Theater

Erzähl uns was von Genozid!

d'Lëtzebuerger Land vom 25.01.2019

Burundi gehört zu den ärmsten Ländern weltweit. Demokratie-Index und Amnesty-Bericht sprechen eine deutliche Sprache und lassen keinen Zweifel an Menschenrechtsverletzungen. Homosexualität ist strafbar, Präsident Nkurunziza, einstiger Führer einer Rebellengruppe der Hutu, ist seit 2005 Staatsoberhaupt und Regierungschef und regiert autoritär. Der bewaffnete Konflikt hält seit Jahren an und interessiert die Weltöffentlichkeit herzlich wenig.

Rafael David Kohn, in dieser Spielzeit Hausautor am TNL, will dies ändern, indem er mit Demandez au Président, einer szenischen Lesung, den Konflikt auf die Bühne trägt. In der knapp einstündigen Lesung lässt er die Kriegsreporterin Susanne Kirchhoff (verkörpert durch Brigitte Urhausen) in einem Foltergefängnis in Burundi sitzen und auf den vermeintlichen Präsidenten Burundis, Patrice Umuhuza (Michael Ojake), treffen.

Eine ungewöhnliche Interview-Situation, denn die Journalistin, die eigentlich verhört werden soll, kehrt den Spieß um und interviewt den Präsidenten, wobei „sie versucht mit schmerzhaften Fragen dessen Weltbild ins Wanken zu bringen“, liest man im begleitenden Flyer. In dem Dialog prallen die zwei Sprachen Deutsch und die Kolonialsprache Englisch aufeinander, wie die gegensätzlichen Sichtweisen der beiden Akteure zweier Kontinente. Auf der Bühne trifft die weiße Europäerin, die dem Unrecht in Burundi nachspürt, auf den dunklen Mann. Die schlichte Bühne lenkt das Augenmerk auf den Text. In der knappen Stunde soll der Dialog auf die Zuschauer wirken, „Rafael David Kohns Text zeichnet ein differenziertes Bild der aktuellen Lage in Burundi und erkundet die Abgründe jener Menschen, die trotz bester Absichten zu Mittätern werden“, verspricht die Ankündigung.

„Die vierhundert Toten im Mai scheinen nur die Vorboten für einen neuen Genozid zu sein“, sagt Kriegsreporterin Susanne Kirchhof am Anfang. „What do you know about genocide? Nothing. Two civil wars, 250 000 people died, I witnessed it. 400 victims are no harbinger for a genocide. 400 victims Palestinians and Jews manage every year. No genocide. Hundreds of thousands in Libya: no genocide in your press, but four hundred! You have an interesting perspective“, belehrt sie der vermeintliche Präsident.

Die Journalistin beharrt darauf, dass das Recht auf Meinungsfreiheit fest im Grundgesetz verankert sei, und zeigt sich furchtlos, sie habe schon schlimmere Schlächter gesehen. Sie fragt den Präsidenten auf den Kopf zu, wieso er überhaupt Journalisten verhafte. Irgendwann fällt die Aufforderung, eine Schweigeminute für die vielen ermordeten Menschen einzulegen.

„Wer wie viele Rinder besitzt, machte den Status zwischen Hutu und Tutsi aus“, erfährt man. Und der Präsident erklärt: „I wanted a better future for my country.“ Und trotzdem habe er einen Krieg ausgelöst, entgegnet ihm die Journalistin vorwurfsvoll und erklärt, dass man erst die Menschen verändern müsse, um die Welt zu verändern.

Enervierende europäische Journalistin trifft auf starrköpfigen afrikanischen Diktator: Die Lesung mag dazu beitragen, einen kaum thematisierten Konflikt wachzurufen und auf der Bühne anzuschneiden, doch sowohl der Text wie auch die Figurenkonstellation und die Dramaturgie tragen nur dazu bei, Stereotypen zu verfestigen.

Zwischen den Zeilen hört man heraus, dass an dem Konflikt die Europäer irgendwie Schuld seien… Eine grundlegende Ursache für ethnische Konflikte weltweit! Denn die Grenzen wurden, ob von belgischen, britischen oder deutschen Kolonialmächten, einst willkürlich wie mit dem Teppichmesser gezogen – ohne Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeiten. Wer wie viele Rinder hatte, spielte – ähnlich wie in Luxemburg hunderte von Jahren später – auch irgendwie eine Rolle für den sozialen Status.

Wenn es am Ende heißt: „Wir fühlen uns besser, wenn wir Afrika als Land der Schlächter ansehen können“, ist das zwar eine wahre selbstkritische Erkenntnis, die jedoch ohne die Ursachen für die blutige Kolonialgeschichte und bis heute anhaltenden ethnischen Konflikte zu benennen, wohlfeil in den Raum geworfen wird und wirkungslos verpufft.

Demandez au Président von Rafael David Kohn, szenische Lesung; Regie und Einrichtung: Rafael David Kohn, Kostüme: Denise Schumann; Dramaturgie: Ruth Heynen; Licht und Ton: Zeljko Sestak; Tonaufnahme: René Nuss; Übertitel: Mandy Thiery; Mit: Michael Ojake und Brigitte Urhausen. Premiere war am 16. Januar im Théâtre National du Luxembourg. Eine Produktion des TNL; tnl.lu.

Anina Valle Thiele
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