leitartikel

Drohgebärde

d'Lëtzebuerger Land vom 03.10.2025

Was hätte der Ärzteverband AMMD zu gewinnen, wenn er die Konvention mit der CNS kündigt? Möglicherweise gar nichts und sogar einiges zu verlieren. Denn laut Gesetz müssen in den zwei Monaten nach der Kündigung Verhandlungen über eine neue Konvention beginnen. Gibt es sechs Monate nach der Kündigung keine Einigung, wird ein Schlichtungsverfahren eingeleitet. Führt es drei Monate nach der Ernennung des Schlichters zu keinem Resultat, muss der Minister – heute CSV-Sozialministerin Martine Deprez – über ein Règlement grand-ducal eine neue Konvention verordnen. Dann kommt Staatsmedizin. Das kann die AMMD nicht wollen.

Sie irrt sich aber nicht darin, dass die Ärzteschaft in der Gesellschaft nach wie vor eine hoch angesehene und einflussreiche Position innehat. Konflikte mit ihr werden von der Öffentlichkeit schnell als Politikversagen gedeutet. Deshalb kann die AMMD mit einer Kündigung der Konvention winken, wie sie das in den vergangenen 25 Jahren immer wieder mal getan hat. Stets brach in den Medien Panik aus, diesmal auch. Dabei liegt der AMMD viel an der Konvention. Sie garantiert einerseits Tarifautonomie mit der CNS, ein Stück „Luxemburger Modell“ also, andererseits den AMMD-Mitgliedern ihre Verdienstmöglichkeiten. Dächte der Ärzteverband ernsthaft an eine Kündigung, müsste er genau wissen, welche andere Konvention er will und das auch öffentlich sagen. Das hat er nicht getan. Ihm geht es um eine Drohgebärde. Deshalb wird nächsten Mittwoch eine AMMD-Vollversammlung auch nicht entscheiden, ob die Konvention gekündigt wird, wie manche Medien behaupten. Sondern ob der AMMD-Vorstand mandatiert wird, das zu tun, falls er es für angebracht hält.

Doch unter den gegebenen Umständen wirkt schon die Drohgebärde prächtig. Sie richtet sich weniger gegen die CNS, als gegen die Gesundheits- und Sozialministerin von der CSV. Die Umstände sind so, dass die CSV mit Premier Luc Frieden an der Spitze geschwächt ist und Ministerin Martine Deprez fast zwei Jahre nach Amtsantritt der schwarz-blauen Regierung so gut wie nichts vorweisen kann, was die gesundheitspolitischen Ziele im Koalitionsvertrag umsetzen soll. Prompt erzählt Ex-Minister Mars Di Bartolomeo von der größten Oppositionspartei (vorigen Freitag im 100,7), dass eine Kündigung der Konvention „eng Katastrof“ wäre, obwohl er es natürlich besser weiß. Kaum überraschend nutzt auch DP-Präsidentin Carole Hartmann die Gelegenheit, äußert „Versteesdemech“ für die AMMD und sagt, „mir sinn op all Fall an där Linn vum Koalitiounsaccord als DP, dass mir och wëllen déi Saachen ëmsetzen, déi mer do festgehalen hunn“. Politik ist manchmal nicht schön.

Nun steht im Raum, dass Martine Deprez bis Jahresende zum Befreiungsschlag ausholen und „Gesetzentwürfe vorlegen“ werde. Jedenfalls hat das CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz angekündigt. Doch dass der Befreiungsschlag gelingt, ist nicht sicher. Denn was Martine Deprez nicht hat, oder zumindest noch nicht öffentlich gemacht hat, ist eine Strategie für die Gesundheitsversorgung, zu der die Gesetzentwürfe passen würden. Der Koalitionsvertrag kündigt eine Strategie an. Auf Fragen danach hat Deprez bisher nur geantwortet, es gehe ihr um „Patientenbezogenheit“. Das klingt gut, reicht aber nicht. Wie viel Staat und wie viel Markt sie im System will und warum, hat sie noch nie erklärt. Oder wie eine ausgebaute ambulante Versorgung außerhalb der Spitäler gesteuert und reguliert werden soll, damit sie einigermaßen ausgeglichen über Land funktioniert und nicht zu einem Fass ohne Boden für die CNS wird. Die AMMD würde das dem Markt überlassen. Die Ministerin muss mehr wollen.

Erklärt sie nicht, wo sie überhaupt hinwill, wozu beispielsweise Ärztegesellschaften gut sein sollen, die nur ein Mittel zum Erreichen eines Zieles sind, könnte die Auseinandersetzung noch ein Stück unschöner werden. Der Ärzteverband ist ein wichtiger, aber bei weitem nicht der einzige Akteur, der etwas will in der kleinen, aber komplexen und schon immer sehr politisierten Luxemburger Gesundheitswelt.

Peter Feist
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