Arme Opfer der Politik

Moritat vom letzten Dreck

d'Lëtzebuerger Land vom 29.03.2013

Heute loben wir die armen Opfer der Politik. Auf dem CSV-Kongress beklagte sich Herr Juncker, es sei nicht hinnehmbar und müsse sofort aufhören, dass Politiker immer öfter „wie der letzte Dreck behandelt“ würden. Ja, das gibt uns zu denken. Vom „letzten Kommunisten“ zum „letzten Dreck“? Das ist wohl ein Steilhang, den kein Politiker aus freien Stücken hinunterpurzeln möchte. Fragen wir also beherzt: Von wem spricht Herr Juncker? Wer behandelt ihn wie den letzten Dreck? Wo stecken die Unholde und Bösewichte?

Wir haben die Antwort schon gefunden. Es sind die Wirtschaftskonzerne, die Industriellen, die Banker und Konsorten, die Herrn Juncker schwer im Magen liegen. Diese Herrschaften treiben in der Tat die Politiker vor sich her, wie es ihnen gerade gefällt. Sie ignorieren buchstäblich politische Vorgaben, ihre Entscheidungen treffen sie jenseits der Politik und mokieren sich dabei über gewählte Volksvertreter und Regierungen. Mehr und mehr erscheint der Politiker als ein wohlfeiler Hampelmann, der bestenfalls dazu taugt, Diktate der Wirtschaftslobby im Nachhinein abzusegnen. Das treibt Herrn Juncker natürlich auf die Palme. Wir müssen ihm zustimmen: Am liebsten würden die verbündeten Abzocker und Ausbeuter ihre Geschäfte im demokratiefreien Raum abwickeln und auf Politiker ganz verzichten. Diese sind in ihren Augen tatsächlich nur der letzte Dreck.

Es beruhigt Herrn Juncker sicher nicht, wenn er sich von Zeit zu Zeit seinem therapeutischen Spielzeug widmet. Schülern hat er mal verraten, dass in seinem Hobbykeller ein Flippergerät steht, das ihm zur Entspannung dient. Zur Entspannung? Wir sind eher der Ansicht, dass es sich beim diesem Flippergerät um ein emblematisches Folterwerkzeug handelt, ein Selbstquälinstrument erster Güte. Über dem Flipperspielen kann sich Herr Juncker nämlich den chaotischen Zustand der Politik veranschaulichen: Der Politiker ist in diesem Fall die Flipperkugel, die von undurchsichtigen Kräften durch die Gegend gejagt wird, orientierungslos, widerstandsunfähig, ständigen Schlägen und Stößen willenlos ausgeliefert. Wer da schlägt und stößt und herumbugsiert, ist kein anderer als das globale Wirtschaftsimperium, die Finanzdiktatur, die nicht nur Politiker gezielt an die Wand katapultiert. Wäre es nicht an der Zeit, Herrn Junckers Flippertisch aus karitativen Gründen zu konfiszieren und ihm ein heilsameres Spielzeug zu schenken? Zum Beispiel ein Bungee-Seil? Er könnte sich dann immer wieder Europas rasanten Absturz vorspielen, mitsamt Rettung in extremis kurz vor dem vernichtenden Aufprall.

Bleibt anzumerken, dass Herr Juncker sich mit seiner Beschwerde hoffentlich nicht auf die zunehmende Zahl seiner Kritiker beruft, die ihm eine konzept- und perspektivlose Staatsführung vorwerfen. Es wäre nicht zum ersten Mal, dass er – ganz im Sinne seiner berüchtigten „Interpretationsdivergenzen“ – Kritik als Angriff auf seine sakrosankte Person auslegt. Im „Bommeleeërprozess“ defilieren ja zurzeit die Hüter des Luxemburger Staates. Wie sollen wir Bürger diese endlose Prozession von heillos inkompetenten Amtsträgern interpretieren? Rekrutiert der CSV-Staat für seine oberen Etagen ausschließlich Menschen mit herausragenden Gedächtnislücken? In diesem sonderbaren Prozess ist leider nur das Volk „der letzte Dreck“. Es wird getäuscht, hinters Licht geführt, auf falsche Pisten gelockt, nicht für voll genommen, von überaus süffisanten Staatsvertretern ohne viel Federlesens in die Pfanne gehauen. Das ist nicht hinnehmbar und muss sofort aufhören, würde Herr Juncker sagen. Aber das sagt er nur in eigener Sache.

Dieses schaurige und zugleich sehr groteske Justizschauspiel lehrt uns vor allem eines: Mit der Freiheit und der Demokratie ist es nicht weit her im putzigen Staate Luxemburg. Seit Jahrzehnten stecken unsere Politiker so tief im Sumpf ihrer „amerikanischen Freunde“, dass ihnen der Morast schon in die Nasenlöcher dringt. Den Amerikanern pflegt man die Stiefel zu lecken, um sich Liebkind zu machen bei der Nato, ist kein Gesetzesverstoß zu schade. Diese katastrophale Hörigkeit geht so weit, dass die obersten Staatsvertreter auch heute noch lieber den Zusammenbruch der Institutionen riskieren und den schwersten Vertrauensverlust in der Bevölkerung in Kauf nehmen, als sich wenigstens pro forma von den amerikanischen Kriegstreibern zu distanzieren. Wer hat da vom „letzten Dreck“ gesprochen?

Von Herrn Junckers nebulöser, mit schillernden Rhetorikfloskeln angereicherter Karriere wird wahrscheinlich nur eine epochale Leistung übrigbleiben: Er wird in die Geschichte eingehen als der Mann, der in Europa die Lüge hochoffiziell als Instrument der Politik salonfähig gemacht hat. Seine Maxime: „Wenn es ernst wird, muss man lügen“ (man beachte den Imperativ) belegt, dass wir Bürger in Krisensituationen gezielt über den Tisch gezogen werden. Die dreisteste Lüge ist folgerichtig die in der europäischen Verfassung festgeschriebene Bürgerbeteiligung. Da hat sich Herr Juncker ein schönes Denkmal errichtet. Ganz nah am letzten Dreck.

Guy Rewenig
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