Spitalplanung

Wagner vs. Bismarck

d'Lëtzebuerger Land du 08.01.2004

Kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode verabschiedete die damalige CSV-LSAP-Mehrheit schnell noch das Finanzierungsgesetz zum Spitalwesen. Es legte die finanzielle Beteiligung des Staates an 15 Infrastrukturprojekten mit einem Gesamtumfang von 20 Milliarden Franken fest. Die DP-Fraktion stimmte gegen den Gesetzentwurf. Zum einen aus Spaß, wegen des darin festgeschriebenen Deals zwischen LSAP und CSV, das neue Rehazentrum im "roten" Düdelingen bauen zu lassen und die drei kleinen hauptstädtischen Kongregationskliniken Sacré-Coeur, St Fran-çois und Ste Élisabeth in einem einzigen, großen Hôpital Kirchberg zusammenzufassen. Zum anderen aber kritisierte sie, dass von den 15 Modernisierungs- und Neubauprojekten zum damaligen Zeitpunkt erst acht im Detail klar waren und von den zuständigen Gremien hatten begutachtet werden können. Worin sie - wie der Staatsrat, der Wirtschafts- und Sozialrat, die Commission permanente pour le secteur hospitalier und die Krankenkassenunion UCM - die Gefahr einer Kostenexplosion lauern sah.

 

Zwei Monate später war die DP Koalitionspartnerin, hatte sich mit der CSV auf ein Moratorium der Krankenhausfinanzierung geeinigt, und der liberale Gesundheitsminister Carlo Wagner ließ einen neuen Plan hospitalier ausarbeiten, der 2001 in Kraft trat. Verhindern konnte die DP damit das Düdelinger Rehazenter, nicht aber die Kostenexplosion: statt 20 wurden seit 1999 bis heute 34,4 Milliarden Franken öffentlicher Gelder in Klinikinfrastrukturen investiert. Im Grunde sämtliche Projekte wurden oder werden teurer als anfangs gedacht. Darunter das Rehazenter auf dem Kirchberg, das mit 86 Millionen Euro fast zwei Drittel mehr kosten wird als für die Düdelinger Version veranschlagt. Darunter das hauptstädtische CHL, für das 1999 nur ein "montant forfaitaire" von 300 Millionen Franken im Gesetz stand; nun kostet die Modernisierung der Kinderklinik den Staat 34,1 Millionen Euro, die der Maternité 4,1 Millionen.

 

Die Liste ließe sich fortsetzen. An allen Standorten wurde oder wird entweder neu oder umgebaut. Und es kann passieren, dass noch nach Fertigstellung eines Neubaus der Gesundheitsminister beim Parlament per Gesetzentwurf um die nachträgliche Bewilligung einer höheren Staatsbeteiligung bitten muss: so geschehen im Sommer letzten Jahres, als sich herausstellte, dass das genehmigte Budget für den Bau des Kirchberger Kongregationsspitals um elf Prozent überschritten wurde und das für den Neubau des Hôpital St Louis in Ettelbrück um 15 Prozent.

 

Es ist nicht nur planerischer Laxismus der letzten Regierung, der heute zu Buche schlägt. Dass auch Carlo Wagner bei der Infrastrukturfinanzierung generös waltet, scheint sich in den Klinikdirektionen herumgesprochen zu haben. So korrigierte das Niederkorner Hôpital Princesse Marie-Astrid das Finanzierungsvolumen für einen Umbauplan von anfangs elf auf 82 Millionen Euro nach oben. Mögen die Budgetüberschreitungen auf dem Kirchberg oder in Ettelbrück auch plausibel sein, sie hätten einen Präzedenzfall geschaffen, klagt man im Gesundheitsministerium jetzt, und will in Zukunft jeden Finanzierungsantrag einer "simulation budgetaire" unterziehen. Wofür die Initiative allerdings nicht vom Minister selbst kam.

 

Das verwundert um so mehr, als Carlo Wagner gleichzeitig auch Sozialminister ist und nach dem wirtschaftlichen Abschwung, der zunehmenden Arbeitslosigkeit und dem verlangsamten Arbeitsplatzzuwachs ab 2002 schon für dieses Jahr ein Krankenkassendefizit drohte und nicht erst nach den Wahlen, wie anfangs gedacht. Als Mitte November die Tripartite über das Defizit beriet und entschied, 130 Millionen Euro aus den noch vollen Rentenkassen abzuzweigen, wurde nur über die wachsenden Ausgaben beim Krankengeld gesprochen. Der Sozialminister hoffte öffentlich, "Strukturänderungen" - wie schärfere Kontrollen von Krankschreibungen, die Entwicklung von Behandlungsprofilen für Ärzte, ein erneut geändertes Regime für die Zuerkennung der Invalidität und eine eventuelle Angleichung von Angestellten- und Arbeiterstatut - könnten den Kassen künftig sogar Überschüsse einbringen.

 

Fest steht jedoch schon jetzt ein Kostenpunkt in der Krankenkassenbilanz, der immer umfangreicher werden wird: die Krankenhausausgaben, die zurzeit 49 Prozent aller Ausgaben der UCM ausmachen, und in denen die Behandlungsleistungen der an den Kliniken tätigen Belegärzte noch nicht enthalten sind. Im letzten Jahr stiegen sie im Vergleich zum Vorjahr um 9,3 Prozent, und für dieses Jahr wird mit einem ähnlichen Zuwachs gerechnet. Derweil wurden laut der Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS) 2003 nur um 1,7 Prozent neue Arbeitsplätze für zusätzliche Beitragszahler geschaffen - das allerdynamischste Moment, wenn es um die Erlangung höherer Einnahmen geht.

 

Es sind jedoch nicht nur alle Infrastrukturprojekte, die unmittelbar auf das UCM-Budget drücken, weil sie laut einem Gesetz von 1998 über die Organisation der Kliniklandschaft zu 80 Prozent vom Staat und zu 20 Prozent von der UCM finanziert werden. Neu- und Ausbauten ziehen steigende Funktionskosten nach sich, welche die UCM komplett tragen muss. Wachsen diese Kosten von Jahr zu Jahr ohnehin um durchschnittlich sechs bis sieben Prozent pro Klinik, ist der Zuwachs bei nagelneuen Häusern viel größer: um 30 Prozent höhere Funktionskosten dürfte das neue Ettelbrücker Krankenhaus 2004 generieren, hat die UCM unlängst ausgerechnet. Für das Krankenhaus auf dem Kirchberg geht man von einem ähnlichen Wachstum aus.

 

Da fragt es sich, wie schnell bei einer anhaltend schwierigen Beschäftigungslage der auf den ersten Blick großzügig erscheinende 130-Millionen-Transfer an die Krankenkassen aufgezehrt werden könnte. Immerhin beträgt die für dieses Jahr prognostizierte Deckungslücke über 86 Millionen Euro, und die "Strukturreformen" beim Krankengeld werden nicht ohne Gesetzesänderungen zu haben sein, deren Ausgang noch niemand absehen kann. 

 

Nicht nur deshalb bleibt die Feststellung gültig, welche die IGSS in einem im Oktober letzten Jahres den Teilnehmern an der Krankenkassenquadripartite vorgelegten Dokument traf: " (...) il faut donc veiller, dans le domaine de la planification hospitalière, à concentrer davantage les moyens et à prévoir, les cas échéant, la fermeture des services, dont les prestations ne répondent ni à des critères de nécessité par rapport à l'offre des soins, ni à des critères de qualité. La crise actuelle montre avec acuité que les ressources financières ne sont pas infinies."

 

Denn was man auf den ersten Blick womöglich gar als Kahlschlagsforderung interpretieren könnte, ist in Wirklichkeit ein eher vorsichtiger Hinweis aus dem Sozialministerium darauf, dass das Gesundheitsministerium von ihm selbst aufgestellte Regelungen locker handhabt. Obwohl beiden Ressorts derselbe Minister vorsteht. Carlo Wagners Spitalplan vom April 2001 hatte zwischen "Hôpitaux généraux" und "Hopitaux de proximité" unterschieden. Kriterium war die Zahl von mehr bzw. weniger als 175 Akutbetten gewesen. Als "Hôpitaux généraux" wurden in der Hauptstadt das CHL, die neue Kirchberger Klinik und die Zitha-Klinik definiert, im Süden das Escher Stadtkrankenhaus und das Niederkorner HPMA, im Norden das St Louis-Krankenhaus. Als kleine "Hôpitaux de proximité" verblieben die Eicher Klinik, die Escher Clinique Ste Marie sowie die kommunalen Häuser in Düdelingen und Wiltz. Die Festlegung, dass die kleinen Kliniken Spezialdienste nur behalten dürfen, wenn sie mit einem "Hôpital général" kooperieren, erlangte mit dem Spitalplan Gesetzeskraft, wogegen das Krankenhausgesetz von 1998 die Bildung von "Groupements" nur empfiehlt.

 

Ende Oktober 2003 sollten die Klinikdienste durchforstet sein. Erstmals sollte eine großherzogliche Verordnung für fünf Jahre den Kliniken Dienste zuteilen - in Abhängigkeit funktionierender Kooperationen. Bisher hatte ein Krankenhaus einen einmal genehmigten Dienst für immer gehabt. Und so ist die Lage im Wesentlichen auch heute noch: Zwar genehmigte Minister Wagner an neuen Diensten allein palliativmedizinische und geriatrische Betreuung und strich der Wiltzer Klinik ihre Hals-Nasen-Ohren-Behandlungen, weil es noch nicht zu der schon viel diskutierten "Synergie" mit dem Ettelbrücker Hôpital St Louis kam. 

 

Doch abgesehen von der Fusion von CHL und Eicher Klinik und konkreter werdenden Plänen zwischen dem Escher Stadtkrankenhauses und der Düdelinger Klinik, sind alle anderen Kooperationsbestrebungen noch Theorie. "Il faut dire également que les mesures de synergies sensées prévenir l'explosion des coûts ne suivent pas le rythme", hält die IGSS fest.

 

Die Beibehaltung vieler Dienste kann freilich solange im Patienteninteresse sein, wie noch unklar ist, welchen Behandlungsbedarf es innerhalb der drei Planungsregionen Zentrum, Süden und Norden überhaupt gibt. Noch immer ist dem so, wenngleich im Herbst 2001 ein externes Audit Réflexions et propositions pour l'attribution des services médicaux aux hôpitaux empfahl, regionale "Behandlungsketten" zu schaffen und: "les compétences, les équipements et les patients bénéficiaires de ces moyens sont à concentrer géographiquement à l'intérieur de chaque hôpital". Empfehlungen, die bisher folgenlos geblieben sind und von den Kliniken und ihren Betreibern auch als Aufforderung verstanden werden können, möglichst viel von dem behalten zu wollen, was sie immer hatten.

 

Weil ein Umsteuern ganz ähnliche partei-, kommunal- und konfessionspolitische Probleme mit sich brächte, wie sie CSV und LSAP vor fünf Jahren im Reha-Kirchberg-Deal mühsam ausbalancierten, hat Carlo Wagner angesichts der bevorstehenden Wahlen darauf verzichtet. Entgegen allen Ankündigungen im Wahlkampf '99 agiert der liberale Gesundheitsminister damit keineswegs rigoroser als seine sozialistischen Vorgänger. Man könnte sogar das Gegenteil behaupten: Jene besaßen noch eine Vision krankenhausübergreifender Kooperationen und strebten sie vor allem im Süden offensiv an. Zwar benutzt auch Wagner den Begriff "Kooperationen" immer wieder, doch von der Wiltzer Ausnahme abgesehen, war er nicht bereit, die Zusammenarbeit unter den Spitälern zur Bedingung für die Beibehaltung von Diensten zu machen. Was sich davon derzeit punktuell entwickelt, ist in den Auswirkungen auf die Krankenkassenfinanzen noch kaum einzuschätzen.

 

Inzwischen jedoch geht der DP-Gesundheitsminister auch äußerst großzügig mit der Zuteilung schwerer und teurer Technik um: Mit 25 Kernspintomografen (IRM) bzw. Positronenemissionstomografen (PET) pro einer Million Einwohner wird Luxemburg demnächst die höchste "Scanner"-Dichte weltweit besitzen. Das kann die Patienten freuen. Noch nie aber wurde analysiert, wie sich die Warteliste auf Scanner-Untersuchungen entwickelt hat, seitdem der einzige im CHL bestehende Scanner nach und nach durch immer neue Geräte ergänzt wurde. Und das, obwohl die Scanner einen Investitionsaufwand zwischen einer und zwei Millionen Euro erfordern. Nach Inbetriebnahme bringen sie jährliche Unterhaltskosten von an die 100 000 Euro mit sich, und für ihren Rund-um-die-Uhr-Betrieb sind sechs bis acht Vollzeitarbeitskräfte mit einem durchschnittlichen Brutto-Jahresgehalt von je 60 000 Euro nötig - was sich alles auf der Ausgabenseite der Krankenkassen für die Spitäler niederschlägt.

 

Von den Sozialpartnern, insbesondere dem Patronat, wurde diese Praxis zuletzt wiederholt als "konzeptlos" kritisiert. In verschiedenen Kliniken dagegen wird die staatliche Generosität begrüßt - als Vorbereitung der Spitalslandschaft auf das in diesem Jahr startende und ab 2006 voll funktionsfähige "Total Quality Management": Künftig werden alle Kliniken nach einem EU-verbindlichen Kriterienkatalog mit Noten bewertet und auch öffentlich Transparenz über ihre Leistungsfähigkeit hergestellt, damit die Patienten entscheiden können, wem sie sich anvertrauen.

 

Doch falls alle Häuser technisch dem "state of the art" entsprechen, mangels Spezialisierungen innerhalb von Kooperationen manche im Benchmarking jedoch nicht gut abschneiden, könnten großzügige Bauten und Ausstattungen sich rasch als verschwendetes Geld erweisen. Ganz abgesehen davon, dass damit eine Kostendynamik ausgelöst werden kann, die nicht nur das Staatsbudget belastet, sondern auch das Solidarsystem der Krankenversicherung. Womöglich wird schon die nächste Legislaturperiode zeigen, ob Carlo Wagner als ein Wegbereiter für eine liberalisierte Medizin in die Luxemburger Sozialgeschichte eingehen und das "System Bismarck" durch weitere Zusatz- und Privatversicherungen ergänzt werden wird.

 

Peter Feist
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