Die kleine Zeitzeugin

Heiratsantrag auf der Titanic

d'Lëtzebuerger Land vom 03.02.2023

Heiraten gibt es immer noch, dieses verrückte Outing. Und zugleich das vernünftigste überhaupt. Chronische Liebe statt akute, oder statt Beliebigkeit, ehernes Bett, eherner Ring, bleierne Zeit. Statt frostige frustige Freiheit. Kuschelknast statt arthrotisches Balzen an der Bar. Irgendwann muss Ruhe einkehren. Irgendwann braucht man Ruhe. So ein Ehehafen ist immer noch verlockend, es ist ja auch arg stürmisch rundherum. Im Ehehafen ist immer Flaute, so eine traute Flaute.

Heiraten ist natürlich so divers geworden wie wir alle. So divers wie Bestattetwerden, es gibt alle möglichen Optionen, wie man unter die Erde oder unter die Haube kommt. Früher, als jede*r so einen Tag haben musste, wenn man keine alte Jungfer oder kein Hagestolz werden wollte, nannte man den Hochzeitstag den schönsten Tag im Leben. Danach kam nicht mehr viel. Heute machen sich viele nicht zuviel Stress, sie sagen einfach Ja! und basta. Ganz Wagemutige tun es an Orten, in denen Gefolterte hängen und stehen, von Nägeln und Pfeilen durchbohrt, mit verdrehten Augäpfeln, ohne Zungen, wo Männer in Röcken ihnen mild zureden. Bis dass der Tod euch scheidet, flüstern sie dann fies. Aber es gibt andere Optionen! Genauso spannend, genauso gruselig!

Schon bei den Heiratsanträgen, wie jetzt die gute alte Verlobung heißt. Solche wie sie Jahre lang im Armeleutefernsehen liefen. Wo sich Männer* vor ihre Angebeteten schmissen, Faxen machten, ihr nacktes Herz aus der Brust rissen, die Angebetete lachte schallend. Aber es gibt sie auch für den Mittelstand, nette Tipps, von Expert*innen zusammengestellt. Meist werden konventionelle Geschlechter konventionell dargestellt. Ein sg. Mann liegt auf den Knien. Vor der sg. Frau. Darauf läuft es meistens hinaus. Ohne das läuft nichts. Darum drapiert ein nettes Geschichtlein, eine hübsche Szene, gern mit Publikum, oder mit Hund.

Wer aber so richtig Geld loswerden will, hat schwindelerregende Möglichkeiten. Die Erde liegt ihm oder ihr zu Füßen, der Mond auch gleich. Vergesst den faden Blumenkranz auf Hawaii! Die Kniefälle auf Siebentausendern, die Leuchtschrift auf dem Eiffelturm, Aschenputtels kitschige Kutsche, den Tausend-Rote-Gähn-Rosenregen, das Bungee-Jumping von der Neuen Brücke! Den Walzer auf dem Mars, den Sekt im Urwald von Tschernobyl. Es gibt ein neues Angebot, ab Sommer buchbar.

Ok, eine Million Euro sollten Sie schon mal locker machen können, aber dann geht alles wie geschmiert. Ab in ein U-Boot in einen Ozean und hinunter in eine Tiefe! Alles super high tech, wie man früher sagte, durch ein Mega-Panoramafenster tauchen Sie ein in den Abgrund, wie geil ist das, der ist Kilometer tief, aber Sie denken nicht mehr in Kilometern. Formlose Formen erscheinen, sie sind durchscheinend, Düsternis wuchert, von Herumgeisterndem durchblitzt. Brocken zeigen auf aus dem Urschlamm. So Zeug. So Dinge. Teile von. Von was? Hier waren schon mal Menschen. Wie auf dem Mond.

Eine Stahlwand steht im Weg, den es gar nicht gibt, Bullaugen glotzen. Sie sind etwas verklebt. Und schon sind Sie mitten drin, drauf, unterwegs im volatilen Gehäuse. An Deck. Im Radiosaal. Auf der Kapitänsbrücke. Der Bug taucht auf! Die Balustrade! Da wo ... da wo ... wo Kate und Leonardo. Ergriffen ergreifen Sie die Hand des baldigen Gesponstes.

My heart will go on von Céline Dion ertönt. Wie, klar, im Film. Sie, wenn Sie die Person sind, nennen wir sie Person um es nicht kompliziert zu machen, die der anderen Person den Ring an den Ringfinger steckt, werden Sie genau dies tun. So steht es geschrieben. Und die Crew applaudiert. Und das Herz von Céline Dion macht weiter. Und die beringte Person kriegt Rosen. Und Sekt. Die andere nur Sekt.

Wenn ich bedenke. Wenn ich an meine Hochzeit denke. In der Gemeinde Wintger. Im Gemeindeamt auf der Hauptstraße. An einem Werktag, so hieß das damals noch, im November. Um acht Uhr früh. Im Nebel. Es gab auch Sekt. Ein kleines Glas. Es war auch gruselig. Und es kostete keine Million.

Michèle Thoma
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