McKinsey berät die Regierung

Die Produktivitätspartei

d'Lëtzebuerger Land du 14.03.2014

Die elften Rencontres économiques d’Aix-en-Provence des französischen Cercle des économistes befassten sich vor drei Jahren unter dem Motto Le monde dans tous ses États mit der Funktionsweise und wirtschaftlichen Bedeutung der unter den Schulden der Finanz- und Wirtschaftkrise stöhnenden Staaten. Bei dieser Gelegenheit verteilte die weltgrößte Unternehmensberaterfirma, McKinsey, eine Schrift unter den Kongressteilnehmern, in der sie für ihre Dienste zur „Produktivitätsverbessung im öffentlichen Dienst bei knappem Haushalt“ warb. Die Broschüre trug den Titel Better for less. Zwei Jahre später, im vergangenen Herbst, kündigte das Wahlprogramm der DP gleich neunmal an, „mit weniger Geld eine bessere Politik“ zu machen.

Derzeit arbeitet die Unternehmensberaterfirma McKinsey im Finanzministerium, um eine Methode für die von Finanzminister Pierre Gramegna (DP) angekündigte „kopernikanische Wende“ der Haushaltspolitik auszuarbeiten, wie Premier Xavier Bettel (DP) am Freitag missmutig einen Bericht des Lëtzebuerger Land bestätigen musste. Dass die Firma für sechs bis acht Wochen Versammlungen und Fragebögen in einer ersten Phase 384 000 Euro erhält und in einer zweiten Phase nach einer öffentlichen Ausschreibung möglicherweise noch viel mehr, sieht nur auf den ersten Blick unverhältnismäßig aus. Denn in ihrer Broschüre Better for less bietet sie Politikern mit knappen Staatskassen an, statt die Steuern zu erhöhen und die Sozial­ausgaben zu kürzen, „was stark umkämpfte wirtschaftliche, politische und soziale Zielkonflikte mit sich bringen kann“, lieber die Produktivität des Staates jährlich um 1,5 Prozent zu erhöhen. Zur Vermeidung von möglicherweise in einer Wahlniederlage endenden „Zielkonflikten“ kann aber kein aus der Staatskasse finanziertes New Public Management zu teuer sein.

Nun grenzt es selbstverständlich an Unfug, unbedingt die Produktivität von Richtern, Diplomaten, Logopäden oder Soldaten quantifizieren zu wollen. Die Erfahrung der Privatwirtschaft lehrt zudem, dass es sich nicht unbedingt lohnt, aus einer altbackenen Bürokratie eine weit gewaltigere Bürokratie zur Messung und Bewertung aller Vorgänge der ursprünglichen Bürokratie zu machen. Doch das entscheidende Problem ist ein politisches. Aus der Sicht von privaten Unternehmensberaterfirmen und zunehmend von liberalen Politikern soll der Staat ein Dienstleistungsbetrieb sein, der dem Einzelnen und der Gemeinschaft Dienstleistungen liefert und am besten verkauft. Dadurch wird aber der Staatsbürger zum Konsumenten, vom politischen Subjekt, das sich in einer parlamentarischen Demokratie unter dem Gleichheitsprinzip der Verfassung bewegt, zum Objekt eines ungleichen Marktverhältnisses.

Dass der Staat außerdem Einkommensanteile der Staatsbürger als Steuern beschlagnahmt und in einem bewusst ungleichen Austauschverhältnis unter den Staatsbürgern bar oder als Waren und Leistungen verteilt, ist eine Umverteilungsfunktion, die der Logik eines Dientsleistungsunternehmens widerspricht. Dies um so mehr, als eine vor allem in den USA verbreitete liberale Ideologie lehrt, dass soziale Gleichheit produktivitätshemmend und deshalb nicht einmal tendenziell anstrebenswert ist. Wenn aber nicht gerade feindliche Truppen an der Grenze aufmarschieren, stellen die demokratische Substanz staatlicher Institutionen und die Umverteiligungsfunktion des Staates, wie gering auch immer, heutzutage die wichtigste Legitimation des Leviathans Staat dar. Sie einem liberalen Nachtwächterstaat mit einigen nachgeschalteten kostenpflichtigen Dienstleistungen zu opfern, um die Produktivität des öffentlichen Dienstes jährlich um 1,5 Prozent zu erhöhen und, wie von McKinsey gerade vorgeschlagen, die Gehaltssumme jährlich um ein Prozent zu senken, kann selbst bei der Erreichung eines ausgeglichenen Staatshaushalts politisch kostspielig werden.

Romain Hilgert
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