Eigentlich verspricht die EU für den Sommer trotz Corona eine Menge Reisefreiheit. Doch die ist trotz digitalem  Zertifikat gar nicht sicher

Abenteuerurlaub

d'Lëtzebuerger Land vom 02.07.2021

Wer will nach Porto? Dienstag dieser Woche, kurz vor zwölf Uhr mittags: Am Parking Bouillon in Hollerich steht ein Fernreisebus zur Abfahrt bereit. Porto ist das Reiseziel, aber niemand von den Wartenden will da hin. Alle werden in Paris aussteigen. Der Busfahrer kann nicht sagen, ob dort Passagiere mit Destination Porto an Bord gehen werden: Sein Dienst ende nach der Ankunft in Paris, dort übernehme ein anderer Fahrer.

Ob das daran liegt, dass Portugal von der deutschen Regierung zum Corona-Paria der EU erklärt wurde? Am Freitag vergangener Woche hatte die deutsche Seuchenschutzbehörde, das Robert-Koch-Institut, Portugal als „Virusvariantengebiet“ eingestuft. Russland auch. Großbritannien hat diesen Status schon länger. Seit Dienstag dieser Woche darf niemand mehr aus Portugal nach Deutschland transportiert werden. Hunderte deutscher Urlauber brachen ihre Portugal-Ferien schnell ab, denn wer ab Dienstag zurückkommt, muss 14 Tage in Quarantäne. Sogar für voll Geimpfte gilt das. Der portugiesische Außenminister protestierte höflich-diplomatisch, weil das ganze Land zum Delta-Variantengebiet erklärt wurde, auch Madeira und die Azoren.

Doch dass der Bus, der in Hollerich steht, nach dem Zwischenstopp in Paris leer Richtung Portugal weiterfahren wird, ist unwahrscheinlich: Über die Internetseite des Busunternehmens war am Dienstagvormittag nur noch ein freier Platz zu haben. Ab Frankreich wird er demnach voll. Und es sei „ganz normal“, dass um diese Zeit kaum jemand aus Luxemburg mit dem Bus nach Portugal reist, erklärt Ceu Abreu, die es wissen muss: Ihr Reisebüro Arosa in Esch/Alzette ist auf den Ticket-Verkauf nach Portugal spezialisiert. „Noch sind die Flüge ziemlich preiswert“, weiß Abreu. Mit Beginn der Sommerferien ändere sich das. „Dann nehmen auch viele den Bus.“

Bei Arosa werden bisher noch keine Auswirkungen der Sorgen um die Delta-Variante des Coronavirus bemerkt, die sich um Portugal gebildet haben, wo am Mittwoch mehr als 2 000 neue Covid-Infektionen gezählt wurden, so viele, wie seit Mitte Februar nicht mehr. Fast 1 400 wurden in der Region um Lissabon registriert. Doch ihre Kundschaft, sagt Abreu, seien in erster Linie Portugies/innen, die in den Sommerferien Verwandte besuchen möchten. Schon letztes Jahr seien viele gereist, wenngleich weniger als sonst, aus Sorge, ihre Familien in Gefahr zu bringen. „Dieses Jahr wollen alle reisen“, ist die Reisebürochefin sich sicher. Sie seien der Einschränkungen müde. „Natürlich muss man aufpassen. Aber das muss man überall, nicht nur in Portugal.“

„Boost“ für die Wirtschaft Damit kündigen sich die Sommerferien, die noch gar nicht richtig begonnen haben, kompliziert an. Dabei soll seit dem gestrigen Donnerstag das Reisen innerhalb der EU und dem Schengen-Raum leichter werden: dank EUDCC, dem European Union Digital Corona Certificate. Wer gegen Covid-19 geimpft ist, von der Krankheit genesen, oder wer einen negativen PCR- oder Schnelltest auf das Virus erhalten hat, bekommt das mit einem QR-Code bescheinigt, der in allen beteiligten Ländern gelesen werden kann. „The EU Digital Covid Certificate, available in paper or digital format, will make it easier for Europeans to travel – whether to see their families and loved ones or to get some well-deserved rest“, versprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nachdem EU-Rat und Parlament sich innerhalb von nur zwei Monaten auf das digitale Hilfsmittel geeinigt hatten. Das sei in „Rekordzeit“ passiert, meldete die Kommission stolz und meinte, damit werde der Wirtschaft und vor allem der Tourismusbranche zu einem enormen „Boost“ verholfen.

Nun aber machen schon Sorgen ums Geschäft sich breit. Der Slogan „Re-open Europe“, der schon im Sommer 2020 geprägt wurde, sei „eine plakative Behauptung“, findet Fernand Heinisch, der Präsident der Ulav, der Union luxembourgeoise des agences de voyages. Es müsse „einheitliche Maßnahmen in Europa“ geben, keine unilateralen Einstufungen ganzer Länder durch andere. Sonst werde für die Branche, die ohnehin zu kämpfen hat, alles noch schwieriger. 2020 sei für die Luxemburger Reisebüros ein katastrophales Jahr mit 80 bis 90 Prozent Umsatzverlust gewesen. Für dieses Jahr rechnen die Ulav-Mitgliedsfirmen mit 50 bis 60 Prozent weniger Umsatz als 2019. Bei der Kundschaft herrsche „durchaus Aufbruchstimmung“. Aber es werde kurzfristig gebucht, viel Last-minute „und nur Reisen innerhalb der EU, Fernreisen gar nicht“. Die Entscheidung Deutschlands zu Portugal wirke sich auch auf die Reisebüros hierzulande aus: „Viele haben ja auch deutsche Kunden.“

Notbremse Dass ein EU-Staat gegenüber einem anderen eine „Notbremse“ ziehen kann, ist in der EU-Verordnung über „Re-open Europe“ und das digitale Zertifikat, die seit dem 1. Juli in Kraft ist, ausdrücklich vorgesehen. Die Verordnung, erläutert das Gesundheitsministerium dem Land, unterscheide zwischen den „Außengrenzen“ und denen innerhalb von EU und Schengen-Raum. Wolle die EU sich gegenüber Drittländern abschotten, müsse es eine Koordination auf Ministerratsebene geben. Innerhalb von EU und Schengen-Raum dagegen kann jeder Staat einseitig etwas beschließen, wenn ihm das aus sanitären Gründen gerechtfertigt scheint. Vorausgesetzt jedoch, das Risiko ist in einem Land, oder vielleicht in ein paar Ländern, besonders hoch und nicht etwa europaweit dasselbe.

In diesem Rechtsrahmen trifft nun alles mögliche aufeinander: Die „Aufbruchstimmung“ der Menschen. Die Hoffnung von Fremdenverkehr, Gastronomie und Luftfahrt auf mehr Umsatz im Sommer. Und die Politik von Regierungen, deren Ziele schnell in Widerspruch zueinander gelangen können: Einerseits will man die Reiselust der Leute und die Hoffnungen der Wirtschaft nicht frustrieren, andererseits ist die Seuche noch nicht vorbei. Neue Reisemöglichkeiten schaffen auch Infektionsgelegenheiten, zumal die Delta-Variante des Coronavirus sich um schneller 40 Prozent überträgt als die Alpha-Variante, die Ende 2020 zuerst in Großbritannien entdeckt worden war. Als die britische Regierung Portugal Anfang Mai als „grün“ einstufte, reisten britische Tourist/innen in Scharen in eines ihrer beliebtesten Urlaubsländer. Damit war Anfang Juni abrupt Schluss, nachdem Ende Mai tausende britische Fußballfans zum Finale der Champions League nach Porto geflogen waren – anscheinend führte das zum Import-Export von „Delta“ zwischen Portugal und Großbritannien. Anfang Juni entschied die britische Regierung ähnlich wie die deutsche das vor einer Woche tat: Portugal-Rückkehrer müssten in Quarantäne. Tausende britische Tourist/innen traten schnell die Heimreise an. Die britische Reiseveranstalter-Branche war entsetzt.

Dieser Tage ist noch mehr als von Portugal von Mallorca die Rede: Dass auf der Balearen-Insel Schulabschluss-Partys gefeiert werden, die zu Ansteckungen führen, ist nicht neu. Gestern bestätigte das Gesundheitsministerium gegenüber RTL, dass auch elf Schüler/innen aus der Europaschule sich auf Mallorca angesteckt hatten. Besonders von sich reden aber macht die Zwangsquarantäne Jugendlicher in Hotels auf Mallorca, die von der spanischen Regierung angeordnet wurde. Auch ein negativer PCR-Test bewahrt davor nicht. Die Urlaubssaison 2021 kündigt sich unerfreulich an, trotz „Re-open Europe“.

Impfrückstände Hintergrund sind dabei die noch nicht überall weit reichenden Impfungen. Deutschland will mit dem Einreisestopp aus den „Variantengebieten“ Zeit zum Impfen gewinnen. Mitte dieser Woche waren 54,5 Prozent der deutschen Erwachsenen mindestens einmal geimpft, 36,5 Prozent vollständig. Das ist zwar vergleichbar mit den USA, aber kein Spitzenwert. In Luxemburg etwa haben
66 Prozent ihre erste Impfdosis erhalten, 46 Prozent sind voll geimpft. Doch obwohl Luxemburg mit dem Impfen besser vorankommt als größere Länder, wäre ihm sein Eifer beim Genom-Sequenzieren positiver Corona-Tests beinah zum Verhängnis geworden. Als Premier Xavier Bettel (DP) am Samstag vergangener Woche im „Background“ von RTL Radio Lëtzebuerg andeutete, er habe im Ausland die Verbreitung der Delta-Variante hierzulande „erklären“ müssen, kam das nicht von ungefähr: Dass im Zeitraum zwischen dem 30. Mai und dem 6. Juni in den vom Laboratoire national de santé (LNS) sequenzierten Proben die Delta-Variante 31 Prozent ausmachte, hätte um ein Haar zum „Variantengebiet“ gereicht. Das Gesundheitsministerium präzisiert nicht, wer Luxemburg so einstufen wollte, teilt aber mit, „die Nachbarländer sind natürlich interessiert an unserer Situation“. Und dass die Regierung „immer“ erklärt habe, „dass wir viel und schnell sequenzieren und damit ein ganz vollständiges Bild haben“. Das hätten „andere Länder viel weniger“. Manchmal betrage der Zeitunterschied der Daten von Land zu Land zwei Wochen. Gehe es um die sich so rasch verbreitende Delta-Variante, seien zwei Wochen Meldeunterschied „enorm“.

Delta kommt Doch offenbar holt Deutschland auf. Sowohl im Sequenziertempo als auch in der Tendenz, demnächst selber zum „Variantengebiet“ zu werden. Am Mittwoch dieser Woche schrieb das Robert-Koch-Institut in seinem „Täglichen Situationsbericht“, in Kalenderwoche 24 – also vor zwei Wochen – habe die Delta-Variante einen Anteil von landesweit „ca. 37 Prozent“ erreicht. In Luxemburg meldete das Gesundheitsministerium vergangene Woche 35 Prozent für Kalenderwoche 23. Und dass es in der bis dahin „exponentiellen Zunahme“ eine „Unterbrechung“ gegeben habe. Der Epidemiologe Joël Mossong von der Inspection sanitaire erklärt dem Land, die absolute Zahl der Neuinfektionen sei rückläufig gewesen, der Delta-Anteil daran aber etwa konstant geblieben. Der diese Woche fällige Bericht, der sich auf Kalenderwoche 24 bezieht, lag wegen eines „technischen Fehlers“ beim LNS bis gestern Nachmittag noch nicht vor. Joël Mossong ging Anfang der Woche davon aus, dass die Delta-Variante „in zwei bis drei Wochen in ganz Europa“ dominant würde. Die deutsche Presse zitierte diese Woche Epidemiologen, die meinen, „Delta“ sei in Wirklichkeit die in Deutschland bereits vorherrschende Version von Sars-CoV-2.

Ob daraus etwas für Reisen folgen wird, ist schwer zu sagen. Zumal die Regeln, nach denen die EU-Staaten mit dem digitalen Zertifikat Bescheinigungen geben, durchaus verschieden sind. So verschieden, dass sich am Montag Verbände der Luftfahrtbranche in einem Brief an die EU-Regierungschefs darüber beschwerten: Man habe unter den 27 EU-Ländern zehn verschiedene Zertifizierungs-Ansätze gezählt. Das könne „den Neustart bei den Flugreisen unterminieren“. Derweil sind Irland, Malta, Holland, Rumänien, Schweden und Ungarn noch nicht bereits für das EUDCC.

Wann gilt was? Wer ins EU-Ausland verreist, sollte genau überprüfen, was das digitale Zertifikat bescheinigt, welche Anforderungen im Reiseland gelten und wie man ihnen gerecht wird. Zum Beispiel, wenn es um den Impfnachweis geht: Wer einen Impfstoff verabreicht bekommen hat, der aus zwei Dosen besteht, erhält nach den Luxemburger Regeln ab dem Datum der zweiten Injektion den Status „vollständig geimpft“. Nur wenn ein Vakzin mit nur einer Dosis gespritzt wurde, beim Stand der Dinge das von Johnson & Johnson, müssen anschließend noch zwei Wochen vergehen.

So steht das auch im letzten Update des Covid-Gesetzes, das den Covid-Check einführte. Doch alle drei Nachbarländer Luxemburgs sehen das anders. Portugal auch: Wer einen Impfstoff mit aus Dosen erhält, bekommt „vollständig geimpft“ erst 14 Tage nach der letzten Injektion zuerkannt. Frankreich gesteht überdies von Covid Genesenen keine Extrarechte zu. Ergo müssen Luxemburger/innen, die laut dem Covid-Check von hier „genesen“ sind, bei der Einreise nach Frankreich einen negativen Test mit sich führen. Wie der Protestbrief der Luftfahrtverbände suggeriert, lässt sich die Liste mit den Unterschieden vermutlich fortsetzen und auf weitere Länder ausdehnen.

Wie vom Gesundheitsministerium zu erfahren ist, wird derzeit nicht daran gedacht, die Geimpft-Regel zu ändern, wenn kommende Woche die Regierung über die nächste Fortsetzung des Covid-Gesetzes berät. Darauf sollten gerade all jene Acht geben, die eine Portugal-Reise planen: Der Fotograf Guy Wolff, der bis vergangenes Wochenende in Lissabon war, hat dem Land geschildert, welche Aufregung er vergangene Woche vor der Rückreise nach Luxemburg ausstand: „Ich war zweimal geimpft, hatte meine zweite Injektion aber drei Tage vor dem Abflug nach Lissabon erhalten.“ Da Portugal zwei Wochen Karenzzeit verlangt, besorgte Guy Wolff sich einen Test. Dasselbe wollte er vor dem Rückflug nach Luxemburg tun, denn er rechnete damit, vor dem Einchecken in Lissabon nach Impfbescheinigung oder Testresultat gefragt zu werden.

Doch zu seinem nicht geringen Erschrecken, wie er sagt, fand er keine Apotheke, die samstags Schnelltests vornimmt und zertifiziert. Montags bis freitags wäre das kein Problem gewesen, samstags schon. Also ging er mit nur der Impfbescheinigung in der Tasche zum Check-in. „Dort aber wurde ich einfach durchgewunken. Niemand interessierte sich für das Datum auf meinem Impfzettel.“ Wie auch eine Woche vorher bei der Ankunft in Lissabon niemand die Passagiere aus seinem Flieger auf irgendetwas kontrolliert habe. „Vielleicht ging man davon aus, dass sie ja schon vor dem Abflug kontrolliert wurden; sonst wären sie nicht an Bord gelangt. Aber ich hatte gedacht, weil es in Lissabon schon damals viele neue Neuinfektionen mit der Delta-Variante gab, bekämen die Ankommenden auf dem Flughafen vielleicht das Fieber gemessen.“

Hat also zu viel Laxheit zum „Variantengebiet“ beigetragen? Schon möglich. Doch dasselbe könnte man von Luxemburg mit seiner großzügigen Geimpften-Regel behaupten. Oder wenn für Flugreisende, die am Findel aus Großbritannien ankommen, zwar eigentlich ein Test Pflicht ist (den man kostenlos erhält), doch nur „wenige“ sich testen lassen, wie die Luxembourg Times am Montag schrieb und sich vom Gesundheitsministerium sagen ließ, für mehr als Stichproben-Kontrollen fehlten die Ressourcen.

Peter Feist
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