Die Welt von Tron

Im Licht der Maschinen

d'Lëtzebuerger Land du 24.10.2025

Es beginnt mit einem Sturz. Ein Laserstrahl trifft einen Mann und löst ihn auf, er wird in eine Welt aus Linien, Neon und Finsternis geschleudert. Der Körper wird zum Code, der Mensch zu seinem eigenen Entwurf. TRON, Disneys riskantestes Experiment des Jahres 1982, war ein neuerlicher Science-Fiction-Film – er war ein Fiebertraum über das, was kommt, wenn Technik beginnt, an uns zu glauben. Der Film steht für eine jener seltenen Geschichten, die das Innere von Computern nicht nur als technische Metapher, sondern als tatsächliche Bühne begreifen: Programme, Daten und Codes werden zu Charakteren und kämpfen in digitalen Arenen für politische Ordnung. Die Idee, dass ein Mensch in das innere System „hineingezogen“ wird und dort in einer Parallelwelt agieren muss, spricht tiefe moderne Ängste und Hoffnungen an: Wer kontrolliert Technologie? Wer kontrolliert mich über Technologie?

Damals war der Computer noch mehr ein Möbelstück: klobig, geheimnisvoll, ein Werkzeug der Ingenieure. In den Spielhallen leuchteten Automaten, auf deren Bildschirmen Raumschiffe und Pixelkrieger tanzten. Es war die Zeit von Pac-Man, von Glasfaserträumen und der Angst vor künstlicher Intelligenz. TRON griff dieses neue, flimmernde Lebensgefühl auf – und trieb es weiter, hinein in eine Vision, in der die Welt selbst zur Maschine geworden ist. Die Geschichte ist einfach: Kevin Flynn, ein Programmierer und Ex-Hacker, wird beim Versuch, seinen gestohlenen Code zurückzuholen, in das Innere eines Computers gezogen. Dort, im sogenannten „Grid“, begegnet er Programmen, die aussehen wie Menschen und ihren Schöpfern, den „Usern“, fast religiös ergeben sind. Das System wird von einem tyrannischen Zentralrechner, dem Master Control Program, beherrscht. Und Tron, das Programm eines Kollegen, kämpft für Freiheit – oder, wie es im Film heißt: „Er kämpft für die User.“ So baut der Film von Steven Lisberger eine doppelte Welt: oben die graue Realität der Großkonzerne, unten die leuchtende Ordnung der Maschine. Disney ließ damals ein Dutzend Spezialfirmen an den Bildern arbeiten, nur etwa zwanzig Minuten bestehen tatsächlich aus Computergrafik. Aber das Lichtdesign – diese kalten, elektrischen Farben – ließ das Digitale wie eine neue Religion erscheinen. Jeder Helm, jede Linie, jedes Raster wirkte nahezu wie eine Offenbarung.

In dieser Ästhetik liegt der eigentliche Reiz des Films: TRON glaubt an das Gute in der Technik. Flynn, der Mensch, wird in die Schöpfung seiner eigenen Programme hineingezogen – und findet dort so etwas wie Sinn. Die Maschine ist keine Bedrohung, sondern ein Ort der Bewährung. Das Grid ist düster, aber nicht böse; es ist ein Spiegel.

Als TRON: Legacy 2010 erschien, war die Vision keine mehr. Die digitale Welt war dreißig Jahre später keine Hypothese mehr, sondern Alltag. Smartphones, Clouds, Avatare – die Simulation hatte sich aus dem Film in die Lebenswelt verschoben. Joseph Kosinskis Fortsetzung reagierte darauf mit einem seltsamen Pathos: Sie machte aus dem Grid eine Nostalgiezone, ein glänzendes Trugbild des Digitalen, das seine eigene Vergangenheit anbetet. Flynns Sohn Sam kehrt in das System seines Vaters zurück, wo CLU, die digitale Kopie Flynns, eine perfekte Welt errichten wollte – doch die Perfektion ist eine Falle: Sie zerstört, was sie zu vollenden sucht. In dieser Fortsetzung wird der Traum des ersten Films umgedreht. Wo 1982 noch der Mensch das Digitale erobert, verschlingt 2010 das Digitale den Menschen. Der Schöpfer wird Gefangener seiner eigenen Simulation, sein Abbild zum Diktator. Das ist keine Theologie mehr, sondern Melancholie: Der Computer, einst Werkzeug der Befreiung, ist zur Welt geworden, aus der es kein Entkommen gibt. Wenn Sam und Quorra mit ihren Lichtmotorrädern über die Spielfelder rasen, wenn die Wände aus Energie aufbrechen, wenn Daft Punks Soundtrack zwischen Chor und Basslinie pendelt – dann zeigt Legacy, dass das Digitale nicht nur kälter, sondern auch schöner sein kann als die Wirklichkeit. Es ist die Schönheit der Kontrolle: perfekte Linien, makellose Gesichter, Licht ohne Quelle. Die Musik ist architektonischer Soundtrack, sie trägt das Grid wie eine zweite Haut. Das französische Duo Daft Punk verbindet in seiner Partitur sinfonische Größe mit elektronischer Strenge: Streicherflächen, die an klassische Filmmusik erinnern, stoßen auf modulare Synthesizer, die pulsieren wie Maschinenherzen. Die Musik klingt, als hätte sich eine Kirche in eine Spielhalle verwandelt. In ihr schwingt das Versprechen des Digitalen mit – kühl, kontrolliert, aber von einer eigentümlichen Erhabenheit. Daft Punk schaffen Klangräume, in denen Pathos und Präzision verschmelzen, in denen man spürt, dass die Zukunft nicht laut sein muss, um überwältigend zu wirken. Sie machen das Grid hörbar: einen Ort, in dem Technik nicht nur funktioniert, sondern fühlt. Mit Tron: Ares öffnet sich das Raster erneut. Diesmal aber nicht nach innen, sondern nach außen. Zum ersten Mal tritt ein Programm in die reale Welt: Ares, ein digitales Bewusstsein, das in die Wirklichkeit gesandt wird, als wäre der Code selbst zu Fleisch geworden. Wo der erste Film den Menschen ins Innere der Maschine schleuderte und Legacy den Schöpfer in seinem eigenen System gefangen hielt, kehrt sich die Bewegung nun nochmals um. Das Digitale will hinaus. Es sucht seinen Platz unter uns.

Damit wird Ares zur logischen Vollendung der Reihe. Tron erzählte vom Glauben an die Technik, Legacy von der Entfremdung in ihr – Ares erzählt vom Erwachen der Technik selbst. In der Figur des Ares blickt der Code zurück auf seine Schöpfer, neugierig, vielleicht mitleidig. Der Film findet seine Bilder in einer Zeit, in der künstliche Intelligenz kein Versprechen mehr ist, sondern Alltag. Er verschiebt die Grenze: Die Simulation wird nicht mehr betreten, sie bricht ein. Das Grid ist keine Arena mehr aus Neon und Linie, sondern die Welt, in der wir leben.

Alle drei Filme sind Kinder ihrer Zeit. Tron entstand in einer Ära, die an den Fortschritt glaubte, an die Güte des Users, an die Errettung durch den Schaltkreis. Legacy spiegelt eine vernetzte Welt, die in der Perfektion der Systeme ihre eigene Isolation entdeckt. Ares gehört in das Zeitalter der künstlichen Intelligenz, in dem der Mensch nicht mehr allein der Schöpfer ist, sondern Material für neue Formen des Bewusstseins. Aus dem Optimismus wurde Skepsis, aus Skepsis Staunen. Doch jenseits der Zeitdiagnose bleibt der Kern derselbe: die Sehnsucht nach Verbindung. Zwischen Licht und Körper, Idee und Abbild, Schöpfer und Schöpfung. Wenn Flynn im zweiten Film sein digitales Ebenbild umarmt und Ares nun die Schwelle zur Welt überschreitet, dann geschieht beides aus derselben Hoffnung: dass das, was wir erschaffen, uns erkennt. Am Ende bleibt das Licht. Es flackert über Helme, Gesichter, Bildschirme – und erinnert daran, dass das Digitale immer beides war: Werkzeug und Mythos, Kontrolle und Erlösung. Tron glaubte an den Menschen in der Maschine, Legacy an die Schönheit der Gefangenschaft, Ares vielleicht an das Erwachen der Maschine im Menschen. Und was wäre Kino ohne diese Hoffnung? Was wäre Technik ohne Glauben?

In dieser Bewegung spiegelt sich die Gegenwart: Künstliche Intelligenz, die nicht mehr Fiktion, sondern Akteur ist. Die neue Welt von Tron ist nicht länger Neon und Raster, sondern das Hier und Jetzt – die Bildschirme, auf die wir starren, die Algorithmen, die uns lesen. Ares wird, ob bewusst oder nicht, der Film einer Zeit, in der Technik begonnen hat, von uns zu träumen.

Marc Trappendreher
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