Die Wasserbestände stehen europaweit unter Druck. Auch Luxemburg ist auf der Suche nach neuen Reserven

„Wasser ist kein Strom“

„Anders als für Strom, braucht man für Wasser eine komplizierte und teure Infrastruktur“, erklärt André Weidenhaupt
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 10.03.2023

Reisende in die Schweiz und Österreich können feststellen, dass in den Alpen deutlich weniger Schnee gefallen ist als üblich. Vom Ufer des Gardasees kann man derweil zur kleinen Insel San Biagio wandern, die sonst nur per Boot zu erreichen ist. Am Rhein ist der Schiffsverkehr durch tiefe Pegel beeinträchtigt; teilweise verkehren Frachter nur halb beladen. In Frankreich fielen in diesem Winter bis zu 85 Prozent weniger Regen als im Durchschnitt – erste Krisensitzungen fanden bereits statt. Vergangenen Sommer machten eine Unmenge an Bildern von trockenen Flussbetten und stehenden Gewässern, die Runde. Und hinter den Bildern liegt das Schicksal von zahlreichen Wasserlebewesen, die ihren Lebensraum verloren haben, und von Landwirten, die vor vertrocknetem Mais stehen. Den Kernkraftwerken ihrerseits fehlte Kühlwasser und Wasserkraftwerke können ohne Wasser keinen Strom produzieren. Satellitenauswertungen der Universität Graz, die im Januar publiziert wurden, bezeugen, dass sich die Wasserspeicheranomalien seit 2018 verschärft haben. Insbesondere von den Küsten entfernte Gebiete Mittel- und Zentraleuropas sind betroffen.

Sucht man nach aktuellen Zahlen vom Wasserwirtschaftsamt, ist festzustellen, dass die Angaben zum Grundwasser seit Juli 2022 nicht mehr aktualisiert wurden. Die Daten dürften aber längst überholt sein, denn wie das Amt selbst festhält, hängt der Zustand des Grundwassers eng mit den Winterniederschlägen zusammen. Und diesen Winter hat es selten geregnet. Auf Land-Nachfrage erläutert Jean-Paul Lickes, Anfang Februar 2023 sei ein Auffüll-Defizit von 25 Prozent beim Grundwasser verzeichnet worden. Nur bei vereinzelten Quellen könne sich dieser Mangel im kommenden Sommer bemerkbar machen. „Für die meisten unterirdischen Trinkwasserreserven stellt dies allerdings kein Problem dar, da diese erst nach mehrjährigen Dürreperioden beeinträchtigt werden.“ Das Trinkwasser stammt in Luxemburg zur Hälfte aus unterirdischen Grundwasserquellen und zur Hälfte aus dem Stausee.

Durch Luxemburg spannen sich auf über 5 000 Kilometern öffentliche Wasserleitungen, die von Privatleuten, der Industrie und der Landwirtschaft angezapft werden. Laut Statec entfällt etwas mehr als die Hälfte des Verbrauchs auf Privathaushalte, 26 Prozent auf den Dienstleistungssektor, neun auf die Industrie und ein Prozent auf die Landwirtschaft. Das ist ein kurios niedriger Anteil, der augenscheinlich damit zusammenhängt, dass der Statec den Trinkwasserbedarf von Tieren in ihrer Statistik aus dem Landwirtschaftssektor auslagert. Denn immerhin trinkt eine Kuh bis zu 150 Liter Wasser am Tag und in Luxemburg leben etwa 200 000 Rinder. Ihr Wasserkonsum entspricht demnach etwas mehr als zehn Olympiaschwimmbecken am Tag. Mit ihrem pro Kopf Trinkwasserbedarf liegen Rinder zudem über dem von Privatpersonen, der sich bei 130 Litern am Tag einpendelt. Wachsende Rinderbestände üben deshalb einen ähnlichen Druck auf das Frischwasser, wie das Bevölkerungswachstum: „Wenn ein Bauer seinen Bestand von 50 auf 250 Kühe erweitert, ist das, wie wenn eine neue Wohnsiedlung entsteht“, behauptet Jean-Paul Lickes.

Die intensive Landwirtschaft mindert darüber hinaus durch ihre Schadstoffe die Wasserqualität: Düngemittel, Herbizide und Pestizide, die auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht werden, finden früher oder später ihren Weg in das Grund- und Oberflächenwasser. Wie schnell diese Stoffe sich den Weg ins Grundwasser bahnen, hängt von der Intensität des Regens und der Bodenart ab. Mikroorganismen einer dichten Humusschicht können Schadstoffe besser abfangen – Humusaufbau ist somit auch Wasserschutz. Derzeit entsprechen 23 Prozent des Quellwassers nicht den Qualitätsstandards, um es ohne konsequente Aufbereitung als Trinkwasser einzuspeisen. Als Trinkwasserschützer wollen Landwirt/innen sich ihrerseits noch nicht neuerfinden. Der Direktor des Wasserwirtschaftsamtes beklagte letzten Sommer im Land, die Landwirtschaft wolle an der intensiven Produktionsweise festhalten: „Jedes Mal, wenn wir fast eine Lösung gefunden haben, passiert irgendetwas, das wieder alles zum Scheitern bringt. Aktuell ist es der Ukraine-Krieg, wegen der die Landwirte nun meinen, wieder mehr Weizen produzieren zu müssen, was sie wieder zu einer stärkeren Düngung berechtige.“

Auch wenn es langsam mit flächendeckenden Schutzmaßnahmen vorangeht, so seien verschiedene lokale Projekte ein Erfolg, erwähnt der Regierungsberater André Weidenhaupt: „In der Stausee-Region organisiert die Laku (Landwirtschaflech Kooperatioun Uewersauer) Versammlungen zum Thema der gewässerverträglichen landwirtschaftlichen Flächennutzung.“ Zudem ginge der Herbizidgebrauch nicht nur auf Landwirte zurück, sondern ebenfalls auf die CFL, die ihre Gleise Unkrautfrei halten wolle, sowie auf deren großzügige Anwendung durch Gemeindearbeiter. „Das sind allerdings Altlasten, der Schadstoffgebrauch in Gemeinden ist jetzt reguliert“, sagt der promovierte Chemiker. Dass die CFL nur gemächlich nach Alternativen zu Herbiziden sucht, veranlasste den auf Wasser spezialisierten Juristen Edgard Arendt im forum zu fragen: „Wie soll ein Landwirt von der Notwendigkeit überzeugt werden, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, wenn staatliche Behörden sich sträuben, die Umweltverschmutzung zu stoppen, die Unternehmen zuzuschreiben ist, bei denen der Staat ein Wort mitzureden hat?“

Während Rinder hiesiges Wasser ausschließlich als Durstlöscher nutzen, verwenden Menschen 30 Prozent ihres täglichen Bedarfs für die Toilettenspülung. Laut dem deutschen Umweltbundesministerium strömen bei älteren Toiletten neun bis 14 Liter pro Spülung durch das WC-Becken. Jean-Paul Lickes meint, hier könne man leicht gegensteuern, indem man den Spülkasten umbaut, sodass nur noch drei bis sechs Liter runtergespült werden. „Möglich ist es ebenso, seine Toilette mit Regenwasser zu betreiben, wer dies plant, kann hierfür einen Zuschuss beantragen. Aktuell läuft auch ein Pilotprojekt mit Grauwasser und für Neubauten empfehlen wir einen Regenwassertank einzuplanen“, sagt Jean-Paul Lickes. Daneben benötigen ebenfalls alte Waschmaschinen viel Wasser - bis zu 120 Liter. Das Wasserwirtschaftsamt informiert über diese Wasserfresser, allerdings etwas versteckt auf ihrer Internetseite und nur vereinzelt wurden in den vergangenen Monaten Tipps zum Wassersparen vermittelt, obwohl Jean-Paul Lickes auch Privathaushalte in der Pflicht sieht: „Wir sollten sparsam mit Wasser umgehen. Jeder kann einen kleinen Beitrag gegen Wasserverschwendung leisten.“ Wassersparsame Geräte und vielleicht ein Bewusstsein für Wasserschutz schlägt sich bereits in den Statistiken nieder: Lag der Wasserverbrauch pro Kopf 2010 noch bei 93 Kubikmeter, liegt er 2021 bei 72.

Für die nahe Zukunft ist keine akute Wasserknappheit zu befürchten, allerdings wird für den Horizont 2035 mit Engpässen gerechnet. „Wenn die Bevölkerung weiter so wächst, dann bedarf es einer weiteren großen Ressource“, sagt Lickes. Die vernachlässigte Variable in dieser Berechnung bleibt jedoch die Auswirkung des Klimawandels auf Wasserbestände und damit zusammenhängend vermehrte Trockenheitsphasen, Platzregen sowie hitzebedingte Evapotranspirations-Effekte (die Verdunstung von Wasser aus Wasseroberflächen und Böden sowie Transpiration aus Flora und Fauna). Aus Dokumenten des promovierten Klimatologen und ASTA-Mitarbeiters, Andrew Ferrone, lässt sich entnehmen, dass die Temperaturen von 1991-2020 im Vergleich zu den vorherigen Erhebungen von 1860-1990 um 1,6 Grad-Celsius gestiegen sind. Die Diagramme zum mittleren Niederschlagswert pro Jahr zeigen zwar auf den ersten Blick kaum Schwankungen, beim zweiten Blick fallen jedoch die saisonalen Unterschiede auf: Starke Abnahme im Frühjahr, leichte Zunahme im Winter und ein Anstieg an Starkniederschlags-Ereignissen sowohl im Sommer als im Winter. Zudem veranschaulicht ein Diagramm, eine Zuspitzung der Dürreperioden für die Monate April bis November in den letzten drei Dekaden. Dürren und Starkregen haben negative Auswirkungen sowohl auf die Quantität als auch Qualität des Wassers.

Mehr noch als der Verkehr und der Wohnungsbau drängen Wasserreserven sich als unumgängliche Grenze des Wachstums auf. Aber weil Luxemburg gewohnt ist, von Arbeitskräften bis Energie alles zu importieren, fragte René Winkin vom industriellen Verband Fedil vor ein paar Jahren: Warum nicht auch das Wasser aus der Großregion importieren? „Wasser ist kein Strom“, betont André Weidenhaupt diese Woche auf Nachfrage. Tatsächlich liegen zwar ein paar SES-Quellen in Belgien und die DEA betreibe eine in Deutschland auf der Höhe von Vianden, aber: „Anders als für Strom, braucht man für Wasser eine komplizierte und teure Infrastruktur.“ Realistischer sei es die Mosel anzuzapfen. „Derzeit werden noch letzte Machbarkeitsstudien durchgeführt“, erklärt André Weidenhaupt. Die Idee wurde bereits bei der Gründung des SES im Jahr 1899 ins Spiel gebracht. Eine Herausforderung bleibt der hohe Chloridgehalt (doppelt so hoch wie die empfohlenen Werte), der auf Novacarb zurückgeht, eine Natriumkarbonat-Fabrik am Ufer der Meurthe. Die französische Mosellane des Eaux überlegt in die gleiche Richtung, schreckt aber vorerst vor den hohen Aufbereitungskosten zurück.

Auf die kommenden Tage blickt der Direktor des Wasserwirtschaftsamtes entspannt: „An de nächsten Deeg ass vill Reen virausgesot.“ Nun könne sich der Stausee füllen, dessen Pegel im Winter zwecks Hochwasserschutz niedriger gehalten wird als im Sommer, aber im Frühjahr wieder steigen soll. „In diesem Sommer geht ebenfalls die neue Sebes-Analge in Eschdorf in Betrieb, die statt 75 000 Kubikmeter 110 000 am Tag befördern kann“, erläutert André Weidenhaupt. Durst werde man diesen Sommer keinen erleiden. Vielleicht aber werden Blaualgen den Badespaß verderben, wenn Platzregen wieder übermäßig viel Phosphatdünger in den See spült.

Stéphanie Majerus
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