Europäischer Monat der Fotografie

Dicht an dicht

d'Lëtzebuerger Land du 01.05.2015

Die Fotografie ist diesen Frühling sehr präsent im Geburtsland Edward Steichens. Während im Mudam bereits seit Anfang März die erste der vier Kernausstellungen des Europäischen Monats der Fotografie (EMoP) gezeigt wird (d’Land, 13.03.2015), hielten letzte Woche die weiteren Ausstellungen in kurzer Abfolge im MNHA, im Ratskeller und im Casino Einzug. Gezeigt wird zeitgenössische Fotografie und doch liegt der Fokus auf der Vergangenheit: Unter dem Motto Memory Lab: Photography Challenges History steht in diesen vier Hauptausstellungen, den Memory Labs, und in einer großen Zahl weiterer Ausstellungen der Umgang der Fotografie mit Geschichte im Mittelpunkt.

Teil des Rahmenprogramms vergangene Woche war die Vergabe des Arendt Award, der alle zwei Jahre im Rahmen des Festivals von der Luxemburger Anwaltskanzlei Arendt & Medernach verliehen wird. Der Preis wurde dieses Jahr an die Französin Tatjana Lecomte vergeben, die das materielle Potenzial des Mediums Fotografie in der Bearbeitung auf effektvolle Weise nutzt, um in ihren Werken Orte und Erinnerungen zusammenzuführen. Für die Serie B.B. (Bergen-Belsen) suchte Lecomte die Standorte niedergebrannter Barracken des Konzentrationslagers Bergen-Belsen auf, die heute längst von der Vegetation überwuchert sind. Durch die Bearbeitung der Abzüge mit Stahlwolle entstanden orangefarbene Flammenzungen, die sich über die Landschaft legen und den Betrachter auf die Geschichte dieser Orte aufmerksam machen.

Tags darauf wurde das Festival mit der Vernissage des Memory Lab II: Le passé du présent im MNHA offiziell eröffnet. Der Blick auf vergangene Ereignisse, der die Ausstellung thematisch zusammenhält, gerät konfrontativ: Schon im Eingangsbereich sticht eine Hakenkreuz-Armbinde ins Auge, die rot aus einer fast lebensgroßen Fotografie aus Andreas Mühes Serie Obersalzberg hervorsticht. Die durchaus provozierende Ästhetik der technisch perfekt inszenierten Nazi-Porträts sorgte bereits im Vorfeld für viele Diskussionen, erweist sich in der Auseinandersetzung jedoch als ironisches Spiel mit den Posen der Macht und als Demaskierung des Mythos.

Ähnlich intensiv wirken Erwin Olafs Bilder von Kindern in machtvollen Posen, die ebenfalls von einer dominanten Körpersprache und einer gemäldehaften Inszenierung gekennzeichnet sind. Zusammen etwa mit Gabor Gérhes Aufnahmen eines fiktiven Geheimbundes, dessen Mitglieder in Sadomaso-Uniform posieren; der bizarr-gewaltvoll wirkenden Sex-Dokumentation Phnom Penh des Magnum-Fotografen Antoine d’Agata und den selbstbewussten Gesichtern in Bettina Rheims’ Serie Gender Studies ergibt sich eine konsistente und sehr kräftige Zusammenstellung an Motiven, deren Wirkmächtigkeit durch die großformatige Reproduktion und die dichte Hängung in den verwinkelten und niedrigen Ausstellungsräumen noch verstärkt wird.

Eine doppelte Vernissage fand am Freitag mit den dicht aufeinander folgenden Eröffnungen der beiden Memory Labs im Ratskeller sowie im Casino statt. Beim Memory Lab III: Traces im Ratskeller stehen gegenwärtige Spuren vergangener Ereignisse im Vordergrund. Statt inszenierter Motive finden sich in diesem Lab eher dokumentarische Werke, wie beispielsweise die Waldaufnahmen Henning Rogges und Jonathan Olleys. Dabei sind die Tümpel, die man in Rogges Bildern sieht, nicht natürlichen Ursprungs, sondern Bombenkrater aus dem Zweiten Weltkrieg. Olleys Fotografien zeigen ähnliche Störungen in landschaftlicher Idylle – in seiner Serie The Forbidden Forest kontrastiert das Grün des abgesperrten Waldes um Verdun mit dem Signalrot, das hinterlassene Kampfmittel markiert. In ihrem dokumentarischen Stil und in ihren Inhalten sind sich beide Serien sehr ähnlich und dominieren die Ausstellung so ein wenig.

Einen im Vergleich dazu innovativ-unkonventionellen Weg geht die Österreicherin Tanja Boukal, die sich in All that Glitter and Gold von 2010 mit der Flüchtlingsthematik auseinandersetzt, indem sie die frustrierende Realität der Migranten im vermeintlichen Paradies Europa dokumentiert. Nähert man sich ihren Schwarzweißaufnahmen, erkennt man, dass diese aufwändig aus Wolle gestrickt sind. Form und Inhalt brechen sich im Kontrast aus sanfter Wolle und der gezeigten Kälte, die den Einwanderern entgegenschlägt. Die Verwendung goldener Wollrahmen ist konsequent, auch wenn deren schlaffe Erscheinung der gewünschten Glanzästhetik nur bedingt zuträglich ist.

Auch im Ratskeller ist die Ausstellungsfläche effi-zient genutzt, die Bilder aus Attila Floszmanns Serie Silence after the Revolution etwa reihen sich eng aneinander. Jedoch entsteht durch die großzügigen Passepartouts ein ausreichender Abstand zwischen den klein gedruckten Bildern, die wiederum einen konzentrierten Blick auf die fein gedruckten Motive fordern.

Im Memory Lab IV: Transit schließlich geht es um die Rekontextualisierung von Erinnerung sowohl in fotografischen als auch in filmischen Arbeiten. Sehr spannungsreich ist Vladimir Nikolics Video First Murder geraten, eine Doppelprojektion, in der historische Aufnahmen der Ermordung Alexanders I. von Jugoslawien in Madrid mit heutigen Alltagsszenen des Schauplatzes synchronisiert werden. Das Werk verdeutlicht die Banalität des täglichen Lebens in einem historisch aufgeladenen Umfeld. Ähnlich intensiv gerät Adrian Pacis Video Lives in Transit, das dagegen mit inszenierter Absurdität arbeitet. Pacic, der selber als Flüchtling aus Albanien nach Italien kam, zeigt eine Gruppe Reisewilliger, die sich auf einer Flugzeugtreppe einfinden, um vergebens auf ein Flugzeug zu warten, während um sie herum Passagiermaschinen starten. Es ist eine große Sehnsucht der verhinderten Migranten, die in dem quälend langen Warten eindrucksvoll zum Ausdruck kommt. Nicht zuletzt durch die parallele Umsetzung von Aura Rosenbergs Collage The Angel of History als Video und Druck fügen sich im Memory Lab: Transit bewegte Bilder ohne Bruch in das Fotofestival ein.

Die Memory Labs des Europäischen Monats der Fotografie bieten eine facettenreiche sowie überaus hochwertige Auswahl zeitgenössischer Fotografie. Die thematische Gliederung in die vier Hauptausstellungen erleichtert den Zugang zu der sehr mächtigen Bilderflut des Festivals, die in der Aneinanderreihung von insgesamt 30 Ausstellungen an 20 Orten, wie etwa dem CNA, der Abtei Neumünster oder dem Nationalarchiv, etwas überwältigend erscheint, jedoch eine großartige und für ein kleines Land wie Luxemburg keineswegs selbstverständliche Gelegenheit bietet, einen Einblick in die zeitgenössische Fotografie zu erhalten.

Memory Lab I: Ré-écritures bis 31. Mai im Mudam; Memory Lab II: Passé, présent bis 13. September im MNHA; Memory Lab III: Traces bis 31. Mai im Cercle Cité – Ratskeller; Memory Lab IV: Transit bis 6. September im Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain. Weitere Informationen: www.europeanmonthofphotography.org.
Boris Loder
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