gibt keine Schlaraffenlandbusse, weil es ist Tour de Luxembourg. Ein irres Unterfangen bei dem die Teilnehmer im Kreis und kreuz und quer herumhetzen wie Goldfische im Glas auf Panikattacke, und ein sadistisches Publikum, das anscheinend zahlreicher ist als das bei der Befreiung, ihnen auflauert. Drei Mal Pabeierbierg hintereinander, ein Fall für den Menschenrechtsgerichtshof!

Aber niemand muss traurig sein, die Party geht weiter, hinterm Aldringer, wenn man die Misérables überwunden hat, in allen Gassen und Ecken, überall gutgelaunte Ex-Pats und Studierende, alle sind jung und lustig und schauen unternehmungslustig aus, alle reden flexibel in den diversesten Zungen, vornehmlich aber in der angelsächsischen, die Bettler/innen sind Luxemburger/innen. Und vor der Mesa Verde wird getanzt, es ist nämlich ein Fest, und daneben bestimmt auch, sowieso, kommst du nicht hin?

Und dann kommt der Papst. Und wer in der Tombola einen Heiligen Stuhl gewonnen hat, kann ihm nahe sein, und bestimmt gibt es nach der Hostie Thüringer und vielleicht auch Veganes, bestimmt sogar. Und alle sind himmlisch gut drauf. Während ich mich diskret verabschiebe, es war total mega.

Michèle Thoma
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