Binge watching

Auge um Auge

d'Lëtzebuerger Land du 07.08.2020

Unter dem Begriff Naziploitation werden Filme bezeichnet, welche die Verbrechen des Dritten Reiches ausschöpfen und in denen die Nazis als das absolut Böse dargestellt werden. Als sadistische Gewalttäter, die sich auf groteske Weise am Leid ihrer Opfer erfreuen. Besonders in rezenten Jahren fallen Beispiele ins Auge, die nahezu lustvoll die Geschichte mit einem zynischen Gestus neuschreiben: Die Iron Sky- oder die Dead Snow-Serie oder noch Quentin Tarantinos Inglorious Basterds (2009) beziehen ihren besonderen Reiz aus der Darstellung der zynischen Neuinterpretation historischer Ereignisse. Die Serie Hunters, ein Amazon Original, die seit 2020 auf dem Amazon Prime-Server ausgestrahlt wird, schreibt sich in diese Linie ein. Allein das Titelplakat der Serie erinnert augenscheinlich an Tarantinos Farbcodes und deutet ähnliche Stilmerkmale und inhaltliche Parallelen an: In den Siebzigerjahren schließt sich der junge Jonah Heidelbaum (Logan Lerman) einer Gruppe im Untergrund arbeitender Nazi-Jäger, den sogenannten Hunters, an. Angeführt von dem ergrauten und zwielichtig taktierenden Meyer Offerman (Al Pacino) spüren die selbsternannten Rächer die in Amerika lebenden Nazis auf und bringen sie zur Rechenschaft, bevor diese ihre Pläne für das „Vierte Reich“ in den Vereinigten Staaten realisieren können…

Die von David Weil kreierte und unter anderem von Jordan Peele produzierte Serie zeigt in ihrer Titelsequenz dann auch kaum verwunderlich ein Schachbrett, auf dem die einzelnen Figuren agieren. Hier geht es um den ewigen Kampf Gut gegen Böse, Schwarz und Weiß; erst nach und nach macht Hunters seine moralischen Grauzonen auf. Denn die Gewalt dieser Helden hat jede Selbstverständlichkeit verloren; sie wird durch die Spiegelung der einstigen Nazi-Verbrechen zelebriert wie eine Kunst: grausam-zynisch, variantenreich und angestrengt. Jede Episode besitzt ähnliche Strukturmerkmale: Es gibt Rückblenden, die von der Grausamkeit der KZ-Offiziere erzählen und dann in den Siebzigern wieder evoziert werden. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Da ist denn auch ein gewisser Instinkt, das Verlangen nach Selbstjustiz, das die Gruppe von Hunters eint und den idealistischen Jonah zur aktiven Teilnahme bewegt. Ferner gibt es aber immer noch ein Funken von Anstand, der sie vor der ausgesprochenen Boshaftigkeit ihrer Verbrechen bewahrt: Ein klein bisschen weniger schlecht zu sein, als die ignorante Gesellschaft, die es versäumt hat, die Kriegsverbrecher zu stellen, ja, ihnen einen Neustart auf amerikanischem Boden ermöglicht hat. Als er von der ermittelnden FBI-Agentin zur Selbstkritik aufgerufen wird, verliert sich der
junge Jonah dann auch zunehmend auf diesem Schachbrett.

Hunters verhandelt die Frage der Selbstjustiz, wenngleich eher oberflächlich, mit allerlei Referenzen auf die Popkultur, von Darth Vader zu Batman bis hin zum nervösen und heillos überforderten Sonny Wortzig aus Sidney Lumets Dogday Afternoon (1975), der ebenfalls von Al Pacino verkörpert wurde. Überhaupt gilt Al Pacino das Hauptinteresse der Serie: Er spielt zurückgenommen, sagt ganz viel mit kleinen Gesten, seine Gesichtszüge lassen den jahrelangen Konflikt erahnen, den er mit sich trägt, bis er dann seine energische, dunkle Seite freisetzt. Mit der Figur des Meyer Offerman knüpft er ein wenig an sein Porträt des Juden Shylock in der Shakespeare-Verfilmung The Merchant of Venice (2004) an, für dessen Dreharbeiten Pacino einst nach Luxemburg reiste.

Ganz im Sinne der Diversity-Ansprüche, die heute zum Standard gehören, setzt sich auch diese Jäger-Truppe zusammen und besteht beileibe nicht nur aus Juden. So gesehen richtet Hunters seine Rachefantasien dann auch nicht ausschließlich gegen böse Nazis, sondern vielmehr gegen Rassismus und White-Supremacy-Ideologie. Unter diesem Zeichen deutet sich eine zweite Staffel an, diesmal ist auch die schwarze und lesbische FBI-Agentin Millie Malone (Jerrika Hinton) bei den Hunters mit von der Partie. Marc Trappendreher

Marc Trappendreher
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