Hat die Justiz aus der Datenschutzaffäre gelernt? Um das zu bewerten, müsste sie ihren Reformvorschlag zur Jucha-Datenbank vorlegen

 

„De Parquet ass net de Poopst“

d'Lëtzebuerger Land vom 18.06.2021

Der Tonfall ist triumphal, Gaston Vogel hat guten Grund dazu: In seiner jüngsten Blog-Kolumne mokiert sich der Rechtsanwalt über das justizielle „Absurdistan“ – und kommt zurück auf einen Fall, den er selbst ins Rollen gebracht hatte. Ein junger Mann, der sich auf eine Stelle beim Gericht beworben hatte, sah sich im Gespräch mit dem potenziellen Arbeitgeber plötzlich mit Vorwürfen aus einer Polizeiakte konfrontiert, die weit zurücklagen. Irritiert über die als Verletzung seiner Privatsphäre empfundene Einsicht nahm sich der Mann einen Anwalt und klagte auf Verletzung von Persönlichkeitsrechtne. Der als „Casier bis“ bekannt gewordene Datenschutzskandal bei der Justiz kam ins Rollen.

Die Datenschutzbehörde CNPD gab dem Mann jetzt recht. Oder richtiger: Sie hat die Justizbehörde nachträglich streng zur Ordnung gerufen und ihr verboten, solche Daten in Einstellungsverfahren künftig nicht mehr zu benutzen – solange nicht eine gesetzliche Basis dafür existiert. „Überflüssige und unhaltbare pauschale Beschuldigungen gegenüber Polizei und Justiz sind für uns nicht hinnehmbar“, hatten der damalige Justizminister Félix Braz und der Minister für innere Sicherheit François Bausch (beide Grüne) Ende Juni Justiz und Polizei noch gegen Negativschlagzeilen verteidigt. Nun kommt die letzte offizielle Bestätigung, wie erbärmlich die Datenschutzkultur von Gericht und Staatsanwaltschaft war. „Ein Rappel à l’ordre ist eine schallende Ohrfeige für die Justiz“, sagt Laurent Mosar, rechtspolitischer Sprecher und Abgeordneter der CSV.

Bereits ein Gutachten vom Sommer 2020 der Autorité de contrôle judiciaire hatte schwere Mängel im Zusammenhang mit der Jucha-Datenbank festgestellt. Sie vereint neben Informationen zu Ermittlungen und Gerichtsprozessen, Jugendschutz und Vormundschaften außerdem Protokolle der Polizei. Beanstandet hatte das Kontrollgremium beispielsweise das Fehlen von Fristen für die Löschung sensibler Daten. Dazu zählen persönliche Informationen, die die Justiz für die Prüfung der Ehrbarkeit (honorabilité) genutzt haben – ohne das die Beteiligten über diese Daten Kenntnis hatten.
Seitdem habe die Justiz, betonte der beigeordnete Generalstaatsanwaltschaft Jeannot Nies gegenüber RTL am Dienstag, viele Veränderungen beim Datenschutz unternommen. Für Einstellungsverfahren greife die Justiz derzeit nicht auf Daten aus der Jucha zu. Was nicht unproblematisch ist: Bei den Einsatzfeldern in der Verwaltung handelt es sich teils um sicherheitsrelevante Bereiche, wo der Umgang mit sensiblen Daten an der Tagesordnung ist.

Das Verbot der CNPD indes macht deutlich: Die hohen Richter und Staatsanwälte, die sich Zugang zu den Daten verschafft und diese für das Einstellungsgespräch genutzt hatten, waren im Fehler und ihr Handeln durch kein Gesetz gedeckt. „Das war kein Kavaliersdelikt“, so der CSV-Politiker Mosar, der fragt: „Was wirft das für ein Bild auf die Justiz, wenn jene, die eigentlich Verstöße gegen das Gesetz ahnden sollen, selbst nicht rechtmäßig handeln?“

Inzwischen hat Justizministerin Sam Tanson (Grüne) neue Regeln vorgelegt, wie öffentliche Verwaltungen die Ehrbarkeit von Personen prüfen können – ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen. Dabei geht es nicht nur um Überprüfungen von Personen, die sich auf Posten in der Justizverwaltung oder bei der Magistratur bewerben, sondern auch von solchen, die etwa einen Waffenschein beantragen.
Die CNPD hat die Reform der Ehrbarkeitsprüfungen in einem fast 30-seitigen Gutachten unter die Lupe genommen. Beunruhigendes Fazit: Einigen zentralen Datenschutzprinzipien wird mit der Reform offenbar weiterhin nicht genügend Rechnung getragen. Wohl werde mit dem Entwurf eine Rechtsbasis für Ehrbarkeitsprüfungen auf der Grundlage von Datenbanken der Finanzbehörden, des Geheimdienstes und von Polizei und Justiz geschaffen, so die CNPD – aber was heißt das genau?

Was Ehrbarkeit meint, wird nicht präzisiert, eine gemeinsame Definition der diversen Ehrbarkeitsbegriffe je nach Einsatzbereich (bei Notaren oder Justizangestellten, Wärtern oder Diplomat/innen für den Auswärtigen Dienst), gibt es nicht. Der Entwurf versucht stattdessen eine Klassifizierung je nach Intensität, also wie weit für eine Überprüfung in die Privatsphäre eines/einer Einzelnen eingegriffen wird. Reicht das polizeiliche Führungszeugnis, ist ein Auszug des Vorstrafenregisters oder ein Einblick in noch laufende Strafverfahren vonnöten? Grundsätzlich sollte immer auf die am wenigsten intrusive Methode zurückgegriffen werden, betonen die Datenschützer, dies aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und der Datenminimisierung. Leider seien die Prozeduren nicht vereinheitlicht worden, bedauert die CNPD weiter.

So sei unklar, wer den Lead bei den Ehrbarkeitsprüfungen haben wird. Und wo persönliche Informationen gespeichert werden. Ein Grundprinzip beim Datenschutz lautet: Jede Datenbank darf nur für einen präzise bestimmten Zweck angelegt werden und dann nicht für andere Zwecke benutzt werden. Werden die Justizbehörden demnach eine eigene Datenbank aufbauen, in dem jene Informationen gesammelt werden, die für eine Ehrbarkeitsprüfung unerlässlich sind – und wie lange werden diese gespeichert? Welche Daten genau dürfen die Behörden einsehen? Das ist laut CNPD nicht ausreichend präzise festgelegt.

Klären könnte dies die Reform, die die Jucha-Datenbank endlich rechtssicher machen soll. Ein Entwurf dazu liegt zwei Jahre nach der Affäre „Casier bis“ aber noch immer nicht vor. Traditionell macht die Generalstaatsanwaltschaft einen Vorschlag. Auf Land-Nachfrage heißt es von Seiten der Justiz, an einem Entwurf werde gearbeitet. Was das Timing angeht: „Es wird sich die Zeit genommen, die nötig ist.“ Die CSV verlangt Erklärungen von Ministerin Tanson und hat sie vor den Justizausschuss gerufen. „Wir halten den Druck aufrecht“, betont der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar. „Die Staatsanwaltschaft ist nicht der Papst. Sie muss sich erklären.“

Für die Reform der Ehrbarkeitsprüfung hätte sich der Gesetzgeber an Frankreich orientieren können: Ehrbarkeitsprüfungen für hoheitliche Aufgaben sind dort in einem Rahmengesetz geregelt, und eine Behörde verantwortet und organisiert derartige Prüfvorgänge unter Berücksichtigung der Datenschutzregelungen. In Luxemburg ist das Justizministerium dieser Logik nicht gefolgt – entsprechend unübersichtlich und kompliziert wirkt die Reform. Die Gelegenheit, das neu zu strukturieren, und dadurch für die Bürger/innen verständlicher zu organisieren, wurde nicht ergriffen, bedauert die CNPD.
Damit berühren die Datenschützer etwas, das allen Skandalen zum Trotz nicht angekommen zu sein scheint: Der Datenschutz ist für die Bürger/innen da. Leitgedanke ist, den Einzelnen vor ungerechtfertigten Eingriffen in seine Persönlichkeitsrechte durch den Staat und ihn vertretende Organe zu schützen, schrieb Strafrechtsprofessor Stefan Braum von der Uni Luxemburg in einem Artikel im Forum-Magazin: „Polizeiliche und justizielle Verfahrensregister sind angesichts der Wucht öffentlicher Sicherheitsinteressen daher nur dann legitimiert, wenn sie zugleich auch das auf die Problemlagen der Digitalisierung zugeschnittene EU-Grundrecht auf Datenschutz wirksam legitimieren.“ Auf sechs Prinzipien baut die EU-Datenschutz-Grundverordnung auf: Zweckbindung, Verhältnismäßigkeit, Transparenz, Datensparsamkeit, Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung. Dafür müssen Definitionen und Prozeduren klar sein. Also stets nachvollziehbar geregelt sein, wer was über wen wie lange sammelt und speichert und wer auf diese Daten Zugriff hat. Und welche Widerspruchsrechte der/die Einzelne dagegen hat.

Nicht einmal der Datenschutzbehörde gelingt es, ihr Anliegen transparent zu vermitteln: Ihre Gutachten sind technisch, eine für Laien und Laiinnen lesbare und verständlich formulierte Zusammenfassung fehlt meistens. „Dass die Entscheidung schon Anfang März getroffen wurde, aber jetzt erst bekannt wird, wirft auch Fragen auf“, findet Laurent Mosar. Auf dem Site der CNPD steht sie erst seit Anfang dieser Woche. Zeitgleich mit der Kolumne „Absurdistan“ von Rechtsanwalt Gaston Vogel. Für den betroffenen Kläger eine späte Genugtuung.

Ines Kurschat
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