Binge watching

Space-Western

d'Lëtzebuerger Land vom 18.09.2020

Man muss kein eingefleischter Star Wars-Fan sein, um der Serie The Mandalorian folgen zu können, die John Favreau für den Disney-Streamingdienst konzipiert hat. Der Verkauf der Filmrechte des Schöpfers der Krieg der Sterne, George Lucas, an Disney im Jahre 2012 erwies sich für den Großkonzern wenig überraschend als äußerst gewinnbringende Goldader. Seit 2015 laufen regelmäßig neue Kinoproduktionen an, und seit der Einführung der eigenen Streamingplattform Disney+, die nun auch hierzulande verfügbar ist, breitet sich das filmische Universum der fernen Galaxie auch in Serienform aus. Abzuwarten bleibt, welche Konsequenzen die Verlagerung von Filmen vom Kino auf den Streamingdienst haben wird. Pandemiebedingt wurde Disneys Sommerblockbuster Mulan anstatt des regulären Kinostarts direkt über den Streamingserver angeboten. Ohne gleich in larmoyanten Kulturpessimismus verfallen zu wollen, ist es dennoch bedenklich, inwiefern die sich auflösende Trennlinie zwischen Kinosaal und Wohnzimmer die Rezeption, das Filmerlebnis und das Verständnis von Film als Kunst längerfristig prägen wird…

Mit The Mandalorian unternimmt John Favreau im Serienformat den Versuch das wieder einzufordern, was George Lucas’ 1977 gestartete Space Opera im Kern auszeichnete, eine wilde Mischung aus allerlei Versatzstücken diverser etablierter Filmgenres: Die Jedi-Ritter, ein mit Lichtschwertern kämpfender Orden, sind dem Ritter- und Samuraifilm entlehnt, das magische Kraftfeld der force ist ein Element der Fantasy, der Handlungsraum im Weltraum spricht seit Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) besonders für die Science-Fiction, der raubeinige Schmuggler Han Solo (Harrison Ford) ist bis in die Kostümierung und seiner Ausstattung mitsamt Laserpistole offenkundig als Western-Held angelegt – und die Assoziationskette ließe sich fortführen.

In The Mandalorian ist die hauptsächliche Bezugsquelle der Western, genauer: Der Italo-Western. In der Star-Wars-Zeitlinie situiert sich die Serie nach den Ereignissen von The Return of the Jedi, also nach dem Fall des bösen Imperiums. Wir begleiten einen namenlosen Kopfgeldjäger (Pedro Pascal) in einem zivilisatorischen Niemandsland; er gehört einer Kaste hochprofessioneller Auftragsmörder an, die sich wie ein Samurai-Clan ordnen. Damit wahrt die Serie die Inspirationslinie von John Ford über Akira Kurosawa zu George Lucas. Als dieser Namenlose in einem Moment des Zögerns sein Gewissen aufblitzen lässt und entsprechend Entscheidungen trifft, muss er sich mit den dramatischen Konsequenzen auseinandersetzen. Das Thema der Serie ist der Individualismus, dem unabhängigen Vorgehen seines Helden gilt das Hauptaugenmerk der Serie – eines der Kernthemen des Western. Beachtlich ist denn auch, dass der chilenische Schauspieler Pedro Pascal es irgendwie schafft, hinter diesem eisernen Helm, den er nie ablegt, Emotionen zu transportieren bzw. eine Projektionsfläche für die Emotionen der Zuschauer bereitstellt, die das Publikum dann gleichsam in ihn hineinlesen kann. Der wortkarge Held ist der Figur des Boba Fett aus Star Wars - The Empire Strikes Back (1980) nachempfunden. Ebenfalls bemerkbar macht sich der starke Einfluss des Italo-Western an der Dehnung bestimmter Erzählmomente als ein Faktor des Spannungsaufbaus – ein Stilmittel, für das Sergio Leone berühmt wurde. So spielt The Mandalorian mit den Standardsituationen des Western in einem futuristisch anmutendem Setting – etwa beim Eintritt in den Saloon oder der Festnahme der gesuchten Person. Auch die Titelmelodie von Komponist Ludwig Göransson macht deutliche Anleihen bei den instrumentellen Klangfarben eines Ennio Morricone und vermischt diese mit den groß orchestrierten Westernmelodien des klassischen Hollywood.

Die Serie hat aufgrund seiner längeren Erzähldauer dem Film gegenüber den Vorteil, den Prozess des world-buildings vertiefend und immersiv stärker zu gestalten, so etwa über die Einführung immer neuer skurriler Geschöpfe auch wenn sie nur als Komparsen fungieren. George Lucas musste die fabelhaften Bewohner seines Universums noch ganz ohne computergenerierte Bilder auf eine enge Taverne reduzieren, die sozusagen pars pro toto für die Bevölkerung des Star Wars-Universums standen.

The Mandalorian setzt ebenfalls besonders auf praktische Effekte, geizt indes aber nicht mit seinen CGI-Schauwerten. Die Zahl der Abonnenten der neuen Streamingplattform lässt jedenfalls vermuten, dass die Geschichte vom namenlosen Fremden noch nicht auserzählt ist.

Marc Trappendreher
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