Kino

Die Sinnlichkeit der Berührung

d'Lëtzebuerger Land vom 31.03.2023

Hände gleiten über den blauen Stoff, goldene Ornamente werden aufgenäht, warm und sanft ausgeleuchtet – eine Arbeit von großer Intimität. Die Hände gehören Halim (Saleh Bakri), einem Schneider, einem so genannten Meister seiner Zunft, einer aussterbenden Kunst. Er ist mit Mina (Lubna Azabal) verheiratet, das Paar ist kinderlos, Halim wirkt verschlossen. Mit entsprechenden Einstellungen macht die marokkanische Regisseurin und Drehbuchautorin Maryam Touzani in ihrem zweiten Langspielfilm Le Bleu du Caftan deutlich, was den stofflichen Gehalt ihrer Erzählung ausmacht: Es geht um eine verbotene Liebe, die sich nur in stummen Gesten der Berührungen, der Zärtlichkeit ausdrücken darf. Halim ist homosexuell, seine Zuneigung gilt Youssef (Ayoub Missioui), seinem Lehrjungen in der Werkstatt – eine Liebe, die zur Wahrung der Ehre seiner Frau und wegen drohender gesellschaftlicher Sanktionen im Verborgenen bleiben muss.

Anders als in Adam (2020), Touzanis erstem Film, stehen diesmal nicht die Backwaren im Zentrum der Handlung, sondern der Kleiderstoff. In den Textilien wird eine Erotik spürbar, die sich sehr behutsam entfaltet. Touzani beschreibt die Geschichte dieser verbotenen Liebe als einen Erlebnisraum der Sinnlichkeit, ihr Substitut findet diese Liebe im Akt der kreativen Schöpfung. Halims feine Gesten wirken dabei wie in seinen Körper eingeschrieben; davon zeugen die sorgfältigen Großaufnahmen von Händen und Fingern. Er ist jemand, der wie Samia (Nisrin Erradi) in Adam, die Kunst seines Handwerks vollkommen verinnerlicht hat. In seiner Bildsprache kommt der Film denn auch nicht ohne die klassischen melodramatischen Formeln zur Fokussierung dieses Dreiecksverhältnisses aus: In Dreiecksformation am Tisch sitzend, führt die Regisseurin ihre Figuren im Bild zusammen, eine ganz unbetonte Konstellation der Liebe und des Unglücks. Solche Bilder gewinnt Touzani mit ihrer Kamerafrau Virginie Surdej aber aus einer ganz respektvollen Haltung heraus, die in klassischer Arthouse-Manier keine überaus dramatischen Wendepunkte markiert, sondern Momente bedächtiger Einsicht und Akzeptanz in den Vordergrund stellt. Es gibt nie den Ausbruch von Niedertracht oder Eifersucht bei Touzani, vielmehr steht da ein Gefühl allumfassender Liebe eines Ehepaares, das den Weg für gegenseitiges Verständnis ebnet – so erst macht sich das Spannungsverhältnis in Le Bleu du Caftan wirklich bemerkbar. Es ist ein letztlich ernüchterndes Gefühl der doppelten Ohnmacht: gegenüber den Anforderungen zur Anpassung an eine gesellschaftliche Norm und gegenüber dem individuellen Verlangen, dem Wunsch nach Offenheit, Freiheit. Touzani übersetzt dies wie in ihrem Vorgängerfilm in der formalen Nutzung des filmischen Raumes, nicht zuletzt über die Tonspur: Zum einen dominieren da die Reduktion und Konzentration auf wenige Sets und die Kulmination der Handlung an ein- und demselbem Ort, der wie aus der Zeit gefallenen Werkstatt in der Altstadt der marokkanischen Stadt Salé. Daraus bezieht der Film seine dramaturgische Intensität – es ist eine einengende Welt der Repression und der Isolation. Zum anderen gibt es bei Touzani diesen Hoffnungsschimmer, besser: diesen Klang der Hoffnung: Das Geräusch kreischender vorbeifliegende Möwen deutet auf einen nahegelegenen Strand hin – es gibt offenbar einen nicht weiter definierten Außenraum, was Freiraum suggeriert.

Nebeneinander betrachtet, wird in Adam und Le Bleu du Caftan eine künstlerische Vision besser ersichtlich: Eine erste Leitlinie formt die nostalgische Darstellung der Idee eines Marokko fernab seiner gegenwärtigen rasanten Entwicklungen, eine Rückbesinnung auf handwerkliche Traditionen. Eine zweite ist fokussiert auf Figuren, die im Einklang mit sich selbst und ihren Nächsten gesellschaftliche Tabus und veraltete Geschlechterrollen zu überwinden vermögen und so zu sich selbst finden.

Marc Trappendreher
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