LEITARTIKEL

Phase-out

d'Lëtzebuerger Land vom 24.02.2023

Nicht nur die Gewerkschaften waren überrascht, als Premierminister Xavier Bettel (DP) sie am 8. Februar, noch während der Sitzung des Regierungsrats, darüber in Kenntnis setzen ließ, dass er schon im März eine weitere Tripartite-Runde einberufen werde. Als die „Vorladung“ verschickt wurde, war Statec-Direktor Serge Allegrezza gerade dabei, den Minister/innen zu erklären, die Inflationsrate liege 2023 bei 3,4 Prozent und im Herbst werde voraussichtlich eine weitere Indextranche fällig; 2024 könne die Inflation auf 4,8 Prozent steigen, wenn die bei der Tripartite im September 2022 beschlossene Energiepreisbremse für Gas und Strom am 31. Dezember 2023 ausläuft. Ob Xavier Bettel dann noch Premierminister sein wird, hängt vom Ausgang der Wahlen am 8. Oktober ab.

Im letzten Tripartite-Abkommen hatten Regierung und Sozialpartner vereinbart, dass sie sich vor den Wahlen nur ein weiteres Mal treffen, wenn die wirtschaftliche und soziale Lage sich signifikant verschlechtert; oder wenn das Statec feststellt, dass das Phase-out der im September getroffenen Maßnahmen einen „inflationistischen Schock“ verursachen werde. Signifikant verschlechtert hat sich die Lage in Mittel- und Westeuropa in den vergangenen vier Monaten nicht; ob es ein Schock ist, wenn die Inflation von 3,4 auf 4,8 Prozent steigt, ist wohl Ermessenssache. Und ob die Energiepreisbremse 2024 verlängert wird, dürfte eher Entscheidung der nächsten Regierung sein. Sie im März schon zu treffen, wäre angesichts unvorhersehbarer Entwicklungen wahrscheinlich verfrüht.

Allerdings hatten die Verhandlungspartner schon im September damit gerechnet, dass im Herbst diese Jahres eine weitere Indextranche fallen könnte. Und damit die wegen der Beibehaltung des Indexmechanismus enttäuschten Arbeitgeber das Abkommen mitunterzeichnen, hatte die Regierung ihnen zugesichert, der Staat werde den Betrieben diese Tranche „entièrement“ kompensieren. Was dieses entièrement aber genau bedeutet, weiß niemand. Nimmt man das Tripartite-Abkommen genau, würde die staatliche Kompensierung am 31. Dezember wegfallen, weil das Abkommen dann ausläuft. Danach müssten die Betriebe ihren Angestellten die Lohnanpassung von 2,5 Prozent ohne staatliche Kompensierung weiterzahlen. Würde die für Herbst angekündigte Indextranche also am 1. November fällig, hätten die Betriebe lediglich zwei Monate Index gespart. Den Staat dürfte das läppische 160 Millionen Euro kosten, samt Jahresendprämien vielleicht etwas mehr (das Statec hat berechnet, dass eine Tranche jährlich um die 965 Millionen Euro ausmacht).

Für UEL und Fedil käme dieses Szenario jedoch einem Kuhhandel gleich. Es wäre unverständlich, wieso sie im September einem für die Arbeitgeber derart unvorteilhaften Deal zugestimmt haben sollten. Umso mehr es bei einer prognostizierten Inflation von 4,8 Prozent nicht lange dauern dürfte, bis 2024 die nächste Tranche fällt. Will die Regierung den Betrieben aber die Indextranche über den 31. Dezember hinaus kompensieren – also wortwörtlich entièrement –, könnte das für den Staat sehr teuer werden und auch den Haushalt der nächsten Regierung erheblich belasten. Da eine Indextranche nicht plötzlich verschwindet (es sei denn, es käme zu starker Deflation), stellt sich zudem die Frage, wie lange sie eigentlich kompensiert werden soll. Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre? Noch länger?

Vieles deutet darauf hin, dass der Premierminister die Tripartite am 3. März vor allem einberufen hat, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. Am leichtesten wäre es sicherlich, die Indextranche im Herbst ausnahmsweise zu streichen. Dann bräuchten weder die Betriebe, noch die Öffentlichkeit sie entièrement zu zahlen. Damit auch die Gewerkschaften etwas davon haben, könnte die Regierung ihnen als Ausgleich schon für die nächste Tranche im April eine Anpassung der Steuertabelle an die Inflation anbieten, die OGBL, LCGB und CGFP mit Nachdruck fordern. Finanzieller „Sputt“ für eine steuerliche Entlastung sollte in dem Szenario jedenfalls ausreichend vorhanden sein. Würden die Sozialpartner den Deal akzeptieren, könnte die Regierung aus DP, LSAP und Grünen bereits zum zweiten Mal hintereinander bei einer Tripartite eine „Win-Win-Win-Situation“ schaffen. Und damit wohl auch bei den Wähler/innen punkten.

Luc Laboulle
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