LEITARTIKEL

Offenbar Spielraum

d'Lëtzebuerger Land du 03.02.2023

DP-Finanzministerin Yuriko Backes war am Montag Nachmittag ziemlich kühn. „Je proposerai des allègements fiscaux ciblés pour soutenir le pouvoir d’achat des ménages“, überschrieb ihr Ministerium eine Pressemitteilung. Im Text folgte der Nebensatz: „si l’amélioration qui se dégage par rapport aux estimations précédentes se confirme“. Was doch wieder klang wie Backes’ Ankündigungen vom Oktober und Dezember, Steuererleichterungen könne es geben, wenn sich dafür im April im Stabilitäts- und Wachstumsprogramm „Spielraum“ zeigt. Doch so viel Budget-Technokratie hält die DP mittlerweile offenbar für zu langweilig. Die Botschaft lautet deshalb, dass Spielraum besteht und dass er eine halbe Milliarde Euro groß ist.

Daraus Steuererleichterungen für die Haushalte zu machen, wäre plausibel. Eine Milliarde Euro Überschuss verbuchte die Staatskasse Ende 2022, wie Yuriko Backes vor ihrer Presseerklärung dem parlamentarischen Finanzausschuss berichtete. Unter anderem stecken darin Mehreinnahmen von 546 Millionen aus der Lohnsteuer. Ein Plus um elf Prozent gegenüber 2021, das sich unter anderem durch die seit 2017 nicht mehr an die Inflation angepasste Steuertabelle ergeben hat, während die Inflation vergangenes Jahr 5,4 Prozent betrug. Nach Transfers an Gemeinden und Sozialversicherung fällt das Defizit des Zentralstaats 2022 eine halbe Milliarde kleiner aus als noch im Oktober geschätzt, und die Staatsschuld lag Ende 2022 nicht bei 24,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, sondern 0,6 Prozentpunkte darunter.

Wäre dieses Jahr kein Wahljahr, könnte nun darüber diskutiert werden, in welcher Form 500 Millionen Euro zu Steuererleichterungen werden sollen. Auch darüber, ob eine andere Verwendung dieser Summe oder eines Teils davon sinnvoll wäre. Die Grünen hatten nicht Unrecht, als sie am Dienstag meinten, neben den Haushalten benötigten auch erschwingliches Wohnen und Klimaschutz „Spielraum“. Der großangelegte staatliche Aufkauf privater Wohnungsbauprojekte zum Beispiel, deren Promotoren vom Konkurs bedroht sind, hat noch nicht begonnen, dürfte aber -zig Millionen kosten.

Doch die DP möchte nicht nur, dass es ihre Finanzministerin ist, die gute Nachrichten verkündet. Sie möchte auch, dass die Deutungshoheit über den Umgang mit dem Spielraum möglichst lange bei ihr verbleibt und die Koalitionspartner nicht zu viele eigene Ideen äußern. Oder nur so viele, dass ihre höfliche Zurückweisung die DP mit ihrem Premier und ihrer Finanzministerin als besonders verantwortungsbewusst agierende politische Kraft erscheinen lässt. Ab April dürfte dann über „gezielte“ Steuerkredite gesprochen werden. Allein schon, weil sich in der dann noch verbleibenden Zeit bis zu den Sommerferien weitreichendere Maßnahmen nicht mehr durchs Parlament bringen lassen. Aber auch, weil Steuerkredite Erleichterungen sind, die politisch wenig kosten. Das meinte OGBL-Präsidentin Nora Back, als sie nach der Januar-Sitzung des Nationalvorstands der Gewerkschaft monierte, Steuerkredite seien „nichts Definitives“, sondern verlören „mit der nächsten Indextranche schon wieder an Wert“, wenn die Steuertabelle bleibt, wie sie ist.

Auf der anderen Seite ist die Verzögerungstaktik der DP nicht ohne Risiko. Zum Beispiel, weil Ende März der Energiesteuerkredit ausläuft, den die Tripartite im vergangenen Frühjahr beschlossen hat. Yuriko Backes’ Bilanz zufolge, kostete er die Staatskasse vergangenes Jahr 267 Millionen Euro. Diesen Steuerkredit nicht zu verlängern, wird nicht so einfach. Paperjam.lu rechnete am gestrigen Donnerstag vor, selbst mit der diese Woche fällig gewordenen Indextranche und jener, die vom April 2022 auf den April 2023 verschoben wurde, würden Haushalte mit einem Bruttoeinkommen vom einfachen und dem zweifachen Mindestlohn schlechter gestellt als mit dem Energiesteuerkredit.

Der CSV-Abgeordnete Marc Spautz hat den Artikel schon gelesen und will von der Regierung in einer dringenden parlamentarischen Anfrage wissen, ob sie das auch so sieht. Falls ja, könnte sich mehr als die Hälfte der 500 Millionen Euro Spielraum als schon verplant erweisen. Die Diskussion um die Verwendung des verbleibenden Betrags könnte vom Wahlvolk als schlechter Witz verstanden werden. Und der Spitzenkandidat der CSV könnte erklären, mit ihm wäre sowas nicht passiert.

Peter Feist
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