Staatsverschuldung

Vergib uns unsere Schuld

d'Lëtzebuerger Land vom 28.01.2010

Von amerikanischen Häuslebauern, über ihre Hypothekenfinanzierer, hin zu den Großbanken der USA und Europas, weiter in die Haushalte dieser Länder – das ist der Weg, den die über Jahrzehnte angehäufte Schuldenlast seit 2008 hinter sich hat. Durch Bankenrettungen wurde die einst private Schuld verstaatlicht – seither stiegen in ebenso vielen Ländern, Konjunkturprogrammen sei Dank, die öffentlichen Defizite. Weshalb sich 2010 als Jahr Null einer großen Entschlackungskur, einer Entschuldungswelle in den westlichen Ländern ankündigt, ein Problem, das durch die aktuelle Not Griechenlands in den Vordergrund gerückt wurde.

Die Überlegungen darüber, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, der Wirtschaft die öffentliche Unterstützung zu entziehen – bislang ging man von 2011 aus – ist in verschiedenen Ländern durch die schlechte Haushaltslage fast müßig geworden. Und es sind wieder einmal die Rating-Agenturen, die an der Spitze der Entwicklung stehen. Dadurch, dass sie die Kreditwürdigkeit ganzer Länder her-abstufen, wie im Falle Griechenlands, wird es für die Betroffenen nur schwieriger, Geld zu leihen. Die Rating-Agenturen, zeichneten jahrelang Schrottpapiere mit Bestnoten aus. Dass sie jetzt, da die Schuldner bekannt, zudem noch souveräne Staaten sind, davor warnen, deren Schuldpapiere zu kaufen, mutet etwas absurd an. Dabei ist Griechenland bei weitem nicht das einzige Euroland, das Schwierigkeiten hat. In den Sprachgebrauch der Analysten schleicht sich ein Akronym ein: die PIIGS-Länder. Mit diesem schweinisch klingenden Kürzel, meinen sie Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien. Auch Großbritannien steht unter Druck. Bill Gross, Mitbegründer der auf Anleihen spe-zialisierten Fondsfirma Pimco, warnte, falls die Regierung den Haushalt nicht in Ordnung bringe, gäbe es eine 80-prozentige Chance für eine Rückstufung der britischen Gilts.

Die aktuelle Situation stellt, das meint auch Guy Wagner, Chefvolkswirt der Banque de Luxembourg, die erste große Zerreißprobe für den Euro dar.Niemand anders als Dr. Doom, Nuriel Roubini, Universitätsprofessor in New York, der die Finanzkrise voraussagte, meinte gegenüber Bloomberg, die Eurozone entwickele sich zu einem Gebiet mit einem Zentrum aus starken Ländern und schwachen Ländern in der Peripherie. In zwei Jahren könnte die Währungsunion auseinanderbrechen – die schwächeren Länder könn­ten aussteigen. Wie weit die Euroländer auseinanderdriften, lässt sich auch am Aufschlag (spread) herauslesen, den andere Euroländer im Vergleich zu Deutschland zahlen müssen, wenn sie an den Kapitalmärkten Gelder sammeln. Griechenland soll für seine neueste Anleihe 6,12 Prozent Zinsen zahlen, 3,8 Prozentpunkte mehr als es auf einer vergleichbaren Bundesanleihe gibt. Mehr als doppelt soviel. Dass die besagte Anleihe auch nach der Herabstufung von Griechenlands Kreditwürdigkeit im Dezember noch überzeichnet war, gibt den beiden Mr. Euro Recht, Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Eurogruppe und Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie meinen übereinstimmend, die Vorstellung, die Gemeinschaftswährung könne auseinanderbrechen, sei ebenso „absurd“ wie die eines griechischen Staatsbankrottes. Denn es zeigt sich: Die Finanzmärkte boykottieren keine Länder, sie lassen sich lediglich eine teure Risikoprämie zahlen.

„Es gibt nur eine ‚Lösung‘. Die Griechen müssen eine erhebliche Senkung ihres Lebensstandards akzeptieren“, sagt Guy Wagner. Doch auch anderen Europäern wird nicht viel anderes übrig bleiben, als den Gürtel enger zu schnallen, wenn Haushaltsdefizite reduziert und Schuldenlasten abgetragen werden sollen. Das McKinsey Global Institute veröffentlichte kürzlich eine tiefgehende Studie über die Verschuldung der westlichen Industriestaaten und untersuchte 45 vergangene Entschuldungsprozesse. Die McKinsey-Experten kommen zum Schluss, dass es im Schnitt sechs bis sieben Jahre dauert, um die Schuldenlast um 25 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) zu reduzieren. In einer ersten Phase habe das negative Folgen für die Wirtschaftsentwicklung, dann aber wachse das BIP wieder. Die Forscher nennen vier archetypische Entschuldungsprozesse:

- Den Gürtel enger schnallen- Hohe Inflation- Einen massiven Zahlungsausfall auf den Staatsanleihen- Hohes Wachstum

Die Möglichkeiten der Euroländer sind begrenzt. Hohe Inflation ist für sie keine Möglichkeit. In der Eurozone hat die EZB die Kontrolle über die Druckmaschine, und es ist ihre Aufgabe, die Inflation in der Eurozone niedrig zu halten. Auch Option vier scheint, angesichts des allgemeinen Konsenses, dass der europäische Wirtschaftsraum Schwierigkeiten haben wird, nach der Krise zu vergangenen Wachstumsraten zurückzufinden, als Lösung unwahrscheinlich. Doch laut McKinsey Bericht sind es nicht allein die Staaten, die Schulden abbauen müssen. Auch Privathaushalte in den untersuchten EU-Ländern Spanien und Großbritannien müssten demnach ihre Finanzen bereinigen.

Luxemburg kann im Vergleich zu den PIIGS noch als Musterschüler gelten. Eine öffentliche Verschuldung von offiziell rund 20 Prozent im Verhältnis zum BIP 20101 ist bescheiden, gegenüber voraussichtlich 120 Prozent 2011 in Griechenland oder 85 Prozent in Portugal 2010. Doch dass sich Luxemburg an reinen Konjunkturmaßnahmen verhoben hätte, kann nur bedingt gelten. Zwar stieg die Verschuldung von 2007 auf 2008 (von rund sieben auf 15 Prozent2) vor allem wegen der Zwei-Milliarden-Anleihe für die Rettung der BGL, und für diese Milliarden gibt es einen Gegenwert, nämlich die Bank. Doch als kaufkraftstärkende Konjunkturmaßnahmen verkaufte Wahlgeschenke, wie die Steuersenkun­gen und Steuerkredite, werden nicht abgeschafft, sobald die Wirtschaft wieder wächst anstatt zu schrumpfen. Zu behaupten, die Luxemburger Verschuldung sei rein konjunkturell bedingt, hieße außerdem, das seit Jahren steigende Defizit der zentralen Verwaltung auszublenden, das in den Defizit-Meldungen nach Brüssel auch schon in den vergangenen Jahren nur durch die Überschüsse aus den Gemeinden und der Sozialsversicherung wett gemacht wurde.

Zudem gehen die Verwaltungschefs in ihrer der Regierungserklärung beigelegten Note d’experts selbst davon aus, dass die Verschuldung bis 2014 – also ziemlich bald – auf elf beziehungsweise 12,2 Milliarden ansteigt. Der Staat müsse 2011 1,7 Milliarden Euro neue Schulden machen, 2012, wie auch 2013, jeweils 2,4 Milliarden und 2014 zwei Milliarden Euro. Nach diesem Szenario betrage allein die Zinslast 2013 rund 340 Millionen Euro – wenn diese Anleihen nicht mit über vier Prozent verzinst werden müssten. Das würde nicht nur heißen, dass man den Gläubigern beispielsweise die gesamten Mehrwertsteuereinnahmen aus der Boombranche Internethandel in den Rachen werfen müsste. Sondern auch, dass die Verschuldung der öffentlichen Hand insgesamt bis 2014 auf rund 40 Prozent ansteigen werde. Dabei bemängelte der Rechnungshof schon in seinem Gutachten zur Haushaltsvorlage 2010 die unzureichende Versorgung des Fonds de la dette publique für 2009 und mahnte eine zusätzliche Speisung des Fonds in den kommenden Jahren an. 3

Würde der Staat in dem Rhythmus neue Schulden machen, wie von der Expertengruppe in Aussicht gestellt, so müssten, laut Rechnungshof, ab 2016 nicht nur die Zinsen getilgt, sondern mit der Rückzahlung von 9,73 Milliarden Euro begonnen werden. Daher würden, so der Rechnungshof weiter, die Ausgaben des Fonds de la dette publique 2018 700 Millionen Euro betragen, jeweils zwei Milliarden Euro von 2020 bis 2023 und 2027 auf 132 Millionen Euro absinken.

Somit würde die Periode, in der die großen Beträge zurückgezahlt werden müssten, genau mit dem Zeitpunkt übereinstimmen, zu dem die Luxemburger Sozialversicherungssysteme gegen die Rentenmauer prallen. Laut Inspection générale de la sécurité sociale, soll es 2020 die große Rentenwelle geben, ab 2025 die ersten Defizite im Régime général de la pension. Und so warnte Luxemburgs eigener Dr. Doom, Zentralbankchef Yves Mersch, der bereits 2019 mit einer Staatsverschuldung von 60 Prozent rechnet, im Editorial des BCL-Bulletin 3/2009: „Une petite économie ouverte exposée à nombre de chocs économiques potentiels ne peut absolument pas se permettre un tel dérapage. Elle ne peut davantage tolérer une convergence, aussi graduelle soit-elle, vers un tel ratio d’endettement.“

Dieser Meinung ist auch die EU-Kommission, die nach Auswertung der zehnten Aktualisierung des Luxemburger Stabilitätsprogramms schlussfolgerte, die öffentlichen Finanzen Luxemburg seien kurzfristig sauberer als die der meisten EU-Länder. Die Zukunftsfähigkeit der Luxemburger Finanzen sei aber mittelfristig vor allem im Hinblick auf die demographische Entwicklung in Frage gestellt. Das wird noch deutlicher, wenn man den Schuldenberg einmal mit den Einnahmen anstatt mit dem Bruttoinlandprodukt vergleicht. Dann stehen den 9,890 Milliarden Euro Einnahmen der öffentlichen Hand 2009 5,63 Milliar­den Schulden gegenüber – über 50 Prozent.

Die Anleihe, die der Staat, für die BGL-Rettung aufnahm, wird an der Luxemburger Börse derzeit fünf Prozentpunkte über Pari gehandelt, was auf eine gute Nachfrage hinweist. Allerdings ist davon auszugehen, dass die meisten Anleger – hauptsächlich Kunden mit Luxemburger Konten zeichneten 2008 die Anleihe – den Titel im Portfolio gelassen haben. Weil die Anleihe weit überzeichnet war und die Situation der Luxemburger Staatsfinanzen augenblicklich noch vergleichsweise gut ist, geht Guy Wagner davon aus, dass auch eine weitere Anleihe zum Publikumserfolg würde. Neue Schulden aufzunehmen, dürfte für Luxemburg sehr einfach sein. Dennoch ist fraglich, ob Luxemburg in den kommenden Jahren den Gürtel weiterhin lose um sein Wohlstandsbäuchlein schlingen kann, ohne dass gespart und entschlackt werden muss. Nicht etwa allein, weil 2013 Luxemburgs Bankenrettungsanleihe fällig wird, die eventuell aus dem Verkauf der BGL-Anteile getilgt werden kann. Sondern um die stetig wachsenden Defizite der Zentral­ver­waltung einzuschränken und den drohenden Defiziten der Sozialsysteme vorzubeugen. Denn kaufen die Luxemburger auch weiterhin gerne Luxemburger Anleihen, leihen sie, überspitzt formuliert, irgendwann dem Staat das Geld für die eigenen Löhne und Renten.

Am heutigen Freitag soll der Regierungsrat die elfte Aktualisierung des Stabilitätsprogrammes annehmen. Man darf gespannt sein, ob sich die Lage dann noch so präsentiert, ob man von den gleichen Prämissen ausgeht, wie von den staatlichen Experten vergangenen Juli vorausgesagt.

1 Haushalt 2010
Michèle Sinner
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