Die Herren der Lüfte

Aus allen Wolken fallen

d'Lëtzebuerger Land vom 03.04.2015

Über Wüsten und Wälder fliegen sie uns, über menschen- und gottverlassene Gegenden, über Meere und Metropolen, in himmelbeerfarbene Sonnenuntergänge. Während wir fidel ein Gläschen heben, oder zwei, beim Schweben. Die Herren der Lüfte haben gewagte Vogelprofile, markante, herb-männliche Gesichter und stecken in adretten Uniformen. Sie schauen fit und fröhlich und frisch geduscht aus und so, als könnten sie es nicht erwarten, uns zwischen Wolkenkühen hindurch zu manövrieren und uns zwischendurch mit ihrer sonoren Stimme darüber zu informieren, wie viel Füße man gerade über dem Atlantik ist. Oder in beruhigend leicht gelangweilt routiniertem Singsang Turbulenzen anzukündigen.

Sie sind kühn, aber nicht tollkühn, mutig, aber nicht über- oder todesmutig. Sie sind Meister der Kontrolle, Zen-Buddhisten. Erhaben über alles Irdische, wenn sie an dem magischen Ort am Steuer sitzen, am Ruder, am Computer, wer weiß das schon genau.

Vor langer Zeit wollten kleine Mädchen Stewardess werden. Sie wären hübsch gelockt und geschminkt unter einem kessen Käppi, verheißungsvoll lächelnd würden sie anmutig stöckelnd Getränke reichen. Sie würden mit dem Piloten in den Himmel fliegen, durch den Himmel. Zwischendurch, zwischen all den Himmeln, auf einer Erde landen, einer ganz anderen Erde.

Das ist vorbei, es gibt keine Piloten mehr. Kapitäne auch nicht. Schon lang nicht mehr. Der Traumschiffkapitän, vielleicht erinnert sich noch jemand, ist aus unseren Träumen desertiert. Der Kapitän, der ja noch um einiges inspirierender ist als der meist doch etwas knochentrockene Herr Pilot. Der smarte Traumschiffkapitän, der Seebär mit dem vergilbten Gestrüpp im Antlitz, hat das Schiff und uns verlassen. Er ist abgehauen, es gibt ihn nicht, es gibt keinen Vater, keinen Osterhasen, keinen Gott, keinen Nikolaus. Wir sind ganz allein. Wir sind aus allen Wolken gefallen. Unsere Idole auf den Kindheitsaltären sind gestürzt, haben sich selber ins Nichts gestürzt.

Und jetzt sitzen alle überall und beten ihre Fassungslosigkeit herunter, und die Leier von der Unvorstellbarkeit. Wie vorstellbar ist das aber: Plötzlich, jetzt ist mal genug mit der Regression, raus aus dem Bilderbuch, ist der Pilot ein Arbeitnehmer, ein Angestellter, ein psychisch Kranker, ein verletzbares Wesen. Jemand, der Magenschmerzen hat, Liebeskummer, viel zu lange fliegt, viel zu wenig schläft. Jemand, der Probleme hat und sie, staun grübel, ganz für sich behält, wie ein Held. Jemand, der kein Weichei ist, kein Psycho, könnte ja sein, dass es Konkurrenz in der Gesellschaft, in der Fluggesellschaft gibt, soll es geben. Komisch, dass das komisch gefunden wird. Komisch, dass es komisch gefunden wird, dass einer seine Probleme nicht in die Chefetage trägt, um in der Kuschelecke mit den Bossen über seine Alpträume zu plaudern. Mit uns können Sie über alles sprechen! Und dann fliegen Sie, aber nicht in einem Superjet!

Jetzt kommen plötzlich alle drauf, dass der Feind nicht immer mit der Machete oder mit der Granate daherkommt, sondern vielleicht hübsch uniformiert aus einem frisch gewaschenen Haus. Dass er einer von ihnen, einer von uns ist, vielleicht heißt er gar ich. Allerhand wird durchdacht, wie einer den anderen überwacht. Und alle werden immerzu getestet und durchgecheckt und evaluiert, auf Leib und Nieren und Seele, das Blut wird untersucht, der Harn, das Hirn, die Haarspitzen, ob sie noch richtig ticken. Jedes auffällige Verhalten sofort melden! Blöd nur, dass es meist die Unauffälligsten sind, die die spektakulärsten Wahnsinnstaten begehen.

Eine Feministin kam auf die logische Idee, den Mann als potenziell hochgradig Suizidgefährdeten im Cockpit komplett auszuschalten, nur noch Pilotinnen einzustellen. Aber was tun, bis die Damen massenhaft flügge sind?

Beten wir die Maschine an, das tun wir ja sowieso seit 200 Jahren, sie ist besser als wir. Die Maschine kann höchstens defekt sein, aber sie ist nicht sadistisch oder von Liebeskummer oder Todesbetrieb befallen. Sie hat keine Gefühlsschwankungen und keinen Geltungstrieb. Sie hat vor allem keine Angst. Der Computer kann uns ebenfalls einen guten Flug wünschen, er hat bestimmt auch eine angenehme Stimme, ein bisschen kehlig. Und er will wenigstens nicht sterben.

Aber wer fliegt schon auf eine Maschine?

Michèle Thoma
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