Die Reise. Ein Trip ist ein rauschhaft-zersetzendes Bühnenstück, das die Akteure der RAF als verstörte, dogmatisch Parolen klopfende Opfer einer NS-Tätergeneration vorführt

Verstört-verstörende RAF

d'Lëtzebuerger Land du 28.05.2021

Die Rote Armee Fraktion (RAF) genießt unter denkenden Linken einen ambivalenten Status, dabei ist sie fast schon Pop. Im August 1969 hatte Bernward Vesper, Sohn des protestantischen Blut- und Boden-Dichters Will Vesper und zeitweise Verlobter der RAF-Mitbegründerin Gudrun Ensslin, ein Buchprojekt angekündigt. Er versprach eine detaillierte Schilderung eines 24-stündigen LSD-Trips, vermischt mit Reflexionen und autobiografischen Passagen, auf der Basis von Tonbandaufzeichnungen. Das Projekt wurde nie abgeschlossen, Vesper nahm sich im Mai 1971 in einer psychiatrischen Klinik das Leben. Obwohl anfangs kaum gelesen, wurde der Text später als eine Art Chiffre für die RAF gedeutet. Ein Rausch unter Drogen und eine Zeitreise – „durch Europa, auf dem Drogentrip, ins Unbewusste, in die deutsche Seele, die Theorie, die Kindheit, zu sich selbst, in den Tod“, heißt es im Begleitheft. Die auf der Bühne zitierten Passagen sind markig und rufen den Absolutheitswunsch und -willen und den Deutschen Herbst in Erinnerung: „Alle unsere Anstrengungen sind umsonst gewesen, wenn wir unsere Kinder dort anfangen lassen, wo auch wir begannen.“

In der Regiearbeit von Kathrin Herm (Dramaturgie: Florian Hirsch), einer wienerisch-luxemburgischen Koproduktion, wird Die Reise im TNL zur zweistündigen multimedialen Bühnenperformance. Orte, Situationen und Zeitebenen verschwimmen zu einer düsteren Collage. Die Kulisse: ein Haus mit darauf projizierten verstaubten schwarz-weißen Familienbildern. Drei Schauspieler (mit schwarzen Rollis und roten Socken) irren über die Bühne, fallen auf die Knie und verlesen kichernd den Einweisungsbericht für Vesper in die Psychiatrie: Er sei mehrfach nackt als Jesus aufgetreten ... es mündet in „für Gudrun“.

Robert Huschenbett gibt grandios durchgeknallt Bernward Vesper, besessen von der Idee, ein Buch zu schreiben. Alle drei Schauspieler mimen die Trias: Verwirrung – Verzweiflung – Depression. „Wir sind einsame Menschen – zerrissen durch Kapitalismus“. Schwarzweiß-Aufnahmen von Studentenprotesten werden auf das Haus projiziert. Wer eingedrungen ist, wird sich auf einer Reise befinden! Einblicke in das Innere der deutschen Stube legen die Stimmung im Nach-Nationalsozialismus offen: „Wir haben die Juden gewarnt.“ – „Die Fotos sind gestellt.“ Dazu Aufnahmen von Frauen aus dem BDM, wie sie enthusiastisch den Arm zum Hitlergruß recken. Im Hintergrund ertönen Kotzgeräusche.

„Ich hasse Deutschland, die Deutschen – dieses herumrollende Gemüse“, bricht es immer wieder aus den Schauspielern heraus. Die verleugnete NS-Vergangenheit, die Schuld der Eltern und die daraus entfachte Wut verbunden mit Selbsthass scheinen Vespers Text hervor; zugleich wird der unerfüllte Wunsch in der Dauerschleife rezitiert: „Vielleicht kommt irgendwann die Phase, wo wir cool sind und der Hass weg ist ...“

Das Publikum begleitet Bernward Vesper dabei, wie er in den Wahnsinn abdriftet. Während seine Mutter ihn stillte, wurde Österreich ins Deutsche Reich eingegliedert, erinnert Vesper sich und fügt lakonisch hinzu: „Die Kindheit legt alle fest.“ Die Hacken zusammen, den Arm gereckt zum Hitlergruß – eine Stilfigur, die die Schauspieler wiederholen.

Gudrun Ensslin wird einwerfen: „Es wird ja kein Gedanke zum Ende gebracht.“ – Ein seltener Augenblick der (Selbst-)Erkenntnis. Und dennoch folgt die überdreht-überladene Inszenierung dem Dogmatismus der radikalisierten 68er, die im Dauerrausch verloren scheinen ... Die Reise ans Meer führt sie nur zeitweilig weg von ihrer Wut auf das Bürgertum, das mit ihrem als Wahnsinn gedeuteten Verhalten eine allzu leichte Interpretation angeboten bekommt.

Dann fällt ein Schuss, und die Bühne liegt in Türkis; ein schriller Ton bleibt, der sich einfrisst wie ein Tinnitus. Hier wäre nach einer Stunde ein guter Zeitpunkt für ein Ende gewesen, aber das Deutsche Haus (Bühnenbild) bricht weiter auseinander, zum Teil sehr plakativ.

Ensslin vermerkt: „Man kann kein Buch schreiben – ohne dass man im deutschen, braunen Sumpf versinkt.“ Dazu läuft „Go home, kill mother and father and yourself ...“ von The Doors oder „Rejoice, rejoice we have no choice but to carry on!“ von Crosby, Stills and Nash.

Im Schummrigen ritzen sich die drei, schmeißen Pillen ein und mimen Sado-Maso-Sexszenen. Enss-
lin liest aus Vespers Konvolut und stellt irgendwann fest: „Diese Aufzeichnungen folgen nicht irgendwelcher Systematik...“ Die Schauspieler nehmen in Zerstörungswut die Bühne auseinander, schieben die Wanne in die Mitte und tauchen abwechselnd unter. Aleksandra Corovic als Ensslin stellt ihre Brüste zur Schau: „Die Bourgeoisie lebt exhibitionistisch!“

Irgendwann sind alle Hitler. Der Blick ins Klo symbolisiert das Abgleiten in den Wahnsinn, auf dass sich kein Gedanke mehr einstellen kann. In einer Bilderflut laufen Aufnahmen von Studentenprotesten über das Haus: Gegen Rassismus, gegen Nazis, brennende USA-Fahnen, und irgendwie ist der Irrsinn der Querdenker auch nicht weit. Ans Publikum gewandt, werben die drei: „Wir brauchen revolutionäre – Autoren! Bühnenbildner! Dramaturgen!“ Nach zwei Stunden ist die Luft raus: „Wisst ihr was, geht doch einfach nach Hause und denkt darüber nach, was für ein Scheißhaufen Ihr seid!“ Die überfrachtete Regie-Arbeit hält einen in Atem; die Schauspieler überzeugen durch eine starke Bühnenpräsenz. Die ideologischen Fragmente der RAF verschwimmen in Herms Inszenierung Die Reise. Ein Trip zu einem undurchsichtigen Kaleidoskop. Am Ende der ausgefallenen Produktion bleibt so der Eindruck, dass sich die radikalisierte 68er-Genera-
tion im Dauerrausch in Plattitüden verlor.

Die Reise. Ein Trip nach Bernward Vesper/Kathrin Herm; Bühnenfassung von Kathrin Herm und Florian Hirsch. Uraufführung. Mit: Aleksandra Corovic, Max Koch, Robert Huschenbett. Regie: Katrin Herm, Dramaturgie: Florian Hirsch; Bühne und Kostüme: Mirkam Stängl, Video: Tina Wilke; Musik: Pola Lia Schulten; Licht: Mirjam Stängl, Zeljko Sestak; Produktionsleitung: Florian Eschelbach. Eine Koproduktion: Théâtre National du Luxembourg/tangent.COLLABORATIONS, in Kooperation mit dem Werk X-Petersplatz Wien. Premiere am 20. Mai 2021 um 20 Uhr am TNL. Keine weiteren Spieltermine

Anina Valle Thiele
© 2023 d’Lëtzebuerger Land