LEITARTIKEL

Klima und Blöcke

d'Lëtzebuerger Land du 24.03.2023

Es war Zufall, dass der Weltklimarat IPCC seinen sechsten „Sachstandsbericht“ ausgerechnet am 20. März veröffentlichte. Dem Tag, an dem sich zum zwanzigsten Mal der Überfall des Irak durch die USA und eine „Koalition der Willigen“ jährte. Begründet durch angebliche Geheimdienstinformationen, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen und biete der Terrororganisation al-Qaida Unterschlupf. Behauptungen von George W. Bush und Tony Blair, die sich ein Jahr später als fabriziert erwiesen.

Das Zusammentreffen von IPCC-Bericht und Jahrestag im Datum ist ungewollt symbolisch. Neu ist der Befund des Weltklimarats nicht, dass spätestens im Jahr 2050 auf der ganzen Welt „Klimaneutralität“ hergestellt sein müsse, wenn die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit 1,5 Grad nicht überschreiten soll. Neuer, wenn man so will, ist die Feststellung, dass der Treibhausgasausstoß spätestens 2025 sein Maximum erreichen und danach kontinuierlich sinken müsse. Bis er 2050 „netto null“ wird: Was dann noch an Emissionen anfällt, müsste der Atmosphäre entzogen werden.

2025 ist so bald, dass bereits dann den „Peak“ zu erreichen, schwierig, wenn nicht gar illusorisch scheint. Beim letzten Weltklimagipfel in Sharm El-Sheikh hatte das Global Carbon Project, ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftler/innen, den globalen Ausstoß für 2022 auf 40,6 Milliarden Tonnen CO2 geschätzt. Das wäre so viel wie noch nie und fast zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Oder wäre das Maximum in den nächsten zweieinhalb Jahren doch einzuhalten? Immerhin entstehen IPCC-Berichte unter Beteiligung der Regierungen der Länder, die der Klima-Rahmenkonvention der Uno angehören. Der Sachstandsbericht vom 20. März wird von 195 Staaten mitgetragen, das sind zwei mehr, als die Uno selbst Mitglieder hat.

Um die Treibhausgasemissionen dauerhaft zu senken und bis 2050 tatsächlich auf „netto null“ zu kommen, ist internationale Zusammenarbeit nötig. Eine Koordination der Klimaschutzbemühungen, die über die Weltklimagipfel mehr schlecht als recht erfolgt, aber ein besseres Gremium gibt es derzeit nicht. Eine Gefahr für den Klimaschutz und die internationale Zusammenarbeit ist die Blockbildung, die sich nun wieder abzeichnet. Mit den USA und ihren Alliierten auf der einen Seite, auf der anderen Seite China, das anscheinend Russland an sich zu binden versucht. Dazwischen eine große Zahl von Ländern, die sich nicht festlegen wollen und ihre eigenen Interessen verfolgen. Als die Uno-Vollversammlung am 23. Februar erneut über eine Resolution abstimmte, die Russlands Angriffskrieg in der Ukraine verurteilte und einen bedingungslosen Truppenrückzug forderte, trugen 141 Länder sie mit. Was jedoch zum Beispiel Brasilien oder die Vereinigten Arabischen Emirate nicht davon abgehalten hat, ihren Handel mit Russland auszuweiten. Gar nicht zu reden von afrikanischen Ländern, die den Ukraine-Krieg als Problem Europas betrachten. Die chinesische Investitionen Kooperationsangeboten aus dem Westen vorziehen, wenn die auch an „good governance“ geknüpft sind.

Ob der Klimaschutz gelingt, liegt zu einem großen Teil in der Hand des Westens. Es hängt von seinen Anstrengungen daheim ab, aber auch davon, inwieweit er bereit ist zum Technologietransfer und zu Unterstützungszahlungen an arme und an schon jetzt akut vom Klimawandel betroffene Länder. Und davon, ob er die Konfrontation mit dem anderen Block eskalieren lässt. Die Invasion des Irak vor 20 Jahren sei eine „Ursünde“ gewesen, sagte Emile Hokayem, Forscher am International Institute for Strategic Studies, der New York Times am 20. März. Der Historiker Stephen Wertheim hielt am 17. März in Foreign Affairs der politischen Klasse der USA vor, daraus noch nicht genug gelernt zu haben: Globale Vorherrschaft sei für sie wie 2003 ein „Ziel an sich“; es scheine, als sei die Biden-Regierung gegen jedweden Aufstieg Chinas und ohne Plan für eine Koexistenz mit der Weltmacht Nummer zwei. Falls das stimmt, könnte der internationale Zusammenhalt zum Klimaschutz zusammenbrechen und den nächsten großen IPCC-Bericht in ein paar Jahren tragen vielleicht keine 195 Länder mehr mit.

Peter Feist
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