Luxemburgs EU-Agrarbeihilfen für benachteiligte Gebiete

Verschwinden die Bauern?

d'Lëtzebuerger Land du 07.04.2005

Wer die EU präsidiert und Ministerratssitzungen leitet, hat die Chance, in laufenden politischen Diskussionen nationale Interessen besonders wirksam zu verteidigen. Für die Luxemburger Präsidentschaft ist der Agrarministerrat ein solcher Schauplatz zur Interessenwahrung, die betreffende politische Diskussion ist die um den Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung mit dem langen Namen Über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes. Jean-Pierre Dichter, Regierungsrat im Agrarministerium und Vorsitzender eines ratsinternen Ausschusses, der zurzeit über den Kommissionsvorschlag berät, nennt diesen sogar "die vielleicht größte Herausforderung für unsere Präsidentschaft".

Kaum sind die Diskussionen um die nach dem früheren EU-Agrarkommissar benannte "Fischler-Reform" der GAP, der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik, abgeschlossen und viele EU-Mitgliedstaaten - darunter Luxemburg - noch mit ihrer Umsetzung beschäftigt, da kündigt die nächste Reform sich an. Franz Fischler hatte die Marktordnung der EU-Landwirtschaft verändert, den so genannten "ersten Pfeiler" der GAP. Waren noch bis Ende letzten Jahres die Direktbeihilfen an die Bauernbetriebe abhängig vom Umfang ihrer Produktion gewesen und wurden so auch Überschüsse an Milch, geschlachteten Rindern oder Getreide honoriert, ist seit Januar damit weitgehend Schluss, werden die Betriebe nun eine Art Pauschale erhalten und sollen nur das produzieren, was die Märkte nachfragen.

Weil damit der Weg geebnet ist für einen Abbau der Direktsubventionen, wie ihn die WTO von der EU verlangt, und längerfristig für einen Rückgang der Preise auf Weltmarktniveau, muss der "zweite Pfeiler" der GAP verhindern, dass im neuen Agrarkapitalismus all das unter die Räder kommt, wofür die Landwirtschaftspolitik der EU ebenfalls stehen will: Umwelt- und Landschaftsschutz, Produktqualität, aber auch der Erhalt agrarischer Tätigkeit generell und möglichst flächendeckend in der EU-25. Immerhin entfallen 90 Prozent des Territoriums der erweiterten EU auf ländliche Räume, lebt dort mehr als die Hälfte der Unionsbevölkerung.

Auf die weitere Ausstattung des "zweiten Pfeilers" zielt der Verordnungsvorschlag der Kommission ab, darum drehen sich die Diskussionen im Agrarministerrat jetzt. Das bestehende Regime war mit der Agenda 2000 festgelegt worden und endet 2006; debattiert wird die Planungsperiode 2007 bis 2013. Zielgerichteter eingesetzt werden sollen die Finanzmittel und nicht mehr aus zwei Fonds, sondern nur noch aus einem kommen. Eine regelrechte EU-Strategie zur Entwicklung der ländlichen Räume soll fomuliert werden, an die sich jeder Mitgliedstaat mit einer nationalen Strategie anschließen soll. Doch da die Agrarausgaben der EU zurzeit rund die Hälfte all ihrer Ausgaben betragen und gegenwärtig auch die Vorausschau für den Finanzhaushalt 2007 bis 2013 der EU insgesamt läuft, ist Subventionsverlust nicht ausgeschlossen. Für Luxemburg hat ihn die Kommission in ihrem Verordnungsvorschlag sogar niedergeschrieben: die ihm noch zuerkannte Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete soll ab 2007 entfallen.

Derzeit sind an die 98 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Großherzogtum als "benachteiligte Gebiete" anerkannt, nur Gemüse- und Obstbauflächen, Baumschulen und Weinberge fallen nicht darunter. Die betreffenden Betriebe erhalten jährlich eine Ausgleichszulage, die die EU zu einem Viertel kofinanziert. Über 94 Millionen Euro sind es insgesamt zwischen 2000 und 2006 - die Ausgleichszulage macht damit rund ein Drittel aller Ausgaben für die ländliche Entwicklung hier zu Lande aus. Denn die Benachteiligung der Luxemburger Territorien besteht weniger in Berglagen, wie etwa in Österreich, oder schwierigen klimatischen oder Bodenverhältnissen, sondern im Einkommensunterschied der Landwirte gegenüber anderen Berufsgruppen. Und so flossen im letzten Jahr im Schnitt knapp 10 700 Euro an jeden Bauernbetrieb - und trugen zu rund einem Drittel bei zum durchschnittlichen "Betriebsgewinn pro nicht entlohnter Arbeitskraft". Der beschreibt, weil er die Eigenkapitalverzinsung nicht enthält, in etwa den Bruttoverdienst eines Durchschnitts-Landwirts und liefert zugleich einen Anhaltspunkt für dessen Jahresnettoeinkommen, da ein Landwirt auf sein Einkommen nur geringe Steuern und Sozialabgaben zahlen muss. Bislang akzeptierte die Kommission die von der Regierung geltend gemachten besonderen "sozioökonomischen Umstände im Hochlohnland" und die um ein Mehrfaches über dem EU-Durchschnitt liegende Höhe der in Luxemburg gezahlten Ausgleichszulage. Künftig jedoch sollen sozioökonomische Kriterien nicht mehr gelten als Benachteiligungsgrund, sie sind nach Kommissionsauffassung "zum Teil überholt". Träte die Verordnung tatsächlich so in Kraft, dürfte auch der Luxemburger Staat, der die Ausgleichszulage gegenwärtig zu drei Viertel trägt, sie nicht etwa als nationale Maßnahme fortführen.

Bis Ende Juni soll der Agrarministerrat den Verordnungsentwurf begutachten und abstimmen, und womöglich gelingt es dem derzeitigen Ratsvorsitzenden Fernand Boden ja, bis kurz vor Schluss der Präsidentschaft die Luxemburger Interessen zu verteidigen. Denn fiele ab 2007 das durchschnittliche Jahresgehalt hiesiger Landwirte um ein Drittel, wäre massives Höfesterben programmiert. Die "Herausforderung Ausgleichszulage" ist allerdings nur ein, wenngleich ein wesentlicher Aspekt der Abhängigkeit der Luxemburger Agrarwirtschaft von Geldern aus dem EU- oder dem Staatshaushalt: im Jahr 2003 setzten sich die Gewinne der Bauernbetriebe zu 99 Prozent aus Beihilfen zusammen.

Das ist Besorgnis erregend. Zum einen, weil die Finanzierung von Beihilfen konjunkturellen und budgetpolitischen Einflüssen unterliegt. Das zeigt sich derzeit in den Debatten über die finanzielle Vorausschau der EU-Finanzen für den Zeitraum 2007 bis 2013, wenn dabei Reich gegen Arm, Groß gegen Klein und Ost gegen West kämpfen. 96 Milliarden Euro hatte die EU-Kommission für die Entwicklung der ländlichen Räume der EU-25 ab 2007 zunächst eingeplant. Doch das war, ehe die größten Nettozahler Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich, und Großbritannien vorerst für den EU-Haushalt 2005 durchsetzten, dass er nur ein Prozenzt des aufsummierten EU-Inlandsprodukts betragen durfte. Sollte dieser Plafond weiterhin gelten, warnte die neue Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel im Januar, wäre das ein "schwerer Schlag" für die ländlichen Räume. Hatte doch im Dezember neben Deutschland, Schweden und Großbritannien sogar das traditionell agrarfreundliche Frankreich dafür plädiert, die Ausstattung der ländlichen EU-Entwicklungspolitik zu kürzen. Die Kommission schloss sich dem unlängst an und korrigierte ihre Planung von 96 auf 88,8 Milliarden Euro herunter. Immerhin wollen bei zunehmendem Geiz der größten Nettozahler auch der europäische Regionalfonds oder die Forschungsausgaben der EU finanziert sein, allein für Letztere ist ein Wachstum um 194 Prozent vorgesehen - Stichwort "Lissabon-Prozess".

Zum anderen verdeutlicht die große Abhängigkeit der heimischen Landwirtschaft von Beihilfen, dass die Erlöse aus den Produktpreisen im Schnitt allenfalls kostendeckend sind. Doch da die Agrarpolitik der bislang einzige Politikbereich ist, dessen Ausgestaltungshoheit die EU-Staaten an Rat und Kommission abgetreten haben, hat eine Luxemburger Regierung nur begrenzten Einfluss auf die Preisfestsetzung am EU-Agrarbinnenmarkt. Was tun?

Mit Qualitätsprodukten sollten sich höhere Preise auf dem heimischen Markt erzielen lassen, und Betriebskosten könnten gesenkt werden, heißt es schon seit Jahren. Das geltende Agrargesetz und der Plan de développement rural, die die Politik des "zweiten Pfeilers" auf nationaler Ebene ausführen, sollen diese Maßnahmen begleiten, indem etwa die Diversifizierung der Produktion oder die Beratung der Betriebe bezuschusst werden. Dennoch kommt Fernand Boden seit Jahren ebenfalls nicht umhin festzustellen, dass wohl auch bei Außerachtlassung der Rückschläge durch BSE oder Schweinepest etwa in der Tierhaltung noch "manches drin" sei - trotz einer üppigen Ausstattung des "zweiten Pfeilers" hier zu Lande: schon bevor die Fischler-Reform die Produktionsbeihilfen von der Produktion entkoppeln ließ, war die Hälfte der nationalen Beihilfen nicht produktionsgebunden gewesen. In Frankreich waren es zum Vergleich nur zwei Prozent.

Der Fräie Lëtzebuerger Bauereverband (FLB) und die Organisation Jongbaueren a Jongwënzer sind die ersten beiden Berufsverbände, die mit einer gemeinsam aufgestellten Agenda 2025 die nötige Zukunftsdebatte voran bringen wollen. Unter den gegebenen Umständen kommen sie zu einer düsteren Prognose: Innerhalb einer Generation könnten von rund 2 000 Bauernbetrieben nur 700 übrig bleiben. Denn Milchproduktion dürfte die dominierende Aktivität bleiben, doch wenn die derzeit quotierte Milchreferenzmenge bestehen und die Quotenpreise hoch bleiben, würde angesichts des immer ungleicher verteilten Eigenkapitals der Milchbetriebe ihre Zahl von rund 1 000 derzeit auf bis zu 300 fallen; wenngleich mit einem enorm erhöhten Milch-Output pro Betrieb und einer Ausstattung an Fläche, die von im Schnitt 60 auf bis zu 200 Hektar wüchse.

Bedrohlich an diesem Szenario, das auch die Bauernzentrale für realistisch hält, und das wohlgemerkt voraussetzt, die Ausgleichszulage bliebe erhalten, ist nicht zuletzt, dass dem Sektor insgesamt der Nachwuchs ausgehen könnte. Seit 2001 haben, bilanzieren FLB und JB/JW, pro Jahr nur durchschnittlich 20 Junglandwirte Betriebe übernommen, und ähnlich niedrig sei die Absolvententendenz der Ackerbauschule. Doch nicht nur liege das Durchschnittsalter der Betriebsleiter derzeit bei 50 - auch die gewünschte und nötige Diversifizierung der Produktion erfordere ein Mehr an Personal, dass es kaum gebe. Das wird im Landwirtschaftsministerium ähnlich gesehen: Der Personalfrage wegen käme als zusätzliches ökonomisches Standbein der Betriebe hauptsächlich die Nutzung erneuerbarer Energien, sprich: Biomasseverbrennung zum Heizen, in Frage.

Zum Gegensteuern innerhalb der noch verbleibenden Generation appellieren FLB und JB/JW an die Politik, aber auch an die Bauernschaft: Letztere könne schwer überleben, denke sie nicht "radikal um", schlösse sich zu Vermarktungsverbünden zusammen und peile konsequent die Großregion als Absatzmarkt an. Beihilfen sollten vor allem an Junglandwirte gezielter gezahlt, die jungen Bauern auch nach Verlassen der Schule fachlich begleitet werden. Überhaupt seien Beratung und Weiterbildung unbedingt auszubauen. Nicht nur finde, wer an Diversifizierung interessiert ist, zu wenig fachlich kompetente An¬spechpartner. Der Umstand, dass auf den Betrieben stark steigende Fixkosten und Abschreibungen lasten, habe nicht nur zu tun mit Preiszuwächsen für Dünger, Futtermittel oder Treibstoffe, sondern ebenfalls mit teils übertrieben hohen Investitionen, die allerdings durch Investitionsbeihilfen aus dem "zweiten Pfeiler Luxemburgs"  stimuliert würden.

Die Debatte ist damit eröffnet, und tritt die neue EU-Verordnung über die Politik des "zweiten Pfeilers" in Kraft, müssen ein neues Agrargesetz und ein neuer Plan de développement rural folgen. Der zurzeit geltende Plan hat eines seiner Ziele zumindest bisher nicht erreicht: die Betriebsschließungsrate sollte auf 1,9 Prozent jährlich gesenkt werden. Noch beträgt sie ungebrochen mehr als das Doppelte.

Peter Feist
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