Leitartikel

Das Drogentabu aufbrechen

d'Lëtzebuerger Land du 20.12.2019

Es war schon im Mai abzusehen, als Gesundheitsminister Etienne Schneider (LSAP) und der damalige grüne Justizminister Félix Braz vor die Presse traten, dass der Zeitplan für die Legalisierung von nicht-medizinischem Cannabis zu ehrgeizig war. Inzwischen hat die Spitze im Justizministerium gewechselt und Etiennne Schneider ist auf dem Absprung. Zudem stellen sich die rechtlichen Herausforderungen des europaweit einmaligen Großprojekts, nicht nur den Hanf-Konsum, sondern auch Verkauf und Produktion zu legalisieren, als kniffeliger heraus als gedacht.

Ein weiterer wichtiger Baustein wird zu langsam bearbeitet: Die Regierung sieht die Legalisierung von Cannabis als Weg, um Schwarzmarkt, Drogenkriminalität und Risikokonsum einzudämmen. Damit das funktionieren kann, ist es höchste Zeit, eine landesweite systematische Suchtprävention und Drogenaufklärung auf die Beine zu stellen. Suchthilfeorganisationen stehen in den Startlöchern und haben dafür eine mobile App entwickelt, die eine Drogenberatung niedrigschwellig und anonym von unterwegs erlaubt, neben der herkömmlichen. Aber sie haben nicht genügend Personal, um in allen Schulen und Jugendhäusern die nötige Aufklärung zu leisten. D’Land schrieb vergangene Woche von Drogenproblemen an Schulen. Das ist kein Alarmismus. Es ist ein Fakt, dass immer mehr Jungen und Mädchen Cannabis, Alkohol (oft auch beide zusammen), sowie andere Drogen konsumieren, ohne sich der gesundheitlichen Risiken bewusst zu sein. Manche Sekundarschulen haben deshalb in Kooperation mit Suchthilfeorganisationen wie Impuls oder Jugend- an Drogenhëllef Präventionsprogramme aufgestellt und wissen, wie zu intervenieren, fällt jemand durch problematischen Drogenkonsum auf. Das ist gut.

Aber Freiwilligkeit und Eigenregie reichen hier nicht mehr aus. Für den jugendlichen Reifeprozess ist ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln mit besonderen Gefahren verbunden, denn das Hirn könnte dauerhaft geschädigt werden. Die Schule ist der Ort, wo Suchthelfer junge Menschen am besten erreichen. Erst recht im Kontext der geplanten Legalisierung von Cannabis braucht es einen landesweiten Suchthilfeansatz für Schulen, Jugendhäusern und Sportvereine. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Suchtprävention nicht längst Teil des Lehrplans ist. Vorbeugen heißt früh ansetzen, denn manche Jugendliche kiffen bereits mit elf, zwölf oder 13 Jahren. Wer schon in der Grundschule Selbstbewusstsein aufbaut, wer den eigenen Körper und dessen Grenzen kennt, ist besser gegen Versuchungen aller Art gefeit.

Es ist geradezu fahrlässig, dass Schulen bislang nicht verpflichtet sind, polizeiliche Interventionen wegen Drogen dem Erziehungsministerium oder sonst einer zentrale Stelle zu melden. Wohlgemerkt, es geht nicht darum, Jugendliche zu drangsalieren oder gar zu stigmatisieren. Sondern darum, gesundheitsgefährdende Konsummuster zu kennen und sie mit der gebotenen Wachsamkeit zu kontextualisieren und anzugehen. Fallen an einer Schule mehrere Schüler wegen Ecstasy-Konsum oder durch Überdosierungen auf, könnten dahinter zudem andere Verkaufswege stehen, als der übliche von Schüler zu Schüler. Um solche Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen, braucht es eine Stelle, bei der Informationen anonymisiert zusammenfließen.

Ebenso wichtig ist es, das Drogentabu aufzubrechen. Nicht um etwaige Brennpunkt-Schulen an den Pranger zu stellen oder Namen preiszugeben – abhängige Jugendliche brauchen Hilfe und keinen Schulverweis –, sondern um sachlich über Probleme und Lösungen zu reden. Ohne moralischen Zeigefinger, wie das leider zu oft geschieht. Ein Land, das Alkohol konsumiert, wie kein anderes in der EU, und wo der Staat wichtige Einnahmen mit dem Handel von Suchtstoffen erzielt, stünde es gut zu Gesicht, ehrlich in den Spiegel zu schauen und als gutes Vorbild voranzugehen.

Ines Kurschat
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