Klimaschutz

No, we can't!

d'Lëtzebuerger Land vom 19.11.2009

Das Resultat dieser Studie war ziemlich verheerend: Bis zum Mai dieses Jahres untersuchte Dietmar Mirkes, Mitarbeiter der Klima-Abteilung der Action Solidarité Tiers Monde (ASTM), eine Stichprobe aus den 79 Projekten, mit denen Luxemburg bisher durch Investitio-nen in Entwicklungsländern seine schlechte C02-Bilanz bereinigt. Die acht Projekte, die er näher analysierte, würden nur zu 57 Prozent einen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten, so Mirkes’ Verdikt.

Dass er diese Feststellung auf alle anderen Projekte ausdehnte, die auf den so genannten „flexiblen Instrumenten“ aus dem Kioto-Protokoll beruhen, war auch als Provokation gedacht. Er schlussfolgerte immerhin, dass Luxemburg 20 Millionen Euro – den Einkaufswert an CO2-Credits, der den unwirksamen Maßnahmen entspricht – zum Fenster hinausgeworfen habe. Und warnte, man könne demnächst weitere 50 Millionen Euro auf ähnliche Weise vergeuden, wenn bis Ende 2012 zusätzliche Credits für rund 120 Millionen Euro eingekauft werden sollen. Doch niemand, sagt Mirkes, habe sich bei ihm über diese Unterstellung beschwert. Dabei hätten die zuständigen Minister für Finanzen und für Nachhaltige Entwicklung das 55-seitige Papier ebenso bekommen wie sämtliche Abgeordneten.

Aber es ist gar nicht ausgeschlossen, dass der Bericht in seiner Einschätzung so richtig liegt, dass die politische Klasse darüber lieber schweigt. Denn wenn er zeigt, dass das ganze System der auf die Entwicklungsländer abzielenden flexiblen Instrumente nicht nur dem Klimaschutz zu wenig bringt, sondern gerade den schwach entwickelten Staaten kaum zu „grünen Technologien“ verhilft, noch viel zur Linderung der Armut vor Ort beiträgt, dann wird deutlich, wie angebracht die Bezeichnung „Freikauf“ dafür ist (siehe nebenstehenden Text). Zumal Ende 2007 die damalige Juncker-Asselborn-Regierung die anderen EU-Staaten wissen ließ, das Luxemburger Kioto-Ziel, bis 2012 um 28 Prozent weniger CO2 auszustoßen als 1990, sei nicht erfüllbar ohne die fast vollständige Nutzung der flexiblen Instrumente.

Zwei Jahre später ist es alles andere als auszuschließen, dass Luxemburg sich auch in der Zeit „Post-Kioto“ im großen Stil freikauft. Drei Wochen vor Beginn des Kopenhagener Welt-Klimagipfels verfügt die neue Juncker-Asselborn-Regierung zwar über einen Koalitionsvertrag, in dem steht, alle wichtigeren politischen Entscheidungen würden „en particulier“ an der „lutte contre le changement climatique“ orientiert. Wie Luxemburg diesen Kampf führen soll, ist jedoch weitgehend unklar – abgesehen davon, dass alle bisher punktuell ergriffenen Maßnahmen weiterhin gelten: der Ausbau des öffentlichen Transports; die Zuschüsse zur energetischen Sanierung von Altbauten und zur Nutzung erneuerbarer Energien; die Anreize zum Kauf schadstoffarmer Autos und Haushaltsgeräte. Und so fort. Überarbeitet werden soll der nationale Klimaschutz-Aktionsplan. Was fehlt, ist das, was vor dem Plan stehen müsste: Ein Leitbild, das klarmacht, inwiefern Luxemburg, das der Internationalen Energieagentur zufolge im Jahr 2007 pro Kopf 22,35 Tonnen CO2 ausstieß und damit 17 Prozent mehr als die USA, sich „ändern“ soll. 

Stattdessen herrscht klimapolitisch die gleiche Ratlosigkeit vor, die schon den Antritt der neu-alten Regierung prägte: Man weiß einfach nicht, wie die Wirtschaftskrise ausgeht. Wenn die Staatsschuld im kommenden Haushaltsjahr durch die Aufnahme eines Kredits um 1,5 Milliarden Euro wachsen soll, dann wird es noch schwieriger vorstellbar als früher, auf die über eine Milliarde Euro schweren Einnahmen aus dem Tankstellengeschäft mit Sprit, Tabak und Kaffee zu verzichten. Wenngleich die Luxemburger Emissionsbilanz um 40 Prozentpunkte besser aussähe, wenn es keinen „Tanktourismus“ mehr gäbe.

Ihn nach und nach zu reduzieren, indem man an der Akzisenschraube dreht, hat die Regierung sich in ihrem Programm mit einigem Widerwillen schon vorgenommen. Immerhin sollen bis 2015 die Akzisen auf LKW-Diesel EU-weit so stark angeglichen werden, dass die Einnahmen an Luxemburger Tankstellen stark einzubrechen drohen. Doch: Mit der Reduzierung des Tanktourismus allein wird es längerfristig nicht getan sein. In dem Bericht, den der parlamentarische Nachhaltigkeitsausschuss vor der klimapolitischen Orientierungsdebatte der Abgeordnetenkammer gestern Nachmittag veröffentlichte, ist schon die Rede davon, dass die entwickelten Länder ihren CO2-Ausstoß bis 2020 am besten um 40 Prozent reduzieren müssten und um 80 Prozent bis zum Jahr 2050. 

Das ist noch weit weg, würde aber bedeuten, Einsparungen mit mehr und mehr Nachdruck durchzusetzen. Hierzulande wäre das etwas Neues. Bisher erlaubte es eine gut gefüllte Staatskasse, Subventionen für Häusersanierungen oder den Einbau von Solarheizungen zu vergeben, die in ihrer Höhe EU-weit beispielhaft sind. Gleichzeitig sorgt eine widersprüchliche Nachhaltigkeitspolitik beispielsweise dafür, dass kein Autofahrer Angst haben muss vor einer KFZ-Steuer à la Holland: Wer einen Wohnungsbaupakt beschließt, der auch das abgelegenste Dorf dazu reizen soll, an Einwohnern zuzulegen, der kann im dann zwangsläufig wachsenden Autoverkehr keine Steuer pro gefahrenen Kilometer erheben. Und noch trägt der Tanktourismus dazu bei, dass vor allem Ausländer den „Kioto-Cents“ entrichten, mit dem der Kioto-Fonds zum Einkauf flexibler Zertifikate gefüllt wird. Da fällt es um so leichter, dafür im Staatshaushalt 2010 eine weitere 95-Millionen-Euro-Tranche vorzusehen.

Vielleicht liegt es daran, dass es in Luxemburg so unpopulär ist, von weniger Wachstum oder gar Verzicht zu reden, dass Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) sehr lange schon und so gut wie losgelöst von der Öffentlichkeit an einem nationalen Aktionsprogramm für mehr Energieeffizienz arbeiten lässt. Ob es darauf hinauslaufen könnte, Energieeinsparungen auch zu erzwingen, ist nicht bekannt und auch nicht übermäßig wahrscheinlich, weil das Regierungsprogramm der Koalition an keiner Stelle ein Mandat dafür erteilt. Dass in Luxemburg im EU-Vergleich besonders verschwenderisch mit Energie umgegangen wird, ist allerdings auch Krecké klar (d’Land, 02.03.2007).

Da die Regierung offiziell noch nicht weiß, was sie klima- und energiepolitisch will, sollte das Parlament Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler (CSV) nach dem Willen der Mehrheit gestern lediglich das politische Mandat erteilen, in Kopenhagen alle Positionen der EU zu unterstützen. Dass Überlegungen zur nationalen Klimapolitik erst nächstes Jahr angestellt würden, hatte Wiseler dem parlamentarischen Nachhaltigkeitsausschuss bereits Anfang Oktober erklärt: Nach dem Kopenhagener Gipfel werde am 22. Dezember zunächst auf EU-Ebene das weitere Vorgehen diskutiert. Davon hänge ab, was daheim unternommen wird.Dazu passt, dass am 21. Oktober das Hearing in der Abgeordnetenkammer, auf dem Vertreter der forces vives de la nation, vom Mouvement écologique über die Handelskammer bis zum Gemeindeverband Syvicol, mit dem Nachhaltigkeitsausschuss diskutierten, zeitgleich mit der Sitzung der EU-Umweltminister auf dem Kirchberg stattfand, wo die EU-Positionen zu Kopenhagen festgeschrieben wurden: Beeinflussen sollte das Hearing vor dem Ministertreffen möglichst nichts und niemanden.

Das hat auch damit zu tun, dass Claude Wiselers Situation in Kopenhagen nicht einfach sein wird. Mag dort auch nur ein politisches Übereinkommen getroffen werden und noch kein Kioto-Nachfolgeabkommen: Die EU-Position zu verteidigen heißt, sich für jene mindestens 30 Prozent Emissionsminderung auszusprechen, die zu leisten die EU für ein Post-Kioto-Abkommen anbietet. Zwar haben CSV und LSAP in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, in diesem Fall die Luxemburger Emissionen um den gleichen Betrag zu reduzieren. Das aber würde allemal politisch anspruchsvoller,  als jene 20 Prozent Einsparung gegenüber dem Referenzjahr 2005 zu erfüllen, die für Luxemburg gelten, falls kein Vertrag auf das Kioto-Protokoll folgt. Und schon für dieses Reduktionsziel handelte vor einem Jahr der damalige Umweltminister Lucien Lux (LSAP) mit seinen 26 Amtskollegen umfangreiche Freikaufsmöglichkeiten aus. Die komplexen neuen Bestimmungen erlauben es, theoretisch alle 20 Prozent über flexible Meachnismen abzutragen (d’Land, 02.01.2009).

Die Regierung verspricht in ihrem Programm, Priorität hätten in jedem Fall die Maßnahmen zu Hause. Aber hätte es im Vorfeld der gestrigen Klima-Orientierungsdebatte nicht Protest von der Opposition gegeben, dann hätte Nachhaltigkeitsausschussvorsitzender Fernand Boden (CSV) einen pensionierten Physiklehrer als Redner ins Plenum eingeladen, der findet, „l’influence du CO2 sur le changement climatique est largement surestimée“. Vielleicht ist in der CSV und unter ihren Ministern für Finanzen und für Nachhaltigkeit die Verzweiflung über die Zukunft des Luxemburger Wachstumsmodells angesichts von Wirtschaftskrise und Klimakrise so groß, dass ein Ausstieg aus dem europäischen burden sharing zur CO2-Reduktion ihnen manchmal wie die ersehnte Rettung erscheint. 

Peter Feist
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